Während von Manu Larcenets vielbeachteter Comicreihe Der alltägliche Kampf in Kürze der abschließende vierte Band bei Reprodukt erscheint, liegt bereits ein weiteres Album Larcenets auf Deutsch vor. Es handelt sich um Larcenets zweiten Ausflug in Die wundersamen Abenteuer von …, für die er bekannte Persönlichkeiten in ungewöhnliche Szenarien versetzt und bislang unbekannte Episoden aus deren Leben erzählt. Wurde im ersten Band noch Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, nach Amerika geschickt um einen Hund zu therapieren (Rezension bei Comicgate), widmet sich der neue Comic dem niederländischen Maler Vincent van Gogh, den es an die Front des Ersten Weltkrieges verschlägt.
Nach einem vorgetäuschten Selbstmord wird van Gogh engagiert, um mit Hilfe seiner Gemälde das Geschehen des Krieges möglichst authentisch einzufangen und der Armeeführung dadurch eine Erklärung für die schwindende Moral ihrer Soldaten zu liefern. Widerwillig nimmt van Gogh die Aufgabe an und begibt sich als Gefreiter mit seinem Malerutensil direkt an die gefährliche Front.
Manu Larcenet gelang ein absurder Comic, der stark zwischen Komik und Kriegsschauen schwankt. Natürlich sind seine knubbelnäsigen Figuren nicht ganz ernst zu nehmen; sein van Gogh ist ein aufbrausender, wütender Kerl, der sich permanent als Künstler ausweisen und erklären muss. Überhaupt wird hier das Künstler- und das Soldatendasein direkt gegenübergestellt, was mit dem pinselschwingenden van Gogh mitten im zerbombten Kriegsgebiet zu einem mitunter starken Kontrast führt. Die wundersamen Abenteuer von Vincent van Gogh ist ein urkomischer, aber gleichsam sehr erschütternder Band, denn das Aufeinandertreffen mit Deserteuren aus den eigenen Reihen, zerfetzte Leichen, der Kampf ums Überleben – das alles ist glaubhaft dargestellt und wird von Larcenet auch durch ausdrucksstarkes Inszenieren Rechnung getragen.
Beklemmend wirkt die Story zusätzlich durch einige tiefgehende, fast poetische Elemente. Van Goghs Fronteinsatz ist von Albträumen geprägt, in denen er Kollegen als vermenschlichte Vögel sieht. Zunehmend bekommen die beunruhigenden Träume für ihn Prophezeiungscharakter, zudem geht die Legende von der „Mutter der Granaten“ um. Van Goghs Visionen und die Unzufriedenheit der Armeeführung mit seiner bisherigen Arbeit treiben den berühmten Maler immer näher an den Schrecken des Krieges und an die vorderste Front.
Nun ist dieser Band sicherlich von der grundsätzlichen Ausrichtung her nicht weniger komisch als Larcenets andere Werke. Allerdings sind seine Comics auch immer von sehr traurigen, ernsten Elementen geprägt, was auch bei diesem Album zum Tragen kommt. Ähnlich wie sein Comic zu Sigmund Freud treibt er auch van Goghs Biografie auf die Spitze und spinnt sie fiktiv weiter. Besonders markant ist dabei das extreme Setting, dem die berühmten Persönlichkeiten sich ausgesetzt sehen. Der Frontverlauf des Ersten Weltkrieges bietet dafür eine gute Möglichkeit, die Larcenet wie gewohnt brillant nutzt.
Die wundersamen Abenteuer von Vincent van Gogh – An vorderster Front
Reprodukt, Oktober 2008
Text und Zeichnungen: Manu Larcent
48 Seiten, farbig, 29 x 21 cm, Softcover; 12,- Euro
ISBN 978-3-938511-94-7
Leseprobe bei Reprodukt
Abbildungen © dt. Ausgabe Reprodukt