Eigentlich möchte Clement Brown nur auf dem schnellsten Weg zu seiner Familie nach Selma. Deswegen steht er in einer regnerischen Nacht an einer Landstraße in Alabama. Dort nimmt ihn die attraktive Tracy Lee mit, die beiden verstehen sich gut, halten an einem Motel und landen schließlich im Bett. Am nächsten Morgen ist der schwarze Clement mit dem Geld seines One-Night-Stands verschwunden und die weiße Tracy Lee ist tot. Clement begibt sich auf Ursachenforschung, muss dabei aber höllisch aufpassen, dass er in der ländlichen Umgebung des konservativen Amerika nicht selbst zum Verfolgten wird.
Die Straße nach Selma hat schon einige Jahre auf dem Buckel, der Comic von Philippe Vandevelde, Künstlername Tome (Spirou und Fantasio, Soda). und Philippe Berthet wurde sogar schon 1995 von Carlsen unter dem Titel Zufällige Nähe hierzulande veröffentlicht. Damals natürlich im Albenformat und nicht wie jetzt in der Noir-Reihe von Schreiber & Leser als komprimierterer Hardcoverband.
Vom Erzählrhythmus her ist dieser Comic toll. Tome weiß genau, wie er bestimmte Szenen zur Geltung kommen lässt und wann die Bilder für sich sprechen können. Nur ist mir das Ganze zu wenig „noir“. Die Handlung ist schnell an ihrem Ende angelangt und eigentlich weiß man gar nicht so genau, warum man gerade so früh und größtenteils unplausibel einen großen Showdown lesen musste. Von den ruhigen Momenten zuvor hätte es hingegen sicherlich mehr sein dürfen.
Dass die Story an und für sich etwas halbgar ist, mag auch in dem vorrangigen Bemühen begründet liegen, einen Comic vorzulegen, der Rassismus thematisiert. Aus diesem Grund lässt der Belgier Tome die Handlung in den USA spielen und nicht in Europa (wobei das auch möglich wäre, aber die Diskriminierung der Schwarzen ist natürlich eine Angelegenheit, die sich eher in einem amerikanischen Setting anbietet); und deshalb ist das tragische Paar auf dem Cover eine Kombination aus schwarzer und weißer Hautfarbe und der Mord basiert unweigerlich auf einem rassistisch motivierten Exfreund.
Der Einsatz dieser Elemente muss zwar noch nicht zwangsläufig etwas über die Qualität der Erzählung aussagen, aber im Falle von Die Straße nach Selma wird doch deutlich, dass die gesellschaftspolitische Intention des Autors die eigentlich gut ausgearbeiteten Teilstücke des Comics verdrängt. In Sachen Seitenkomposition und grafischer Arrangements kann man den beiden Kreativen, wie bereits zuvor erwähnt, kaum etwas vorwerfen, was unter anderem auch an dem klaren Strich von Zeichner Philippe Berthet liegt. Umso bedauerlicher ist es, dass dieser Aspekt nicht mit einer offeneren Handlung begleitet wurde.
Der Noir-Band wird ergänzt durch Erläuterungen der Künstler und Skizzenmaterial im Anhang.
Wertung:
Optisch ansprechend, die Handlung kommt hingegen über einige gute Ansätze nicht hinaus
Die Straße nach Selma
Schreiber & Leser noir, Februar 2011
Text: Tome
Zeichnungen: Philippe Berthet
80 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 18,80 Euro
ISBN: 978-3-941239-56-2
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe Schreiber & Leser