Während der Comic-Salon Erlangen und die deutsche Comicszene mit Anke Feuchtenberger und Hendrik Dorgathen ihre avantgardistischen Helden feiern, bahnt sich in Frankreich seit ein paar Jahren eine Renaissance der Geschichtenerzähler an. Doch trotz des Fokus auf nationale Comic-Künstler kann man beruhigt sein, da sich deutsche Verlage auch um die frankobelgischen Lizenzen kümmern. Der Berliner Comicverlag Reprodukt zeigt dabei ein reges Interesse an der Nachfolgegeneration der Künstlergemeinschaft L'Association (um Lewis Trondheim, Killoffer und David B). So erschien zum Comic-Salon Manu Larcenets Koproduktion mit Jean-Yves Ferri, Die Rückkehr aufs Land, eine biographische Erzählung, die das klassische Comicstrip-Prinzip verwendet.
Den Namen Manu Larcenet (37) sollte man sich merken. Der junge Franzose, der sich zunächst als Sänger einer Punkband versuchte, begann 1994 seine Karriere als Zeichner. Über Arbeiten in Musikzeitschriften gelangte er bald in französische Comic-Publikationen wie Spirou. Um sich ganz als Künstler absetzen zu können und eigene Themen zu verfolgen, gründete er den Verlag Les Rêveurs (“Die Träumer“).
Einem breiteren Publikum wurde Larcenet erst durch die Zusammenarbeit mit Lewis Trondheim bekannt. Als Zeichner tritt Larcenet mit Die Kosmonauten der Zukunft (Poisson Pilote) und Donjon: Parade (Delcourt), die beide bei Reprodukt erschienen sind, die Nachfolge der französischen Geschichtenerzähler der 90er Jahre an und arbeitet dabei mit eben diesen Künstlern zusammen.
Obwohl Ähnlichkeiten zu Trondheim hinsichtlich seiner Ideenvielfalt und der schier unbändigen Produktion existieren, fängt Larcenet gerade in seinem in Deutschland bekanntesten Werk Der Alltägliche Kampf durch einen unverklärten Realismus die pessimistische Grundstimmung unserer Zeit ein. In Frankreich ist er seit dem dritten Band (der Abschlussband Nr. 4 erscheint auf Deutsch im November 2008 bei Reprodukt) übrigens auf dem Weg, einer der ganz Großen zu werden – die damit verbundene Bekanntheit ist ihm aber wohl nicht ganz so angenehm. Seinen zuerst bestätigten Besuch auf dem diesjährigen Comic-Salon sagte er ab.
Doch es wäre zu einfach, Herrn Larcenet nur auf Der alltägliche Kampf zu reduzieren. Bei Reprodukt stellt man dem deutschen Publikum nun die Vielseitigkeit des Franzosen vor: In Zusammenarbeit mit seinem Kompanion Jean-Yves Ferri entsteht in den Jahren 2002 bis 2006 La Retour à la terre, auf Deutsch Die Rückkehr aufs Land.
Wie schon der Titel des aufwändig produzierten Querformats im Original besagt, geht es zurück zu den basics, zurück zur Erde. Der (auto-)biographische Comic handelt von Manu und Mariette, die nach dem Leben in der Stadt Juvisy die Ruhe und Zurückgezogenheit auf dem Land suchen, zumindest was Mariette betrifft. Wie der französische Titel bereits zweideutig andeutet, verhält sich Manu wie ein Außerirdischer, der auf die Erde zurückgekehrt ist und mit den Gepflogenheiten dort – wie dem jährlichen Schweinefest – nicht vertraut ist. Leider schafft es unsere deutsche Sprache nicht ganz, das französische Wortspiel entsprechend wiederzugeben, dafür wird aber der ländliche Aspekt betont.
Die Handlung des Comics ist in einzelne Episoden aufgeteilt, die nach dem Muster des Comicstrip strukturiert sind. Auf einem bis drei Panels bringen Larcenet und Ferri einen Kalauer nach dem anderen. Dabei variieren die beiden ständig zwischen simplen Schenkelklopfern und spitzfindigen Pointen. Der großartige Humor entsteht aber erst, wenn man Die Rückkehr aufs Land als Ganzes liest. Betrachtet man jeden Strip einzeln, überzeugt der Humor noch nicht wirklich. Witze über das Schweinefest und den Wintereinbruch sind zwar ganz nett, aber die richtigen Brüller kommen erst dann zum Vorschein, wenn Larcenet und Ferri in die Welt der Wiederholungen eintauchen. Es sind nämlich keine simplen running gags, welche die beiden Franzosen hier zum Besten geben. Vielmehr handelt es sich um die raffinierte Kunst, den Leser an jedem Witz aktiv teilhaben zulassen. Er ist es, der sich auf zehn Comicseiten über die Gefahr eines Genickbruchs beim Baumfällen belehren lässt, nur um dann bei folgendem Strip in schallendes Gelächter auszubrechen:
Warum ist diese Passage noch gleich so lustig? Der Leser kramt in seinem Gedächtnis und findet nach nur Bruchteilen einer Sekunde die Antwort. Auf diese Weise wird das Album zu einem Riesenwitz, der mit Querverweisen nur so gespickt ist.
Fragt man sich nach der ausführlichen Vorstellung von Larcenet und der Beschreibung der Handlung, was Jean-Yves Ferri eigentlich in diesem Band zu suchen hat, so muss man Mariette das Wort erteilen, die diesen Sachverhalt viel einleuchtender erklären kann:
Wie die beiden im Comic beschreiben, kam es erst zu diesem Album, nachdem Ferri seinem Freund die Idee unterbreitet hat, Lesern von seiner Erlebnissen dieser Landflucht zu berichten. Wie bereits in früheren Koproduktionen von Ferri und Larcenet (Correspondances und La Sens de al vie) zu sehen, ergänzen die beiden sich prächtig und bereiten das unfreiwillig, groteske Landleben für den Leser liebevoll auf.
Vielleicht mag Die Rückkehr aufs Land noch nicht an die Klasse von Trondheims autobiographischem Comic Approximate Continuum Comics herankommen, doch verbindet Larcenet mit Die Rückkehr aufs Land, Der Alltägliche Kampf sowie der Reihe Die wundersamen Abenteuer von … gerade die französische Avantgarde von L'Association mit der unbändigen Freude am Geschichtenerzählen. Dabei gelingt ihm sogar der in Frankreich diskutierten Spagat zwischen Kunst und Kommerz, zwischen L'Association und den großen Verlegern wie Dargaud.
Während sich Reprodukt bei Der Alltägliche Kampf dazu entschieden hat, das Originalalbenformat beizubehalten, wählte man bei der Veröffentlichung von Die Rückkehr aufs Land den französischen Sammelband als Vorlage, dessen Querformat die Ausgaben eins bis drei beinhaltete. Die Frage bleibt nun, ob wir warten müssen, bis Larcenet nach Band vier noch fünf und sechs veröffentlichen muss oder ob sich Reprodukt etwas ausdenkt, um den deutschen Lesern bald mehr von dem Franzosen zu präsentieren.
Nachtrag: Wie Dirk Rehm im Reprodukt-Forum schreibt, wird es keine Nachschubprobleme geben: „Kein Problem, der deutsche Band 1 beinhaltet nur die ersten beiden Alben der französischen Ausgabe und in Frankreich liegen schon vier Bände vor, wir können also nächstes Jahr nachlegen.“
Wir entschuldigen uns für den Faux Pas, freuen uns aber auch, dass es schneller weitergeht als zuerst von uns gedacht.
Die Rückkehr aufs Land 1 – Das wahre Leben
Reprodukt Mai 2008
Text: Jean-Yves Ferri, Zeichnungen: Manu Larcenet
192 Seiten, farbig, 16,5 x 23,5 cm, Hardcover
ISBN: 978-3-938511-82-4
22,- Euro
Leseprobe
Abbildungen: © Reprodukt und Manu Larcenet