Wirklich interessante Thriller bieten mehr als nur einen Mord- oder Kriminalfall. Im Fall von Das geheime Dreieck ist das eine ganze Menge, was da „mehr“ geboten wird. Die Autoren verknüpfen in ihrer typisch frankobelgischen Serie Realismus mit einem Hauch von Phantastik. Sie schlagen die Brücke von der Historie zur Gegenwart und experimentieren dabei auch noch visuell, indem sie konsequent jeweils zwei verschiedene Zeichner für die Gegenwart und die Geschichte zeichnen lassen.
Das ist ein geniales Konzept, weshalb die Serie inzwischen den dritten Zyklus erreicht hat. Der erste Zyklus von Das geheime Dreieck ist zwischen 2005 und 2007 in sieben Bänden bei Ehapa Comic Collection erschienen. Danach nahm sich comicplus+ der Serie von Didier Convard an, der zuletzt mit Tanatos und Vinci (beide Ehapa Comic Collection) auf sich aufmerksam machen konnte. Nach dem zweiten Zyklus I.N.R.I., der von 2006 bis 2008 in vier Bänden veröffentlicht wurde, folgt nun der dritte Zyklus Die Hüter des Blutes, der seit 2009 ebenfalls beim Verlag Sackmann und Hörndl erscheint.
Die Handlung spielt einige Jahre vor Das geheime Dreieck und beleuchtet die militante Loge. Der erste Band „Der Schädel des Cagliostro“ hat den jungen Professor Jean Nomane als vermeintlichen Mörder eingeführt, der nach jahrelanger Abwesenheit unverhofft vor der Wohnung seiner damaligen Freundin aufkreuzt. Auf der Flucht vor Polizei und den Jägern der „Hütern des Blutes“ erklärt er die dunklen und unglaubwürdigen Machenschaften der religiösen Sekte, deren Forscher unmittelbar vor dem Durchbruch zu einer wissenschaftlichen Unsterblichkeitsformel stehen.
Nomane ist nur einer von mehreren Dissidenten, die das Projekt Genom 1 verließen, nachdem sie herausgefunden haben, was das eigentliche Ziel der Hüter des Blutes ist. Im vorliegenden zweiten Band „Deir El-Medina“ bekommt Nomane wieder Oberwasser. Der Professor führt seine skrupellosen Verfolger an der Nase herum und entwischt ihnen, um den Schädel des Cagliostro an seinen B.I.S.-Vorgesetzten, der nur unter dem Pseudonym Monsieur Gregoire bekannt ist, zu übergeben. Im historischen Rückblick wird diesmal die Entdeckung Cagliostros erzählt, die als Grundlage für die Wissenschaftler in der Gegenwart darstellt.
Convard verknüpft auf fesselnde Weise Kulturgeschichte mit Gegenwartscomic. Die Geschichte ist äußerst komplex erzählt und enthält kaum Actionszenen. Die Betonung liegt mehr auf dem rätselhaften Treiben der Hüter des Blutes und dem Geheimnis, dem sie auf die Spur gekommen sind. Das ist ungeheuer spannend gemacht und hebt die Serie weit über das Genre-Durchschnitt.
Das Artwork stammt von Denis Falque, der alle Zyklen mitgezeichnet hat; den historischen Abschnitt hat in „Deir El-Medina“ niemand geringeres als Szene-Größe André Juillard übernommen, der zuletzt mit Lenas Reise (ECC) auf sich aufmerksam machen konnte. Es ist aber nicht die erste Zusammenarbeit von Juillard und Convard, denn Juillard hat auch schon bei Das geheime Dreieck 5: „Die teuflische Lüge“ mitgezeichnet. Mir persönlich gefällt Falques realistischer und detailreicher Strich besser als Juillards leicht reduzierter Strich. Dennoch passt der Stilwechsel sehr gut in das Konzept der Serie und auch in diesen Band.
Die Hüter des Blutes ist eine fesselnde Serie, die mit einer hochkomplexen Erzählweise mehr Wert auf Hirn statt auf Action legt und auf faszinierende Weise Kulturgeschichte mit Gegenwartscomic verknüpft. Ich konnte übrigens problemlos – das heißt ohne Vorkenntnisse der ersten beiden Zyklen – in den dritten Zyklus einsteigen. Die Autoren haben einen Klassiker innerhalb des gehobenen Thrillers geschaffen, den sich nicht nur Genre-Fans auf keinen Fall entgehen lassen sollten.
Wertung:
Innovatives Konzept, tolle Zeichner, komplexe Story – was braucht man mehr?
Die Hüter des Blutes 2 – Deir El-Medina
Comicplus+ (Verlag Sackmann und Hörndl), September 2010
Text: Didier Convard
Zeichnungen: Denis Falque, André Juillard
56 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 14,- Euro
ISBN: 978-3894742058
Abbildungen © Denis Falque, der dt. Ausgabe: Comicplus+