Rezensionen

Die falschen Gesichter

Cover Die falschen GesichterDavid B. gilt als einer der größten Neuerer des Comics. Nicht zuletzt mit seiner schon klassisch gewordenen Erzählung Die heilige Krankheit hat er sowohl inhaltlich als auch formal neue Wege beschritten und damit viele andere Künstler der letzten Jahre maßgeblich beeinflusst. Nicht zu vergessen der kommerzielle Erfolg, der auch bei den etablierten Verlagen den Weg für solch ambitionierte Projekte ebnete und damit zu einem breiteren Publikum dafür führte. Nicht zuletzt durch ihn und seine Mitstreiter der L’Association wurde der moderne Comic geschaffen und nachhaltig das bunte Bild der Landschaft verändert. Auch der Zeichner Hervé Tanquerelle ist mit diesen Künstlern verbunden, wenngleich noch nicht so bekannt. Immerhin verdiente er seine Sporen bei der Serie Professor Bell, welche niemand geringeres als Joann Sfar textete. Letztere konnte durch viele skurrile Einfälle punkten, nicht nur auf der inhaltlichen Ebene, sondern eben auch auf der graphischen. Jetzt liegt mit Die falschen Gesichter ein Band vor, der schon rein konzeptuell etwas überrascht. Schließlich ist er eine reine Kriminalgeschichte, ein „Neo Noir“, wie auf der Buchrückseite behauptet wird. Das schürt natürlich die Neugier, denn ein Erneuerer, der sich eines klassischen Genres annimmt, zusammen mit einem Zeichner, der gerne absurde Ideen einbringt, verspricht einen etwas anderen Zugang. Den jedoch wählen David B. und Tanquerelle nicht.

Stattdessen wird hier ganz klassisch und geradlinig erzählt. Inspiriert von wahren Fällen, berichtet David B. von einer Bande von Bankräubern. Dabei geht er ganz chronologisch vor, indem er Aufstieg und Fall der Gang darstellt. Es handelt sich also auch nicht um eine Heist-Erzählung, in der es immer um einen speziellen Raub geht, dessen Vorbereitung, die Bandenzusammensetzung, Konflikte innerhalb der Gruppe, Widrigkeiten und wie sie damit klar kommen. Stattdessen steht eine nüchterne Chronologie im Fokus: Nach einem blutigen Banküberfall mit anschließender Geiselnahme nehmen sich zwei Ganoven vor, sich auf Banken zu spezialisieren. Mit einer ausgewählten Gruppe verkleiden sich die Gangster, um sich unter die Kunden zu mischen, bis sie zuschlagen. In einer überschwänglichen Stimmung überfallen sie sogar einmal drei Banken an einem Tag. Doch Leichtsinn droht die Bande zu sprengen und auch so manche Nerven machen nicht mehr lange mit.

Seite aus Die falschen GesichterInhaltlich also ein sehr klassischer Krimi und die Neugier, wie wohl David B. sich einem reinen Genrestück nähert, wird etwas enttäuscht. Gut, wenn man sich auf reale Fälle bezieht, bleibt einem nicht unbedingt viel Raum für Änderungen, aber es überrascht doch sehr, wie konventionell der Band aufgebaut ist. Zwar ist der Comic weit davon entfernt, die Banditen zu glorifizieren, aber eine Neuerung findet nicht statt. Doch es gibt einige auffällige Elemente: So stehen merkwürdigerweise die Figuren nicht unbedingt im Vordergrund, was es dem Leser manchmal schwer macht, die einzelnen Banditen auseinanderzuhalten. Vielleicht ging es David B. mehr um die Stimmung und so hat man den Eindruck, dass es sich hier eher um eine kleine Fingerübung für zwischendurch handelt. Offensichtlich hatten der Autor und sein Zeichner einfach Spaß an der Sache. Man spürt die Affinität der beiden zum Genre und das überträgt sich auf den Leser. Wobei es schon erstaunlich und durchaus von Nachteil ist, dass diesem Genrestück die einzelnen Charaktere offenbar nicht sonderlich wichtig waren.

Ein klassicher Noir-Krimi ist Die falschen Gesichter auch nicht. Dieses Genre macht die Ausweglosigkeit des Protagonisten aus. Er sieht sich stets in einer Situation gefangen, aus der er nicht ohne weiteres entkommen kann. Das ist hier nicht der Fall, denn die Banditen könnten ja aufhören und sich ins Ausland absetzen, sie wollen nur nicht.

Trotz mancher Schwächen ist der Band spannend und damit unterhaltsam. Der Blick auf die Geschehnisse ist recht nüchtern, was zwar keine Glorifizierung zulässt, aber auch keine Empathie ermöglicht. So wird jede Sehnsucht negiert. Vielleicht macht gerade dies den Reiz aus. Und auch Zeichner Tanquerelle beugt sich der Objektivität, hält sich mit Eskapaden zurück und liefert hochwertige, solide Zeichnungen ab.

 

Wertung: 8 von 10 Punkten

Ein reines Genrestück vom großen Neuerer David B., das recht konventionell ausfällt aber dennoch zu unterhalten weiß.

 

Die falschen Gesichter
Avant-Verlag, Dezember 2012
Text: David B.
Zeichnungen: Hervé Tanquerelle
Übersetzung: Uli Pröfrock
152 Seiten, zweifarbig, Softcover
Preis: 19,95 Euro
ISBN: 978-3-939080-66-4
Leseprobe

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Abbildungen: © der dt. Ausgabe: avant-Verlag