Rezensionen

Die besten Geschichten von Floyd Gottfredson

Cover Die besten Geschichten von Floyd GottfredsonaltDer Micky-Maus-Zeichner Floyd Gottfredson ist einer der einflussreichsten amerikanischen Disney-Comiczeichner. Von 1929 bis 1976 zeichnete er die Mickey Mouse-Daily Strips, die in zahlreichen amerikanischen Zeitungen abgedruckt wurden. Bis in die 50er Jahre hinein waren das oft Abenteuergeschichten von epischem Ausmaß, später wurde die Veröffentlichung auf abgeschlossene Gagstrips umgestellt. Anders als die später erschienenen Comichefte waren die Strips nicht von vorneherein für Kinder produziert, und während Künstler wie Carl Barks oder der Maus-Zeichner Paul Murry, die für Disneys Comic Books gearbeitet haben, auch in Deutschland über das Micky Maus-Magazin sehr schnell ein Publikum fanden, blieb Gottfredsons Werk gerade bei uns lange Zeit unbekannt. Hierzulande wurden Gottfredsons Geschichten vor allem durch die großformatigen Ich-Bücher (Ich – Micky Maus, Ich – Goofy, Wir – Micky und Minnie etc.) von Melzer und Egmont-Horizont einem größeren Publikum zugänglich gemacht. In den 1980er Jahren versuchte sich der Ehapa Verlag sogar einmal an einer Werkausgabe, die aber leider nach ein paar Ausgaben wieder eingestellt wurde. Seitdem gab es Gottfredson nur noch sehr sporadisch bei uns zu lesen, z.B. als Beilagen-Sonderheft im Micky Maus-Magazin, oder regelmäßig als Teil von Jubiläums-Sonderveröffentlichungen zu runden Geburtstagen von Micky Maus. Alle diese Veröffentlichungen waren sehr vereinzelt und unsystematisch. Auch die Nr. 12 der Autorenreihe Disneys Hall of Fame war Gottfredson gewidmet.

Im Rahmen der neuen Disney-Autorenreihe, die als Nachfolgereihe zur Hall of Fame gesehen werden kann, hat Egmont nun eine weitere gelungene Auswahl mit Gottfredson-Geschichten vorgelegt. Zwar wurden die ursprünglichen Tagesstrips von einer auf jeweils zwei Bildreihen ummontiert, aber das beeinträchtigt das Lesevergnügen keineswegs, denn die kleinen Pointen, die das Ende eines Tagesstrips trotz Fortsetzungscharakters oft markieren, stehen nun eben am Ende jedes zweiten Bildstreifens, was den Leserhythmus zu jeder Zeit aufrechterhält. Die Größe des abgedruckten Materials variiert zwischen drei und vier Bildstreifen pro Seite, was wohl an den unterschiedlichen Vorlagen liegt, die herangezogen wurden. Eine vereinheitlichende Bearbeitung von Ausgangsmaterial ist ja inzwischen eher zur Ausnahme geworden.

Micky als Boxer in der kolorierten Fassung  Micky als Boxer in der amerikanischen Gesamtausgabe von Fantagraphics

„Micky als Boxer“ in der kolorierten Fassung

„Micky als Boxer in der amerikanischen Gesamtausgabe von Fantagraphics

Manche Puristen mögen es anders sehen, aber es macht Spaß, Floyd Gottfredsons Geschichten in einer kolorierten Version zu lesen. – Damit kein Zweifel entsteht, ich bin froh, dass die aktuell in Amerika erscheinende Gottfredson-Gesamtausgabe im originalen Schwarzweiß erscheint, im Rahmen einer Disney-Autorenreihe macht die Kolorierung aber Sinn. Schwarzweiß wäre im Rahmen einer solchen Reihe pures Kassengift und Gottfredsons Maus in Schwarzweiß wäre gegenüber den Werken anderer Disney-Zeichner wohl zu fremdartig. Außerdem liegen natürlich schon kolorierte Fassungen vor, es wäre eine sehr gewagte Entscheidung gewesen, Material in Schwarzweiß zu wählen. Die schwarzweißen Originalstrips – vor allem die frühen Jahrgänge – liegen optisch beinahe noch näher an George Herrimans Krazy Kat als an späteren Disney-Veröffentlichungen, in denen die Vereinheitlichung der Disneyfiguren bereits an ihrem Ende angelangt war. Farbe ist damit eine hilfreiche Annäherung an vertrautes Material. (Vergleich der Versionen siehe Bild 1 und Bild 2).

Ein beliebtes Abenteuermotiv der 30er Jahre: Der Orient (aus Micky Maus bei der Fremdenlegion) Minni ist bei Gottfredson deutlich präsenter als bei Murry (aus Micky Maus und das Nazi-U-Boot)
Ein beliebtes Abenteuermotiv der 30er Jahre: Der Orient (aus „Micky Maus bei der Fremdenlegion“) Minni ist bei Gottfredson deutlich präsenter als bei Murry (aus „Micky Maus und das Nazi-U-Boot“)

Selbst wenn Gamma sich ruhig verhält, ist er für eine Überraschung gut (aus Micky Maus und der dichtende Spion)

Selbst wenn Gamma sich ruhig verhält, ist er für eine Überraschung gut (aus „Micky Maus und der dichtende Spion“)

Aber auch inhaltlich unterscheiden sich die Abenteuer von Gottfredsons Micky Maus deutlich von den Geschichten späterer amerikanischer Zeichner. Gottfredsons Maus ist noch nicht der besserwisserische Detektiv, als den ihn Generationen von Micky Maus-Lesern kennengelernt haben – eine Prägung, die wir vor allem dem amerikanischen Mauszeichner Paul Murry verdanken. Anders als bei Murry sind die Abenteuer weit weniger schematisch und kindgerecht, sondern atmen eher den Geist der Komödien und Abenteuerfilme der 30er Jahre, und das durchgehend auf hohem Niveau und mit viel Witz (Bilder 3 und 4). Gottfredson konnte in seinen Tagesstrips wochenlang Gagkanonaden abfeuern und einen Handlungsstrang danach mühelos ins gefährlich Abenteuerliche übergehen lassen, so z.B. in der Geschichte „Micky Maus und der dichtende Spion“, abgedruckt im aktuellen Buch. Die ersten circa 20 Wochenstrips handeln erst einmal ausschließlich davon, dass Micky der sinnlosen Erfindungen seines Freundes Gamma überdrüssig wird, woraufhin Gamma fieberhaft daran arbeitet, Micky zu beweisen, dass er in der Lage ist, auch Sinnvolles zu erfinden (Bild 5). Das führt zwangsläufig zu allerhand absurden Situationen und geht dann aber allmählich in ein Spionageabenteuer über, in dem ein reimender Spion versucht, Micky und Gamma die Erfindung abzujagen: Einen Regenschirm, der vor atomarer Strahlung schützt. Mit solchen Stories ist Gottfredson näher an Comicklassikern wie Spirou oder Tintin als an den harmlosen Detektivgeschichten Paul Murrys – obwohl ich auch deren nostalgischen Charme zu schätzen weiß.

Micky als BoxerZur Übersetzung muss ich sagen, dass sie eher frei ist. Gottfredson war ein Virtuose im Einsatz von Slang und Soziolekten, was seinen Geschichten Lokal- und Zeitkolorit verleiht. Gerade seine frühen Geschichten, z.B. das im besprochenen Buch abgedruckte „Micky als Boxer“ (Bild 6), zeigen ein noch stark von der Weltwirtschaftskrise geprägtes Amerika, in dem es von Landstreichern, Tagedieben und Ganoven nur so wimmelt und in dem es den Akteuren vor allem darum geht, ihr Geld irgendwie zusammenzuhalten – nicht wie in späteren Mauscomics, in denen Micky Maus regelmäßig einen Goldschatz findet und ihn ebenso regelmäßig für Flugreisen aller Art verbrät. Genau dieses Lokal- und Zeitkolorit geht durch die Übersetzung weitgehend verloren. Dennoch ist sie akzeptabel, denn gerade die Übersetzung von Slang war schon in zu vielen Fällen eher gut gemeint als gut gemacht. Sprachlich ist die vorliegende Ausgabe zu keiner Zeit ein Ärgernis, im Gegenteil: Man liest das Buch gerne.

Damit ist Die besten Geschichten von Floyd Gottfredson eine der erfreulichsten Disney-Veröffentlichungen des Jahres. Auch der redaktionelle Teil mit einem Gottfredson-Interview überzeugt. Nur schade, dass interessante Micky-Maus-Veröffentlichungen weiterhin die Ausnahme bleiben. So ist nur eines von fünf Büchern der aktuellen Autorenreihe bisher der Maus, bzw. einem Mauszeichner gewidmet. Ansonsten dominiert wie eh und je die Ente. Da gibt es noch viel Nachholbedarf.

 

Wertung: 9 von 10 Punkten

Gelungene Auswahl klassischer Micky-Zeitungsstrips – eine der erfreulichsten Disney-Veröffentlichungen des Jahres!

 

Die besten Geschichten von Floyd Gottfredson
Ehapa Comic Collection, August 2012
Text und Zeichnungen: Floyd Gottfredson
176 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 22,- Euro
ISBN: 978-3-7704-3560-9

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Abbildungen © Disney, der dt. Ausgabe: Ehapa Comic Collection. Abb. 2: Disney/Fantagraphics