Die neue „Pornographic Novel“ von Zwerchfell: Ein junger Mann, fast nackt, steht vor einem großen Spiegel. Er wirkt, als bereite er sich gedanklich auf etwas vor, denn die Zeichnerin verwendet mehrere Panels, um zu zeigen, wie die Zeit um ihn verstreicht. Dann – Handlung: Eine Frau öffnet mit einem Schlüssel die Haustür, der junge Mann zieht sich währenddessen eine Schweinsmaske übers Gesicht. „Bleib da stehen“, sagt er der Frau, als sie die Treppe hinaufkommt. Diese reagiert zunächst irritiert, denn der Mann spielt ganz offensichtlich mit seiner Schweinsmaske eine andere Rolle als sonst. Er befiehlt ihr, sich auszuziehen, und die Frau beschließt nach kurzem Zögern, bei diesem Spiel mitzuspielen.
Die Beziehung zwischen den beiden ist zunächst unklar, später wird angedeutet, dass sie wohl in derselben WG wohnen. Beide sind ganz offensichtlich bereit, eine Grenze zu überschreiten, die bisher stets gewahrt wurde. Viele Andeutungen geben dieser Überschreitung Ausdruck: die Schweinsmaske, das Löschen einer Zigarette im Sektglas, das Davonschleudern eben dieses Glases.
Es ist der Comic-Debütantin Maria Hen hoch anzurechnen, dass der Sex in dieser „Pornographic Novel“ authentisch inszeniert ist. Schon die Darstellungen von kleineren Berührungen geben eine Ahnung davon, wie elektrisierend sich die Realität anfühlen würde. Natürlich folgen nach der Annäherung die üblichen, weiteren Handlungen, die der durch Porno geprägten Vorstellung entsprechen, bis es – wohl aus Angst vor der ungewohnten Rolle – zu einer Übersprungshandlung kommt: Sie stößt ihn weg, rennt in sein WG-Zimmer, bricht eine Diskussion vom Zaun und zückt ein Messer. Man ist eben – trotz des Wunsches, lang gehegte Fantasien auszuleben – doch in alte Konventionen verstrickt. Die ungewohnte Situation legt ungeahnte Züge frei.
Es ist wohl kaum zu viel verraten, wenn ich erwähne, dass nach diesem Intermezzo noch lange und erfolgreich gevögelt wird. Alles andere wäre für einen Comic, der sich pornografisch nennt, auch kaum statthaft. Es handelt sich aber bei aller Direktheit und Großaufnahme zu keinem Zeitpunkt um stupide Rein-Raus-Inszenierung. Man ist niemals nur Zuschauer, sondern identifiziert sich mit den Figuren. Etwas Besseres kann einem bei pornografischem Material eigentlich gar nicht passieren.
Die Zeichnungen sind bei aller anatomischen Korrektheit auf gekonnte Weise minimalistisch, sie erinnern an die Arbeiten des dänischen Zeichners Teddy Kristiansen. An einigen Stellen hätte ich mir etwas klarere Dialoge gewünscht. Zwar ist es gut, wenn ein Comic zum Mitdenken anregt und nicht jedes Detail vorkaut und auserzählt, doch sollte wenigstens an jeder Stelle klar sein, welche Person gerade spricht. Dennoch bereichert es die Geschichte enorm, dass man als Leser gefordert ist, nicht erzählte Leerstellen mit der eigenen Fantasie zu ergänzen.
Wertung:
Ohne viele Worte und dennoch psychologisch. Ein interessantes Debut.
Das Schwein
Zwerchfell Verlag, Mai 2014
Text und Zeichnungen: Maria Hen
45 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 8,- Euro
ISBN: 978-3-943547-10-8
Leseprobe
Abbildungen: © Maria Hen/Zwerchfell