Rezensionen

Coraline

 Im Jahr 2002 veröffentlichte Neil Gaiman seinen Roman Coraline, der als gruseliges Märchen für Jugendliche konzipiert war. Kürzlich war die Filmadaption dieser Geschichte in den Kinos zu sehen. Noch während dieser Film entstand, arbeitete Comiczeichner P. Craig Russell an einer Comicversion von Coraline. Sie erschien 2008 in den USA und inzwischen auch auf Deutsch. Vergleicht man die beiden Adaptionen, sind zwei – vor allem visuell – völlig unterschiedliche Geschichten entstanden.

Der Ausgangspunkt von Coraline erinnert nicht wenig an Klassiker wie Alice im Wunderland oder Der Zauberer von Oz: Ein kleines Mädchen gelangt durch ein Portal in eine Parallelwelt, die sehr anders ist als die bekannte Alltagswelt. Im Fall von Coraline ist das Portal eine Tür in einem großen, sehr alten Haus, in das sie vor kurzem mit ihren Eltern gezogen ist. Beide Eltern sind berufstätig und haben sehr wenig Zeit für das Mädchen. Einzelkind Coraline fühlt sich vernachlässigt und kämpft mit der Langeweile. Hinter der Tür jedoch wohnen die „anderen Eltern“ – scheinbar identische Ebenbilder ihrer richtigen Eltern, nur dass sie äußerst zuvorkommend sind, sich sehr um Coraline kümmern, ihr viele Wünsche erfüllen und auch noch hervorragend kochen können.

 Eins allerdings ist beunruhigend: Die „anderen Eltern“ haben keine Augen, sondern angenähte Knöpfe im Gesicht, und sie wollen, dass auch Coraline sich Knöpfe annähen lässt. Wirkt die Welt auf der anderen Seite der Tür anfangs noch wie eine verlockende Alternative, stellt sie sich schon bald als Bedrohung heraus, nicht nur für Coraline selbst, sondern auch für ihre Eltern. Das Mädchen muss nun all seinen Mut und seine Schlauheit zusammennehmen, um sich gegen die böse „andere Mutter“ durchzusetzen.

Die Kinoadaption, die von Henry Selick (Nightmare Before Christmas) als Stop-Motion-Film in 3D-Technik umgesetzt wurde, lebt vor allem von der visuellen Umsetzung; der Film ist ein wahres Fest der Formen und Farben, spielt verschwenderisch mit visuellen Ideen und überwältigt den Zuschauer immer wieder mit eindrucksvollen Bildern.

Im Vergleich zu dem Film wirkt P. Craig Russells Comic auf den ersten Blick geradezu trist. Die Farben sind blass, Umwelt und Figuren sind realistisch gezeichnet (während das Character Design des Films auf knuffige oder groteske Karikaturen setzt), detaillierte Hintergründe werden nur sehr selten und sparsam eingesetzt. Doch Russell versteht es, aus seiner eher kargen Grafik das Beste herauszuholen: sein Storytelling, die Art und Weise, wie er den Leser an die Hand nimmt und durch die Geschichte führt, funktioniert hervorragend. Nach wenigen Seiten ist man „drin“ in der Handlung und lässt sich von ihr mitnehmen.

 Wie bereits angedeutet, hat Gaimans Märchen nicht zu übersehende düstere und schaurige Aspekte – für sehr kleine Kinder ist Coraline daher wohl nicht geeignet. Für den Comic gilt dies noch mehr als für die Verfilmung. Durch den Verzicht auf alles Niedliche oder Heimelige ist Russells Coraline-Version die beklemmendere. Bei ihm sehen die knopfäugigen Eltern noch eine Ecke unangenehmer aus als im Film und die Atmosphäre ist eine deutlich kühlere.

So ist Coraline ein sehr schönes Beispiel dafür, wie verschieden sich literarische Vorlagen umsetzen lassen. Die Story von Neil Gaiman hat genug Potential, dass sich ihre Magie auf ganz unterschiedliche Weise transportieren lässt. Beide Adaptionen sind – jede auf ihre eigene Art – gelungen und sehens- bzw. lesenswert.

Coraline
Panini Comics, Februar
2009
Nach dem Roman von Neil Gaiman
Adaption und Zeichnungen: P. Craig Russell
Softcover; 200 Seiten; farbig; 19,95 Euro
ISBN: 978-3-86607-819-2

Auch als Hardcover für 29,95 Euro erhältlich

Grafisch etwas karge, trotzdem gelungene Comic-Umsetzung

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Abbildungen: © Panini Comics