Das Schreiben über Comics, die Sekundärliteratur, fristet hierzulande nach wie vor ein Nischendasein. Zwar gibt es mittlerweile eine gesteigerte Aufmerksamkeit der Feuilletons, reichlich Material im Internet und relativ viele wissenschaftliche Publikationen, die sich mit Comics beschäftigen; doch es erscheinen nur ganz wenige Periodika, die sich in regelmäßigen Abständen mit dem Medium in all seinen Facetten beschäftigen. Neben der Comixene und dem Comic!-Jahrbuch des ICOM ist hier vor allem Volker Hamanns Reddition zu nennen, die schon seit 1984 monothematische Dossiers veröffentlicht.
Aus dessen Verlag Edition Alfons kommt nun ein neues Jahrbuch, das einmal pro Jahr „Berichte und Analysen zum deutschsprachigen Comicmarkt“ liefern will. Die erste Ausgabe des Comic Report erschien im Mai, herausgegeben von Volker Hamann und Matthias Hofmann, der bei der Website Splashcomics als Chefredakteur für Rezensionen zuständig ist. Für die Premiere versammelten die beiden eine beachtliche Schar von teils namhaften Autoren (u.a. Eckart Sackmann, Klaus Schikowski und Joachim Kaps), die mit zahlreichen Beiträgen versuchen, das ganze Spektrum der hiesigen Comiclandschaft abzudecken.
Der 144 Seiten starke Comic Report 2011, der inhaltlich das Jahr 2010 abdeckt, gliedert sich in vier große Abschnitte: Den Anfang macht eine umfangreiche Titelstory von Volker Hamann über Jerry Spring, den Westerncomic von Jijé, der letztes Jahr in einer aufwendigen Gesamtausgabe wiederveröffentlicht wurde. Der Abschnitt „Events & Jubiläen“ berichtet von einzelnen Ereignissen wie dem Gratis-Comic-Tag oder dem Comic-Salon Erlangen und liefert Rückblicke auf 25 Jahre Comicplus+-Verlag oder 100 Ausgaben Strapazin. Im Ressort „Entwickungen 2010“ werden dann verschiedene Aspekte der Comicbranche beleuchtet, die das vergangene Jahr geprägt haben. Das reicht von einer allgemeinen Abhandlung zum umstrittenen Begriff „Graphic Novel“ bis zu Überblicksartikeln über den Manga- oder den Superheldenmarkt. Aber auch Artikel zu einzelnen Verlagen (Wick Comics, Ch. A. Bachmann) oder Publikationen (Comix, Fix und Foxi, Wormworld Saga) sind hier zu finden.
Den vierten und letzten Abschitt, den „Marktreport 2010“ darf man wohl als den eigentlichen Kern des Comic Reports betrachten. Während man sich die übrigen Artikel auch in anderen Publikationen vorstellen könnte, findet das neue Jahrbuch hier sein Alleinstellungsmerkmal: Zahlen und Fakten in beeindruckender Fülle sowie Statements direkt aus der Branche (sowohl von Seiten der Verlage als auch aus dem Fachhandel). Überraschenderweise sind hier auch vielfach die sonst so oft verschwiegenen Auflagenzahlen und andere Insider-Infos genannt. Dass jegliches Zahlenwerk immer mit Vorsicht zu genießen ist, zeigt ein fachkundiger Artikel von Kai-Steffen Schwarz vom Carlsen Verlag sehr schlüssig auf.
Neben Überblicksartikeln zur allgemeinen Marktlage, zur Situation im Buchhandel und in den Comicshops werden unter der Überschrift „Die ganze Bandbreite“ die deutschsprachigen Comicverlage und ihr Programm in kurzen, durchaus auch kritischen Porträts vorgestellt und ihre Protagonisten befragt. Leider reichte hier der Platz nicht für alle aus, so dass etliche Verlage nur in äußerst knapper Form Erwähnung finden. In Zukunft soll dieses Segment aber ausgebaut werden.
Es ist schade, dass der Marktreport nicht soviel Platz bekommt, wie er eigentlich benötigen würde. Genau dieses Segment bietet Inhalte, die es in dieser Form bisher nicht zu lesen gab, die den Comic Report von anderen Formaten unterscheiden und ihm ein Profil verschaffen. Nichts gegen das gut geschriebene und recherchierte Porträt von Jijé und seiner Schöpfung Jerry Spring, aber eignet sich dieser Blick in die Vergangenheit, der Fokus auf einen mehr als 50 Jahre alten Comic wirklich als Aufmacher für ein Jahrbuch, das eigentlich den aktuellen Stand der Comicbranche im Jahr 2010 widerspiegeln möchte?
Was die Breite des Themenspektrums angeht, macht der Comic Report vieles richtig: Dass hier ein Avantgarde-Magazin wie Strapazin gleichberechtigt neben dem nostalgisch geprägten Verein INCOS steht, ist nicht selbstverständlich und verdient großes Lob. Allerdings gibt es in Comic-Deutschland auch Bereiche, die in dem Jahrbuch extrem unterrepräsentiert sind oder gar nicht vorkommen. Hier sind vor allem die Webcomic-Szene und die Zeitungscomics zu nennen. Möglicherweise liegt das an der Konzentration auf den Comic-Markt, also auf das, was unmittelbar auf einem Ladentisch verkauft werden kann. Der kommerzielle Aspekt von Comics wiegt im Comic Report deutlich schwerer als der kulturelle Aspekt (was man aber, gerade im Hinblick auf die Abgrenzung zu anderen Magazinen und Jahrbüchern, durchaus positiv sehen kann).
Insgesamt überzeugt der erste Comic Report durch seinen Faktenreichtum und die große Themenvielfalt zu einem äußerst günstigen Preis von 9,95 Euro. Natürlich gibt es noch Anlaufschwierigkeiten (nicht alle Artikel sind inhaltlich und sprachlich auf gleich hohem Niveau, manchen Texten hätte ein gründlicheres Lektorat gut getan), trotzdem kann sich die Debütausgabe sehen lassen. Wer sich umfassend mit Comics (vor allem auch mit ihrer kommerziellen Seite) beschäftigt, egal ob als Leser, Sammler oder selbst in der Branche Aktiver, findet hier viele wertvolle Informationen und wird den Report womöglich auch noch Jahre später als Nachschlagewerk nutzen. Für künftige Ausgaben würde dem Jahrbuch eine stärkere Fokussierung auf die aktuelle Marktsituation guttun – Porträts von Comicklassikern sind anderswo besser aufgehoben und auch auf die relativ beliebige Auswahl von wenigen, allesamt positiven Rezensionen einzelner Comics könnte man in Zukunft verzichten und damit mehr Platz für jene Inhalte schaffen, die in anderen Zeitschriften und Jahrbüchern nicht zu finden sind.
Wertung:
Das neue Jahrbuch liefert einen ordentlichen Auftakt und könnte sich durch ein klareres Profil in Zukunft unentbehrlich machen.
Comic Report 2011
Edition Alfons, Mai 2011
Herausgegeben von Volker Hamann und Matthias Hofmann
144 Seiten, teilweise farbig, Softcover
Preis: 9,95 Euro
ISBN: 978-3-940216-6
Leseprobe
Abbildungen © Edition Alfons
Offenlegung/Disclosure: Der Comic Report enthält auch Beiträge von Mitgliedern der Comicgate-Redaktion (Daniel Wüllner und Marc-Oliver Frisch)