Rezensionen

Comic-Analyse

Comic-Analyse CoverDie Geschichte der Comic-Wissenschaft ist eine Geschichte vieler Missverständnisse. Sicherlich verdient jede Bemühung, diese Missverständnisse aufzuklären, zunächst einmal unser Lob, ohne dabei auf Onomatopoesie im Titel („Pow! Peng! Die Welt der Comics“) zurückzugreifen. Jabok F. Dittmar hat gerade einen solchen Versuch mit dem simplen Titel Comic-Analyse bei der UVK Verlagsgesellschaft veröffentlicht. Bereits auf dem Klappentext verspricht der Verlag „eine Systematisierung des Blicks auf den Comic“, was ja im Prinzip eine gute Sache ist, doch leider vollzieht Dittmar diesen Blick nicht ganz so systematisch wie angekündigt.

Im Vorwort widmet sich der Autor erst einmal der wichtigsten Aufgabe: Er beschreibt, was er alles nicht mit seinem Buch bewerkstelligen möchte. Es soll also nicht um die Unterschiede zwischen Manga und europäischen Comics gehen. Auch wird „keine weitere Geschichte des Comics“ geschrieben. Die schwer zu beantwortende Frage, ob Comics nun Kunst sind, wird ebenso ausgeklammert wie „der subjektive Umgang mit Quellen“. Im Zentrum des Buches soll vielmehr „eine umfassende gemeinsame Grundlage für die Analyse von allen Arten von Comics“ stehen. Wir dürfen uns also auf eine wissenschaftliche „Auseinandersetzung mit dieser Erzählform“ freuen.

Leider wählt Dittmar für seine „Auseinandersetzung“ einen recht ungewöhnlichen Einstieg; um die allgemein sehr unliebsame Frage der Definition von Comics zu umgehen, entscheidet sich der Autor dazu, auf zwanzig Seiten das Verhältnis von Comics zu anderen Medien zu beschreiben. Es werden verschiedene Trägermedien und Erscheinungsformen  (Zeitungsstrips, Comic-Hefte oder auch Graphic Novels) besprochen, zeitliche Abstände in der Rezeption von Comics hinterfragt und auf moderne Inkarnationen, wie den digitalen Comic, hingewiesen. Was Dittmar nachzeichnet ist aber nichts anderes als eine „weitere Geschichte des Comics“, die sich zwar unter dem Deckmantel der Medienoberservation präsentiert, aber dennoch eben nur eine historische Einordnung eines medialen Gegenstandes ist. In epischer Breite wird beschrieben, wie der Rahmen eines panels (dieses Wort taucht komischerweise das erste Mal auf Seite 68 auf) den Bildschirm eines Fernsehers simuliert. Wie soll aber eine „Systematisierung des Blicks“ beim Leser stattfinden, wenn der Autor mediale Diskurse führt, ohne zuvor die einzelnen Bestandteile eines Comics erläutert zu haben?

Obwohl der Titel des nächsten Kapitels eine Definition verspricht, wird zunächst mit Zitaten von Wissenschaftlern und Kritikern etwas über das Erzählen als solches gefachsimpelt. Interessant ist hier zu beobachten, welchen Stimmen Dittmar Gehör verschafft. Neben bekannten Namen von Comic-Künstlern wie Will Eisner und Scott McCloud kommen vor allem Filmwissenschaftler wie David Bordwell, Knut Hickethier und James Monaco zu Wort. Selbstverständlich treffen ihre allgemeinen Aussagen über das Erzählen den richtigen Ton, doch verwendet Dittmar die Aussagen selbiger Autoren auch als direkte Zitate in Bezug auf die genuine Form des Comics. Während er selbst auf die Unterschiede zwischen den einzelnen Medien hinweist, scheinen diese für ausgewählte Fachleute nicht zu gelten.

Neben den Diskursen über verschiedene Erzählformen vergisst der Autor beinahe, seinem Leser eine passable Definition zu bieten. Ganz unprominent lässt er wissen, was einen Comic ausmacht: „Comic ist eine Sequenz von Bildern oder Bildelementen, die einen Handlungsstrang oder Gedankenflug erzählen.“ Ohne genauer darauf einzugehen, werden Gegenpositionen negiert, werden über 30 Jahre alte Definitionen des Comics hervorgekramt und kritisiert und es wird über den Status von Sprechblasen lamentiert. Nach der Gegenüberstellung der einzelnen Positionen ist eine eigene Definition einfach unabdingbar.

Die beiden nachfolgenden Kapitel „Rahmen“ und „Bild“ erfüllen zum ersten Mal die Absicht des Autors und setzen sich interessant mit dem gut gewählten Bildmaterial auseinander. Form und Gestaltung von Rahmen und Bildern werden an Fallbeispielen durchdekliniert. Doch auch hier lässt sich Dittmar zu Aussagen hinreißen, die nicht ganz nachzuvollziehen sind:

„Text und Bild stehen in Ergänzung zueinander, beides sind Elemente der Erzählung, die gemeinsam die Narration tragen. Wo eine Konkurrenz zwischen beiden festzustellen ist, bedeutet das eine entsprechende kompositorische Schwäche des Comics.“

Eine solch eingeschränkte Sichtweise bietet sich nicht zur strukturellen Analyse von Comics an, sondern verbaut die Möglichkeit, ein Medium mit sich ständig erneuernder Systematik zu verstehen und entsprechend zu erläutern.

Seine teils sehr komplexen Kommentare und teils widersprüchlichen Aussagen ergänzt der Autor durch das Fachwissen bekannter Medienkritiker. Leider wirken die Zitate von Jan Assmann oder auch Susan Sonntag aus dem Zusammenhang gerissen und Dittmar selbst kann diese durch kurze ergänzenden Bemerkung nicht ausreichend in seine Argumentation einbauen, beispielsweise Sonntags Zitat aus ihrem bekannten Werk On Photography: „Jedes Darstellen hat eine ästhetische Wirkung, völlig unabhängig von den dabei festgehaltenen Themen und Handlungen.“ Selbstverständlich lässt sich Sonntag kaum widersprechen, doch schafft es Dittmar nicht, dieses Zitat homogen mit seinen Argumenten zu verbinden. Der Leser wird mit dem Ausspruch alleingelassen.

Während auch Meinungen von Künstlern sicherlich wichtige Beiträge zur Debatte über den Comic darstellen könnten, nutzt Dittmar die Kommentare von zu vielen verschiedenen Künstlern, wobei deren Beiträge im Gehalt variieren. So meint z.B. Zeichner Dave Gibbons zu Comics, die von Text nur so überlagert sind: „Wichtig ist, dass die Geschichte stimmungsvoll transportiert wird.“ Ein Allgemeinplatz, der das Projekt der „Systematisierung des Blicks“ nicht wirklich voranbringt, da Comic-Analyse ja kein „How to“-Buch sein soll.

Es ist vor allem die Unschärfe, die das ambitionierte Projekt nicht gut aussehen lässt. Über das „Lesen von Bildern“ von links nach rechts wird zwar in aller Breite referiert, doch fehlt ein kurzer Satz, der dem Leser zu verstehen gibt, dass in Ländern wie Japan die Leserichtung eben von unten nach oben und von rechts nach links verläuft. Diese Tatsache wird als Allgemeingut angenommen und immer wieder als Verweis an späteren Stellen benutzt. Fachbegriffe wie lettering werden erst drei Seiten nach der eigentlichen Diskussion über verschiedene Wirkungen von Schrifttypen im Comic genannt. An anderer Stelle attestiert Dittmar zu Beginn eines Unterkapitels: „Texte in Blasen sind Denk- oder Sprechakte und damit nicht Teil der Bilder selbst“, nur um seine Aussage zwei Seiten später wieder zu revidieren „[…] da die Texte beziehungsweise Textträger zu grafischen Elementen des Bildes geworden sind“. Eben an diesen scheinbaren Allgemeinplätzen und Widersprüchen scheitert das Projekt der „Systematisierung des Blicks auf Comics“.

Erst im Kapitel „Konstruktion der Narration“ gelingt es Dittmar, seinen geschärften Blick in ein System umzuwandeln und dieses auch dem Leser entsprechend näher zu bringen. Während viel zu oft darüber gefeilscht wird, wie viel Text und wie viel Bild im Comic erlaubt sei, kommen die wichtigen Fragen zur Sequenz im Comic sehr oft zu kurz. Der Autor nimmt die richtige Distanz zum Anschauungsmaterial ein und erläutert anhand von verschiedensten Modellen die Möglichkeiten von Variation und Wiederholung für die einzigartige Erzählweise des Comics. Um den Überblick abzurunden, werden selbstverständlich auch Aspekte wie Farbe, Stil, Genre und die Darstellung der Zeit im Medium untersucht. Diese Untersuchungen werden kurz und knapp, aber dennoch zur Genüge durchgeführt.

Auch wenn jede wissenschaftliche Publikation zum Medium Comic auf dem deutschen Markt per se ein Grund zur Freude ist, muss dennoch der Blick auf die Art und Weise, wie mit den bunten Bildern umgegangen wird, geschärft werden. Während Jakob Dittmar in Comic-Analyse den Leser einlädt, Comics genauer unter die Lupe zu nehmen, gerät leider die Übermittlungsarbeit aus dem Fokus. So verfährt Dittmar wie mit einer Lupe, die er unentwegt schnell an sein Anschauungsmaterial heranführt, nur um sie sofort wieder wegzuziehen. Obwohl der Autor im Text auf sehr aktuelle Sekundärquellen verweist – die aktuellste von 2006 -, würde man sich als Leser bei dem Projekt die Konkretheit eines Thierry Groensteen wünschen, der bereits vor einigen Jahren mit The System of Comics das Medium systematisch betrachtete.

 

Comic-Analyse
UVK Verlagsgesellschaft mbH, 2008
Text: Jakob F. Dittmar
210 Seiten, schwarz-weiß, Softcover; 29,- Euro
ISBN: 978-3-86764-123-4
Inhaltsverzeichnis (PDF)
Leseprobe (PDF)

Comic-Wissenschaft aus dem Fokus geraten

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Bilder © UVK-Verlagsgesellschaft mbH