Christophe Arleston ist schon ein kleines Phänomen. Woher nimmt der Mann bloß die Zeit, um all seine Alben zu schreiben? Mittlerweile hat er so viele Serien (u.a. Troll von Troy, Lanfeust von Troy) und ihre jeweiligen Einzelbände auf dem Konto, dass er inzwischen als einer der Produktivsten des franko-belgischen Comics gelten muss. Insofern überrascht es nur wenig, dass er seit einiger Zeit von der Autorin Melanyn unterstützt wird. Irgendwann muss er ja auch einmal schlafen.
Chimaira 1887 ist nun allerdings relativ untypisch für Arleston. Was seine Fans vielleicht enttäuschen dürfte, wird wiederum wohl alle erfreuen, die dem Autor mittlerweile ständige Selbstzitate und Wiederholungen vorwerfen. Denn die üblichen Zutaten, wie etwa Witz verbunden mit Brutalität und sozialkritischen Einwürfen, sind hier nicht zu finden. Vielmehr ist der Band eine Liebeserklärung an das Paris von 1887, auch wenn es inhaltlich nicht unbedingt harmonisch zugeht. Das junge Mädchen Chimaira wird in Paris an ein Bordell verkauft, nachdem die Pflegeltern es nicht mehr „durchfüttern“ wollen. Während die freche Chimaira versucht, sich in dem Haus zurechtzufinden, muss sie sich auch zwischen diversen Intrigen hindurch lavieren. Doch diese finden nicht nur zwischen den Mädchen statt, sondern auch bei den Besuchern. Denn Frankreich befindet sich im Umbruch und im Bordell finden auch wichtige Geschäftsessen statt. Insbesondere der Bau des Panamakanals führt zu folgenreichen Entwicklungen.
Schon an der Handlung kann man ersehen, wie sehr sich Arleston von seinem angestammten Bereich der Fantasy entfernt hat. Chimaira 1887 ist in bedingtem Maße eine Historienserie und der Schauplatz eines Bordells ermöglicht auch wenig Humor, da man einerseits den Prostituierten mit Respekt begegnen und andererseits das soziale Elend nicht verharmlosen sollte. Vielmehr ermöglicht der Schauplatz ein Sittengemälde des Paris von 1887, bei dem Geschäfte und Politik gerne in Salons oder wie hier in Bordellen getätigt wurden. Dementsprechend steht „Die purpurrote Perle“ (der Name sowohl des Auftaktbandes als auch des Bordells) im Mittelpunkt. Aber es geht nicht nur um Intrigen zwischen den Mädchen, was schon spannend genug ist, aber etwas an eine Seifenoper erinnert, sondern auch um die Ränkespiele der Politik, welche auch vor kriminellen Handlungen nicht Halt machen. Die Mädchen können da schnell zwischen alle Fronten geraten und da sie relativ rechtlos sind, können sie sich auch nicht wehren.
Diese bedrohliche Stimmung, begraben unter all dem Plüsch, macht die Serie schon recht spannend. Hinter all dem Glitzer und der Pracht herrscht tiefes Elend und Missbrauch. Es ist schon sehr geschickt, anhand der Hauptigur, die noch die offenen Augen eines Kindes hat, den Leser in das Haus und das Milieu einzuführen. Und da Chimaira noch ein Kind ist, ist der Band im Hinblick auf (explizite) Erotik auch sehr zurückhaltend. Was das Ganze aber noch spannender macht, ist, dass die Heldin wohl weit weniger naiv ist, als es scheint, sondern ihre eigenen Pläne verfolgt. Sie ist wohl nicht ganz so unschuldig wie es ihr Äußeres vermuten lässt.
Faszinierend ist auch der Blick auf das Milieu und in die geschilderte Welt. Denn Zeichner Vincent gestaltet dieses Setting sehr atmosphärisch und sehnsuchtsvoll. Jedem Panel merkt man die Liebe zu der damaligen Zeit an. Auch die Farbgebung von Piero ist exzellent. Die eigentliche Handlung und wie sich die einzelnen Handlungsstränge miteinander verknüpfen, wird in diesem Band noch nicht sehr offensichtlich, so dass man auf die Fortsetzung gespannt sein kann. Es gehört übrigens auch zu den Vorzügen des Bandes, dass hier keine Sozialromantik (Stichwort: Hure mit goldenem Herzen) etabliert wird.
Wertung:
Atmosphärische und faszinierende Liebeserklärung an das Paris von 1887, deren Handlung erst noch richtig starten muss.
Chimaira 1887 1 – Die purpurrote Perle
Splitter Verlag, August 2012
Text: Christophe Arleston, Melanyn
Zeichnungen: Vincent
Übersetzung: Tanja Krämling
48 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 13,80 Euro
ISBN: 978-3-86869-503-8
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Splitter Verlag