Rezensionen

Chew 4&5

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chew4 coverBeginnen wir traditionsgemäß mit der schlechten Nachricht: „Flambiert“, der vierte Chew-Sammelband um den US-Bundesagenten und Chibopathen Tony Chu, der durch Verspeisen einer jeden essbaren Materie deren Vorgeschichte erfährt, hat mich nicht mehr so begeistert wie die Bände 1, 2 und 3. Dabei bietet dieser Band wiederum reichlich faszinierend-bizarre Ideen, tolle Figuren in aberwitzigen Situationen, treffsichere Dialoge und nicht zuletzt weit aus der Comicmasse herausragende Zeichnungen. Wir erfahren mehr über Tonys Tochter Olive und seine Schwester Antonelle „Toni“ Chu, erleben ein überraschendes Wiedersehen mit Terror-Kampfhahn Poyo, begleiten Tonys Ex-Partner Mason Savoy bei einer chibopathischen Erfahrung, die ihm beinahe den Verstand kostet, lernen noch mehr Menschen mit besonderen Ess-Begabungen sowie „Die Kirche der Heiligkeit der ungerührten Dotter“ kennen und entdecken zumindest eines der Geheimnisse von Area 51 – und das ist rosafarben und riecht ziemlich übel.

chew04 1Um gleich eine Entwarnung hinterherzuschicken: Es sind nur Kleinigkeiten, die das sensible Rezensenten-Gemüt bei der Lektüre störten. So wird der satirische Witz, den die mit bombastischen Brüsten und unglaublicher Wespentaillen ausgestattete USDA-Agentin in Band 2 verkörperte, hier gehörig überstrapaziert, wenn ein ganzes Rudel gleich gebauter Superagentinnen den Comic bevölkert. Die Cyborg-Tiere (inklusive Goldfisch im Glas), welche besagte Agentinnen als Partner begleiten, scheinen selbst für einen Comic wie Chew etwas zu bescheuert und over-the-top. Und der Zwischenplot um die gefährlichen Wundergeschosse will auch nicht so richtig zünden und in Fahrt kommen. Zugegeben: Angesichts der geballten Qualitäten des Comics ist das natürlich Korinthenkackerei und Jammern auf extrem hohem Niveau. Es zeigt zugleich beeindruckend auf, wie hoch das Kreativteam aus Autor Layman und Zeichner Guillory die Messlatte mit den bisherigen Chew-Teilen gelegt hat. Wäre dies ein Serieneinstand, wären diese Kritikpunkte vermutlich gar nicht zur Sprache gekommen. Ein klarer Fall von Rezensenten-Ansprüchen also, die sich der gebotenen Qualität der Serie schnell angepasst haben.

chew5 coverNach dieser subjektiv empfundenen, klitzekleinen Qualitätschwankung überzeugte mich der Nachfolgeband „Erste Liga“ dann auch gleich wieder auf der ganzen Linie. Hier wird Protagonist Tony dank seines intriganten Chefs von der mächtigen Lebensmittelbehörde FDA zur Verkehrspolizei versetzt – was ein paar extrem komische Szenen zur Folge hat – und gerät schließlich in die Hände einer Gruppe soziopathischer Baseballfans, die mit seiner erzwungenen Hilfe einen wirklich widerwärtigen und zugleich unfallartig-faszinierenden Plan umsetzen wollen. Tonys Entführung bietet nicht nur Spannung, sondern auch mehr Raum für die toll ausgearbeiteten Nebenfiguren: seine Tochter Olive, die einiges mit ihrem Vater gemeinsam und es zudem faustdick hinter den Ohren hat; den stil- wie geheimnisvollen Ex-Bundesagenten Mason Savoy und seinen Verbündeten, den nicht minder stilvollen FDA-Agenten Caesar, die ihre eigenen Ermittlungen in Sachen Vogelgrippe betreiben; Tonys – mit ihrer ganz eigenen „kulinarischen Fähigkeit“ versehene – Freundin Amelia sowie seinen an extremer Selbstüberschätzung leidenden Cyborg-Partner John Colby. Zudem wird vorgeführt, was man mit der richtigen Begabung alles mit Schokolade anstellen kann. Hochgefährlich, das Zeug!

Genau so wichtig wie John Laymans Gespür für die richtige Mischung aus Pulp-Ekel, Comedy und spannendem Thriller erweist sich auch in diesen Bänden Rob Guillorys grafische Umsetzung, die man gar nicht oft genug loben kann. Egal ob hochkomischer Slapstick, knochenbrechende Action oder unangenehme Folterszenen – Guillory, der in Personalunion zeichnet, tuscht und koloriert, beherrscht alles meisterhaft und versteht sich ebenso auf atmosphärischen Farbeinsatz. Einem solchen Künstler nimmt man selbst die unglaublichsten Szenen ab. Und da ist er bei Chew genau richtig.

 

Wertung: 9 von 10 Punkten

Weiterhin erste Liga: Was auch immer das Kreativteam von Chew eingeworfen hat, es sollten viel mehr Comickünstler zu sich nehmen.

 

Chew – Bulle mit Biss
Cross Cult
Text: John Layman
Zeichnungen: Rob Guillory
Übersetzung: Marc-Oliver Frisch
je 128 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: je 16,80 Euro

Band 4: Flambiert
März 2012
ISBN: 978-3-942649-21-6
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Band 5: Erste Liga
Dezember 2012
ISBN: 978-3-86425-130-6
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Abbildungen © John Layman/Rob Guillory, der dt. Ausgabe: Cross Cult

 
Disclosure/Offenlegung: Die deutschen Ausgaben von Chew 4 und 5 wurden von den Comicgate-Redakteuren Marc-Oliver Frisch und Frauke Pfeiffer übersetzt bzw. lektoriert.