In letzter Zeit ist die Veröffentlichung von Gesamtausgaben nahezu zum Standard geworden. Und so gut wie in jedem Fall sind die Ausgaben auch sehr gelungen. Zeichnungen werden restauriert, mit Extramaterial versehen und in schönen Hardcovereditionen auf den Markt gebracht. Der Splitter-Verlag bringt nun in seiner Collectors Edition eine klassische Westernserie erneut auf den Weg: Jonathan Cartland.
Im ersten Band der dreiteiligen Integralreihe finden sich die ersten vier Abenteuer des Trappers aus den Jahren 1974 bis 1978. Allesamt in hervorragender Qualität und mit einem sehr gelungenen Editorial versehen, welche die teilweise recht schwierige Entstehungsgeschichte der Serie beleuchtet. Was vor allem an der Positionierung lag: Neben Lucky Luke und Leutnant Blueberry schien es keinen Platz mehr für einen weiteren Westernhelden zu geben, nachdem die Reihe Jerry Spring aufgrund schlechter Verkaufszahlen eingestellt worden war. Nach den Einflüssen neuer amerikanischer Filme der Siebziger wie Little Big Man und Jeremiah Johnson als auch des Italowestern wurde es aber Zeit für einen neuen Helden, und der damalige Verlag wollte den neu lancierten Konkurrenz-Serien Comanche und Buddy Longway etwas entgegensetzen. So wundert es im Grunde nicht, das Cartland Züge von allen genannten erhielt, sich aber dennoch deutlich von ihnen unterscheidet.
Der ersten Geschichte „Indianerfreund“ merkt man noch deutliche Unsicherheiten an. Der Zeichenstil von Michel Blanc-Dumont ist sehr grob und sehr flächig. Es gibt besonders in den Hintergründen noch keine detaillierte Ausarbeitung und es haben sich oft Perspektivfehler eingeschlichen (etwa bei dem Kampf gegen den Bären). Zudem läuft die Story nicht sonderlich rund. Was aber nicht weiter überrascht, denn die Erzählung wurde erst später zu einer kohärenten Geschichte zusammengefügt – neu eingefügte Handlungsbögen sollten verschiedene Kurzgeschichten für eine Albenveröffentlichung zu einem Ganzen verbinden. Das merkt man dem Ergebnis auch an.
Was für ein qualitativer Sprung war es dann bereits zum zweiten Band, „Der lange Treck nach Oregon“, der definitiv der beste in diesem Integral ist. Die Zeichnungen sind nunmehr realistisch und detailverliebt, Blanc-Dumont hatte eindeutig mehr Zeit, und auch die Story kann absolut überzeugen. Hier tritt schon ein Charakterzug hervor, der Cartland von den meisten anderen Helden unterscheidet: Er ist depressiv. Alle Aufgaben und Herausforderungen nimmt er nur an, weil er die Hoffnung hegt, dabei zu sterben. Sich selbst töten will er nicht. Ansonsten fröhnt er dem Alkohol und folgt allein seinem Pflichtbewusstsein. Nicht nur deswegen ist diese Story spannend und hochdramatisch.
Die nächsten beiden Abenteuer lassen graphisch nicht nach, zeigen aber auch wieder die Vielfältigkeit der Genrekombinationen. Sie sind weniger Western als Krimi („Der Geist des Wah-Kee“) und Abenteuer („Der Schatz der Spinnenfrau“) im Westerngewand. Das ist alles durchaus spannend, wenngleich vor allem die Krimistory nicht so richtig überzeugen will. Aber es macht etwas anderes mehr als deutlich: Cartland steht nicht immer im Mittelpunkt. Das heißt, eigentlich schon – aber manchmal ist er eher das Zentrum, um das sich alles dreht, als dass er die Initiative ergreift. In „Der Geist des Wah-Kee“ weiß er nicht einmal, dass er in einem Kriminalfall steckt. So ist es ein Krimi ohne Deduktion, was an sich schon ungewöhnlich ist.
Die vierte Story zeigt dann weitere Abgründe des Helden. So ist er etwa entsetzt darüber, was einer Frau geschehen ist, nutzt aber, obwohl er ihr helfen will, ihre Notlage aus und geht gegen Bezahlung mit ihr ins Bett. Auch kann er einen Freund nicht aus der Gefahr retten, da ihm sein eigenes Wohlergehen wichtiger ist. In einer anderen Geschichte erschießt er übrigens auch einen Schurken hinterrücks. Cartland ist kein strahlender Held und hebt sich somit deutlich von seinem edleren Trapperkollegen Buddy Longway ab, ist aber auch kein Revolverheld wie Red Dust in Comanche und kein Soldat wie Blueberry.
Gemeinsam haben all diese Serien den großen Respekt vor den Indianern, wobei auch Cartland eine sehr differenzierte und realistische Perspektive aufweist. Laurence Harlé hatte vor ihrer Karriere als Comicautorin einen Importhandel für indianische Stücke und war von Kultur, Tradition und Geschichte der Indianer fasziniert. All dies brachte sie auf logisch integrierte und faszinierende Weise in ihre Skripts ein. Gerade auch wegen dieser differenzierten Sichtweise ist Cartland eine sehr realistische Serie, die sich gängigen Schemata verweigert, mit einem Helden, von dem man sich nie wirklich sicher sein kann, wie er sich tatsächlich verhalten wird.
Wertung:
Sehr schöner Beginn der Gesamtausgabe, in dem vor allem die Besonderheit des Helden deutlich wird.
Cartland Integral 1
Splitter Verlag, April 2013
Text: Laurence Harlé
Zeichnungen: Michel Blanc-Dumont
Übersetzung: Eckart Sackmann
208 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 36,80 Euro
ISBN: 978-3-86869-508-3
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Splitter Verlag