Rezensionen

Cancer Woman

Cover Cancer Woman Der Titel verspricht einen Superhelden-Comic über Krebs. Das mag einen schaudern oder sofort interessieren, neu ist das nicht, aber viele andere Ideen schaffen einen originellen Zugang zu diesem schwierigen Thema. Schon in Mutter hat Krebs von Brian Fies wurde das Verfremdungsmittel „Superhelden“ sinnvoll (und nur auf wenigen Seiten) eingesetzt. Erfrischend originell ist „Cancer Woman“ durch zig andere gute Einfälle, Krankheit und Krebs im Comic zu fassen: Marisa Acoella Marchetto arbeitet in New York/USA als selbständige Zeichnerin und geht in den gehobenen Kreisen der Kulturszene ein und aus.

Wichtige Themen im Buch sind daher: Wie erobere ich den Mann meines Lebens angesichts der harten Konkurrenz von dünnen Models? Was brauche ich, um gut auszusehen? Welches ist mein nächstes berufliches Projekt, um mich zu profilieren? Was muss ich noch mit meiner Mutter bequatschen? Gerade diese Verquickung von Frauenthemen mit dem Todesthema „Krebs“ macht den Einbruch der Erkrankung in das glitzernde Leben so greifbar und erschreckend. Und gerade diese kluge Kombination schafft eine Unzahl von vielen humorigen, einigen romantischen und wenigen schaurigen Begebenheiten: Humorig etwa die stete Sorge, welche Schuhe Marisa zur Chemotherapie anzieht, die nur „Bad Hair Day“ heißt, ein genuin weiblicher Zugang. Romantisch, wenn der neu gewonnene Bald-Ehemann Silvano auch in dieser fundamentalen Krise („Hochzeitskrebs“) und inmitten einer Glamourwelt, für die das Äußere so wertvoll ist, zu ihr hält. Und schaurig, wenn ein konkurrierendes Model mit Arschgeweih im Kampf um die gute Partie Silvano im Lokal vor aller Augen und in Gegenwart von Marisa schonungslos ihre Gesundheit als Argument vorbringt: „Hier ist meine Karte. Ich bin nicht krank … Ruf mich an, falls du eine gesunde Beziehung haben willst.“ Gerade diese Verknüpfung lockt meines Erachtens auch neue Zielgruppen zum Thema. Und die witzigen Einsprengsel sind nicht bloß Showeinlagen, um die schwere Materie besser verdauen zu können, sondern zeugen effektvoll von der Kraft und dem Lebensmut, der bei Marisa letztlich ungebrochen bleibt.

Seite aus Cancer WomanDie Zeichnungen sind knallbunt, großflächig gefüllt und etwas gewöhnungsbedürftig, doch in die Lebensgeschichte von Marisa findet man gut hinein. Und selbstverständlich bietet das Comicformat (wie immer!?) exzellente Möglichkeiten, Unmögliches bildlich auszudrücken, etwa wenn dem Tod „in den Arsch“ (Zitat) getreten wird, denn der Kampf der CancerVixen (so der Originaltitel des Buches) richtet sich natürlich gegen die Krankheit und den damit drohenden Tod. Und manche medizinischen Zusammenhänge lassen sich mit kleinen Männchen eben besser veranschaulichen als durch Prosa, nicht umsonst ist Mutter hat Krebs in der Ärzte- und Ärztinnen-Ausbildung angekommen (wenn auch eher wegen der dort eingefangenen Perspektive der Patienten). Die widersprüchlichen und extremen Gefühle sind in Zeichnungen und Analogien besser aufgehoben als in abgegriffenen Floskeln, die dieses originelle Buch kaum kennt.

Cancer Woman reiht sich in eine Linie mit guten Comics, die sich mit dem Thema „Krankheit, insbesondere Krebs“ seriös und ausschließlich (auto-) biografisch auseinandersetzen. Zu denken wäre an das bereits genannte Mutter hat Krebs (Brian Fies), Our Cancer Year (Harvey Pekar/Joyce Brabner/Frank Stack) sowie zu anderen Krankheiten Blaue Pillen (HIV/AIDS) von Frederik Peeters und Der Fotograf (medizinische Versorgung in Afghanistan) von Emmanuel Guibert, Didier Lefèvre und Frédéric Lemercier. Doch Cancer Woman addiert nicht einfach einen weiteren Comic hinzu, sondern schafft einen weiteren eigenständigen Zugang zu diesem Thema, vorrangig für Frauen und die High Society. Ungewollt politisch wird es dann, wenn Marisa feststellt, dass sie – wie so viele in den USA 2004 – keine Krankenversicherung hat. Marisa Marchetto hat nach Überwindung des Krebs‘ übrigens einen Fonds ins Leben gerufen, der Mammografien finanziert; nach eigenen Erfahrungen entdecken Wohlhabende ja öfter ihr Herz für andere Betroffene …

 

Wertung: 8 von 10 Punkten

Erfrischend originell durch zig gute Einfälle, Krankheit und Krebs im Comic zu fassen

 

Cancer Woman. Eine wahre Geschichte …
Atrium Verlag, März 2012
Text: Marisa Acocella Marchetto
Zeichnungen: Marisa Acocella Marchetto
Übersetzung: Janina Joffe
220 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 22,95 Euro
ISBN: 978-3-85535-507-5

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Abbildungen © Marisa Acocella Marchetto, der dt. Ausgabe: Atrium Verlag