Rezensionen

Berlin 2323

Update vom 08.01.2006:
eine zweite Rezension (von Christopher)

Berlin im Jahre 2323 ist die Partystadt schlechthin. Die Einwohner und Besucher feiern im einen durch, aus dem Fernsehturm wurde ein Puff, und der Regierende Bürgermeister kam durch einen Putsch an die Macht.
Dirk Schulz und Robert Feldhoff nehmen uns mit auf eine Reise in ein gewagtes Bild der Zukunft Berlins…

Der eigentliche Bürgermeister, Deckname EINS und bestimmt nicht versehentlich ein pfeiferauchendes Abbild von Bill Clinton, ist Anführer der Untergrundgruppe Anti-Stasi und will erstens sein Amt zurück und zweitens verhindern, dass Berlin an Schwarzmagier ausgeliefert wird. Zumindest vermutet er, dass dieses Schickal der Stadt droht, wenn nicht sofort etwas unternehmen wird. Dummerweise scheint der Verdacht auf Magie nicht weit hergeholt zu sein, denn bereits dreimal konnte der Betrüger von dem Killer Ratte getötet werden – nur um kurz danach wieder in alter Frische aufzutauchen und seinen absonderlichen Bürgermeistervergnügungen nachzugehen.
Deshalb holt das Gruppenmitglied Scilla nun jemanden dazu, der sich mit Magie auskennt – den befreundeten Außerirdischen Indigo, der aber nicht wirklich von der Sache begeistert ist und sich erst durch eine gehörige Summe Geld überzeugen lässt. An ihm liegt es nun also, Berlin zu retten…

Es ist eine originelle und gewagte Idee, Berlin als zukünftige Partystadt und Sündenpfuhl darzustellen – und das von zwei Nicht-Berlinern, wie sie freimütig im interessanten, fünfseitigen Making-Of-Anhang bekennen. Akribisch haben Dirk Schulz und Robert Feldhoff die Stadt erforscht, sich mit ihr vertraut gemacht und versuchen nun, sie in einem sympathisch respektlosen Zukunftsszenario darzustellen. Real existierende Häuser und Bauten wie das Olympiastadion (nun die „Kanzler-Arena“) oder das Brandenburger Tor werden immer wieder in die mitunter atemberaubend farbgewaltigen Bilder eingebunden. Beeindruckend. Schön.

Naturgemäß flaut das Staunen aber irgendwann ab, und dann muss die Geschichte zeigen, was sie drauf hat. Und da mangelt es für meine Begriffe erheblich.
Am Anfang noch etwas betulich, wird im weiteren Verlauf ein ordentliches Tempo vorgelegt. Der Leser bekommt nicht wirklich eine Verschnaufpause – höchstens in den zwei kurzen Sexszenen, die mir aber ziemlich überflüssig vorkommen und die man hätte sicherlich mit etwas anderem besser füllen können. Nix gegen Erotik in Comics, aber dafür muss sie erst einmal überhaupt aufkommen. Dass sie es hier nicht tut liegt meines Erachtens daran, dass man nicht mit den Figuren mitfühlt. Sie wirken unnahbar und klischeehaft. Die toughe Widerstandskämpferin, der tumbe Killer, der sensible Brillenträger … Dazu noch ein klugscheißender, stets sonnenbebrillter Zwerg und ein knuffiger Hund als Sidekick. Och nö, die sind einem echt egal.
Doch nein, das ist gelogen. Die Protagonisten sind einem nicht egal, sie sind einem unsympatisch. Und das ist nicht gerade von Vorteil, wenn man die Leser mitnehmen will auf die Reise.
Dazu kommt noch, dass die Geschichte schrecklich vorhersehbar ist. Klar sind da ein paar Schlenker drin, aber keine, die man nicht zehn Meilen gegen den Wind gerochen hätte.
Ein paar originelle Details wie die wirklich gefährlich aussehenden Kampfgiraffen, rosenverkaufende Engel, amüsante Verweise auf  unsere Gegenwart oder der Werdegang von Hertha BSC entlocken einem so manchen Schmunzler, aber das reicht leider nicht, um den Comic mit dem befriedigenden Gefühl, dass man gut unterhalten wurde, wegzulegen.

Berlin 2323 ist im von Feldhoff und Schulz entworfenen Indigo-Universum anzusiedeln (umfasst momentan acht Bände), was ich aber erst nach dem Lesen des Comics erfahren habe. Der hochwertig anmutende Einzelband (Hardcover mit satiniertem Einband, angenehmes Kleinformat) kann und soll vermutlich aber auch alleine stehen, da ich nirgends einen direkten Hinweis darauf lesen und man auch ohne Vorwissen der Geschichte folgen konnte. fp
Die Zeichnungen retten die Bewertung


In einer fernen Zukunft. Berlin ist am Boden. DJs heizen der Menge auf den Straßen ein. 24 Stunden täglich Dauerberieselung. Der Rest besteht aus Hinterhöfen, Müll und Hundekacke. Über allem schwebt ein Tyrann, der den Stadtstaat an außerirdische Eroberer verschachern will.
Autor Robert Feldhoff will in seinem Comic Berlin 2323 richtig loslegen und ausflippen. Leider kommt er nicht einmal vom Start weg.

In Berlin ist die Hölle los. Die Zukunft hat der Hauptstadt übel mitgespielt. Im Jahre 2323 ist die Metropole zu einem überdimensionalen Karnevalverein verkommen. Die halbe Galaxis feiert hier ein munteres Stelldichein. Nach der Party wird unter der Siegessäule gebumst, wenn sich kein anderes Plätzchen findet. Und der amtierende Bürgenmeister – ein fetter Despot namens Quentin – schwebt in einer Sänfte über den Dingen. Er trägt zum allgemeinen Unwohlsein bei, indem er die Invasion der gefürchteten Schwarzen Magier vorbereitet. Von den Feiernden kümmert das allerdings niemanden so richtig.
 
Zum Glück gibt es Scilla und ihre Freunde. Die Blondine mit der großen Oberweite gehört zu einer Untergrundorganisation, die das fiese Stadtoberhaupt ausschalten will. Mit dabei ist Ratte, ein tätowierter Revolverheld, und Indigo, ein Pavian-Alien, der verflucht große Ähnlichkeit mit Klaus Meine von den Scorpions hat. Angeführt wird die Möchtegern-Guerilla-Truppe von dem rechtmäßigen Bürgermeister, der in den Untergrund fliehen musste und sein Amt zurückhaben will.
 
Die Fronten sind soweit geklärt. Was folgt, ist eine Hetzjagd vorbei an den Touristenmagneten der Stadt. Vom Brandenburger Tor geht es nach Schloss Sanssouci und weiter in den japanischen Garten. Weil wir aber einen Comic und keinen Reiseführer lesen wollen, wurden die Sehenswürdigkeiten für das Jahr 2323 billig aufgepeppt. Der Plenarsaal des Reichstages hat sich in ein Pornokino verwandelt, im Funkturm befindet sich ein Bordell, und das Stadion des Hertha BSC schwebt – getragen von mehreren Ballons – über dem Erdboden.
 
Carlsens neues Produkt macht optisch einiges her. Wie schon zuvor der französische Comic-Roman Jenseits der Zeit erscheint auch Berlin 2323 in einem neuartigen Format. Hardcover, dickes Papier, einhundert Prozent Farbe und eine handliche Größe (17,5cm x 24,5cm) lenken den Blick im Laden auf sich. Der Zeichner Dirk Schulz – Designer, Grafiker und Schöpfer von Indigo, Chiq und Chloe und Parasiten – beschert dem Leser abwechslungsreiche Seitenaufteilungen. Volle, runde Bildwelten und eine tolle Kolorierung zeichnen den Band aus.
 
Die optischen Qualitäten alleine machen Berlin 2323 leider noch zu keinem Lesevergnügen. Autor Robert Feldhoff, hauptberuflich Chef der SF-Romanreihe Perry Rhodan, hätte sich ein bisschen mehr ins Zeug legen sollen. Zusammenhanglos stehen die Elemente der Geschichte nebeneinander, nur verbunden durch einen harmlosen Plot, der nicht gerade vor Einfallsreichtum sprüht. Wie der Welt, so fehlt auch den Figuren ein ausgearbeiteter Hintergrund, der ihren Charakter formen und der Geschichte mehr Tiefe verleihen könnte. Stattdessen werden sie zu Stichwortgebern und Handlungstreibern degradiert. Eine Identifizierung seitens des Lesers bleib da selbstverständlich aus.
 
Offensichtlich sind auch Feldhoff diese Mängel aufgefallen. Statt einer gründlichen Überholung hat er jedoch einen schnellen Anstrich vorgezogen. Damit der Leser nicht ins Grübeln gerät und seiner eigenen Langeweile gewahr wird, wechseln sich die schnöden Themen des Bandes kontinuierlich miteinander ab: Sehenswürdigkeiten, Sex, Gewalt und Party. Herausgekommen ist ein geistloses Hochglanzprodukt von der Stange. Wem das reicht, der kann bei Berlin 2323 guten Gewissens zugreifen. Allen anderen sei geraten: Finger weg! cb
 
Zitate:
 
„Hmm. Riecht wie Pisse. Ich glaub, es ist Pisse.“
 
„Wolle Rose kaufe?“
 
„Siehst du die Hupen von der Tussi?“
Nee, hat nicht gefallen.

Berlin 2323
Carlsen Comics
Text: Robert Feldhoff
Zeichnungen: Dirk Schulz
96 Seiten, Hardcover, Kleinformat, farbig, 14 €
ISBN 3-551-74321-5