Rezensionen

Barbara 1


Babara – CoverVor allem bekannt für seine Animationsfilme Astro Boy und Kimba, der weiße Löwe, erscheinen langsam aber sicher auch Osamu Tezukas Mangas auf dem deutschen Markt. Der Großmeister des japanischen Comics entwickelte neben den moralisch angehauchten Kindercomics auch den gekiga, den Manga für Erwachsene, ständig weiter und führte diese scheinbar entgegen gesetzten Welten immer näher aneinander heran. Nachdem mit Kirihito bei Carlsen Comics bereits ein Werk aus dieser Schaffensphase Tezukas übersetzt wurde,  folgt nun der Schreiber und Leser Verlag mit Barbara, einer Geschichte, die meisterlich zwischen Ästhetik und Slapstick, zwischen Erotik und Literatur oszilliert.

Eine erläuternde Bemerkung sei dieser Besprechung noch vorangestellt, die im Comic leider erst am Ende zu finden ist. Die Damen und Herren von Tezuka Productions stellen klar, dass die Werke Tezukas als Zeichen ihrer Zeit zu lesen sind, sprich politisch unkorrekte Szenen wurden nicht nachträglich verändert, um dem heutigen Zeitgeist zu entsprechen. Natürlich soll bei dieser Besprechung nicht ignoriert werden, dass viele Szenen frauenfeindlich sind, dennoch möchte ich die Kritik dazu nutzen, zu zeigen, wie Tezuka diese Darstellungen verwendet. Dieser Comic ist selbstverständlich nicht für Kinder gedacht, dementsprechend wurde auch die Originalleserichtung durch Spiegelung der Bilder in eine westliche überführt.

Entstanden ist Barbara in einer kreativen Umbruchsphase (1973-74), in der sich Tezuka von den cartoonigen Zukunftsvisionen und utopischen Märchenwäldern löst, aber noch nicht ganz bei den Biografien (wie z.B. Adolf) und Dokumentationen seiner späten Phase angekommen ist. Die Figuren, die er Mitte der Siebziger Jahre erschaffen hat, sind fast ausschließlich gespaltene Persönlichkeiten, die das Böse, den Konflikt, in sich selbst tragen. Auch der Protagonist in Barbara, der Autor Yosuke Mikura, fällt in diese Kategorie. Obgleich die Frauen ihm wegen seinem Erfolg zu Füßen liegen, fühlt er sich nur vom Abnormalen angezogen.

Barbara betrunken In den ersten drei Kapiteln wird nicht nur das Potential seiner Perversitäten ausgelotet, sondern auch die Titelfigur Barbara eingeführt. Der Autor sammelt das junge Mädchen ganz bedenkenlos am Bahnhof ein und bringt sie zu sich nach Hause. Dort beginnt Barbara auch gleich zu trinken und sich daneben zu benehmen, während sich Yosuke seinen Gelüsten hingibt. Die beiden Figuren scheinen sich gegenseitig anzuziehen, aber auch gleichzeitig abzustoßend. Sie brauchen einander, ohne es zu wissen. So wird Yosuke vor einem „Zwischenfall“ mit einer „Hundedame“ von seinem neuen Schutzengel gerettet, bevor es zu Schlimmerem kommen kann. Die nachfolgenden Episoden verwenden das gleiche Muster. Gerade als die Geschichten drohen redundant zu werden, schlägt Tezuka einen Haken, nutzt das von ihm bistdato etablierte Erzählmuster und beginnt, mit seiner Geschichte und seinen Figuren zu experimentieren.

Gewalt unter FrauenWährend Yosuke in seine eigene Lasterhölle hinabrast, gelingt es Tezuka, durch rasante Wechsel sowohl grafischer als auch erzählerischer Natur immer wieder aufs Neue zu fesseln. Die Situationen im Comic schlagen urplötzlich von einem Extrem ins nächste um, ohne dabei flach zu wirken oder gar umzukippen. Eine perverse Sexphantasie wird durch eine Ohrfeige, einen Schluck Whisky, Gin, Rum oder ähnlich hochprozentiges Zeug abrupt beendet. Ernsthafte Diskussionen werden durch Barbaras entblößten Busen abgebrochen, anderweitig zugespitzt, nur um dann wieder an anderer Stelle zu eskalieren. Tezuka nutzt dabei denselben niedlichen  Zeichenstil seiner Kindercomics, füllt ihn aber mit erwachsenen Themen. Immer wenn die Ernsthaftigkeit droht die Überhand zu gewinnen, gelingt es Tezuka, die kindliche Unschuld seiner Figuren zu unterstreichen.

Tezukas Meisterschaft im Erzählen fußt auf seiner Fähigkeit, unterschiedlichste Ansprüche zu bedienen, zu verbinden, ohne ihnen dabei ihre Wucht zu nehmen, ohne sie zu einem Erzählbrei verkommen zu lassen. So wird im ersten Band von Barbara fröhlich weiter mit Literaturzitaten um sich geschleudert, Alkohol in rauen Mengen konsumiert, perversen Fantasien hinterher gegeifert, und sehr viel geschrieben. All das findet immer nur einen Schritt vom Wahnsinn entfernt statt.

Babara 1
Schreiber und Leser, April 2010
Text und Zeichnungen: Osamu Tezuka
Übersetzung: Tsuwame und Resel Rebiersch
Broschiert, 208 Seiten, schwarz-weiß; 14,95 €
ISBN: 978-3-941239-28-9



Ein verstörend guter Comic, der vor wohltuender Zweideutigkeit nur so strotzt.

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Abbildungen: © Tezuka Productions/Schreiber und Leser