Rezensionen

Allein 1: Verschwunden!

 Es sind gute Zeiten für Freunde franko-belgischer Comicalben. Die Durststrecke vergangener Jahre ist vorbei, das Angebot an neuer Comicware aus Frankreich ist so groß wie lange nicht mehr. Nach den erfolgreichen Neugründungen Bunte Dimensionen und Splitter reiht sich nun ein weiterer Verlag ein, um franko-belgisches Material an den Mann zu bringen. Der Piredda Verlag, gegründet vom ehemaligen ZACK-Chefredakteur Mirko Piredda, führt einerseits Reihen fort, die andere Verlage aufgegeben haben, bringt aber auch neue Serien auf den Markt. Die erste davon ist Allein.

Die Story beginnt (nach einem kurzen Prolog) mit einem Endzeitszenario: Wir befinden uns in der mittelgroßen Stadt Fortville, der Tag beginnt, doch die Stadt bleibt menschenleer. Niemand ist auf der Straße, alle sind verschwunden. Mit Ausnahme von fünf Kindern. Diese Kinder laufen sich über den Weg, und obwohl sie sehr unterschiedlich sind, merken sie schnell, dass sie eine Schicksalsgemeinschaft sind. Wenn sie überleben und herausfinden wollen, warum außer ihnen niemand mehr in der Stadt ist, müssen sie zusammenhalten.

 Autor Fabien Vehlmann (Green Manor, Der Marquis von Anaon) hat sich eine interessante Gruppe von Protagonisten zusammengestellt, deren unterschiedliche Charakterzüge viel Gruppendynamik versprechen. Die kleine Nervensäge, das schüchterne junge Mädchen, der Sohn reicher Eltern, ein selbstbewusstes Teenagermädchen, und Dodji, ein Einwandererjunge, der im Waisenhaus lebt. Er kennt also die Situation, ohne Eltern auskommen zu müssen, und weil er auch einer der ältesten ist, entwickelt er sich schnell zum Anführer der Gruppe.

Obwohl sich Vehlmann hier bekannter Versatzstücke bedient (ausgestorbene Städte sah man u.a. zuletzt im Film I am Legend und Kindergruppen, die auf sich gestellt sind, kennt man z.B. aus dem Klassiker Herr der Fliegen), bietet die Ausgangssituation von Allein genug Stoff für eine interessante und originelle Geschichte. Leider verschenkt der Autor im ersten Band viel Potential: Nachdem die fünf Protagonisten eingeführt wurden und sich kennengelernt haben, beginnt eine recht konventionelle Abenteuerhandlung, die nicht sehr überraschend ist. Die Kinder versuchen sich ohne elterliche Hilfe am Kochen oder am Autofahren, sie haben gefährliche Begegnungen mit ein paar Tieren, die aus dem verlassenen Zirkus ausgebrochen sind, und sie versuchen, einen sicheren Unterschlupf zu finden.

Mehr geschieht nicht im ersten Band. Noch gibt es keinerlei Hinweise, warum plötzlich alle Menschen bis auf diese fünf Kinder verschwunden sein könnten, ob sie noch leben und wo sie sich aufhalten. Auch in Sachen Gruppendynamik, was viel Potential bieten würde, geschieht nur wenig – zumindest im ersten Band (bisher sind in Frankreich zwei weitere erschienen, ein vierter Band ist in Arbeit). Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Comic stark auf eine junge Leserschaft zugeschnitten wurde, die nur wenig älter ist als die Protagonisten. Für junge Leser im Alter von etwa 10 Jahren ist Allein sicher eine sehr spannende und unterhaltsame Geschichte. Erwachsene, die etwas mehr Tiefgang erwarten, werden eher enttäuscht.

 Zeichnerisch immerhin gibt es nichts zu meckern. Bruno Gazzotti, den man durch seine Arbeit an Soda (deutsch bei Salleck Publications) kennt, benutzt einen Semi-Funny-Stil und kreierte für das Quintett der Hauptfiguren kleine Persönlichkeiten mit hohem Wiedererkennungswert. Neben den gelungenen Figuren legt er auch viel Wert auf die detailreiche Darstellung der menschenleeren Stadt. Dynamische Actionszenen liegen ihm ebenso wie die immer wieder eingesetzten stillen Panels, die dem Aufbau von Atmosphäre dienen. Auch in Sachen Seitenaufbau und Pacing ist seine Arbeit überzeugend, so dass sich das Album sehr flüssig liest.

Die deutsche Ausgabe des Piredda Verlags kommt im Standard-Albenformat mit einem sehr stabilen Hardcover auf gutem Papier und bewegt sich mit 13,50 Euro auf dem inzwischen üblichen Preisniveau für Albencomics. Wenn es dem Gespann Vehmann und Gazzotti nun noch gelingt, in den folgenden Bänden eine Geschichte zu entwickeln, die etwas mehr bietet als einen konventionellen Abenteuerplot, kann aus Allein noch eine richtig gute Serie werden.


Allein 1: Verschwunden!
Piredda Verlag, Oktober 2008
Text: Fabien Vehlmann
Zeichnungen: Bruno Gazzotti
Hardcover; vierfarbig; 56 Seiten
; 13,50 Euro
ISBN: 978-3-941279-60-5

Gute Zeichnungen, durchschnittlicher Plot mit Luft nach oben

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Bildquelle: piredda-verlag.de