Im letzten Jahr besuchte Stefan Svik zum ersten Mal die Frankfurter Buchmesse. Dieses Jahr war er wieder unterwegs und berichtet von seinen persönlichen Eindrücken, die er im Comic-Zentrum und darüber hinaus gesammelt hat.
Das Comic-Zentrum der Frankfurter Buchmesse besteht in diesem Jahr nicht nur aus den üblichen Messeständen, Signiertischen und einer Bühne. Es gibt auch einen Marktplatz, mit Crêpes-Bude, ein Festzelt, einen Barden, mit dem Lieder über Äppelwoi angestimmt werden, weil nun auch die Simpsons in Mundart vorliegen, neben Klassikern wie Hergés Tim un die hessische Messerstescher oder sechs Asterix-Mundart-Bänden auf Hessisch. Gutes Stichwort: Der neue Asterix-Band, Asterix, das Goldene Kalb, nein, Asterix bei den Pikten war ein vielbeachtetes Thema auf der Messe.
Splitter und Carlsen: Leidenschaft oder Hobby, Risiko vs. Traditionsverlag
Wie beginnen? Chronologisch? Querbeet? Fange ich mal mit dem an, was ich vermisst habe: den Sondermann, beziehungsweise seinen noch nicht gestarteten Nachfolger. Das war ein schönes Ereignis 2012, brachte es doch die Comicszene zusammen, mit ihren Spielarten Manga, Graphic Novels, Cartoons und so weiter. Rein subjektiv blieb mir im Vorjahr besonders Reprodukt in Erinnerung, eben wegen des Sondermann-Preises, den der Berliner Verlag dort mehrfach erhielt. 2013 imponiert ganz klar Splitter, so ist es jedenfalls beim Comic-Frühstück am Freitag, in dem Sätze fallen wie „Ich möchte betonen, dass Splitter kein Hobbyprojekt ist!“
Comic-Frühstück am Samstag zum Thema Gesamtausgaben | Diskussion „15 Jahre Zack und die Folgen“ |
Da entbrennt eine hitzige Diskussion zwischen Steffen Boiselle von Carlsen und Horst Gotta Dominik Madecki von Splitter über Preisgestaltung, unbezahlte Überstunden und anderes. Thema des Gesprächs sind Gesamtausgaben. Die seien bei Splitter besonders schön, auf besonders hochwertigen Papier, lobt sich Madecki. Anerkennung erhalten die Werke des Verlages aber auch aus anderem Munde. Dank Experten wie Volker Hamann, der verriet, in 30 Jahren ein umfangreiches Comicarchiv aufgebaut zu haben, in dem er sehr zügig Informationen findet und damit dann Gesamtausgaben um interessante Hintergrundgeschichten bereichern kann. Auch deshalb sei er ein vielgefragter Mitarbeiter an diversen Neuauflagen. Hamann lobt die große Leidenschaft, die Splitter in seine Comics steckt. Boiselle weist darauf hin, dass Carlsens angestellte Mitarbeiter eben eine vereinbarte Arbeitszeit haben, dass es gilt, einen seit Jahrzehnten bestehenden Traditionsverlag, zu erhalten und Risiken sehr genau abzuwägen. „Bei Carlsen wäre mancher Comic, den Splitter herausbringt, teurer“, denn die Auflage sei ja nicht größer, nur weil der Verlag mehr Mitarbeiter habe. Aus Sicht eines Investors ein Sieg nach Punkten für Carlsen und aus der Perspektive der Leser ein Triumph für Splitter?
Interessanter sind da Fragen nach der Zielgruppe der Komplettbände. Zumeist über 40-jährige, meint Hamann. Warum es das denn gar nicht für Superhelden gäbe, wird gefragt. „Ich habe die ersten zehn Spider-Man-Hefte gelesen und kann verstehen, warum kein Bedarf besteht“, meinte Boiselle. Hamann antwortet diplomatischer: „Die franko-belgischen Alben sind Autorencomics, während bei den Superhelden allein die Figuren im Vordergrund stehen, eine Ausnahme bildet da Stan Lee.“ Kurz in der Erinnerung an den letzten Besuch im Comicshop gewühlt und spontan fällt mir etwa eine Komplettausgabe von Neal Adams‘ Batman-Run ein – aber das ist ein schiefer Vergleich, denn der Panini-Band enthält in diesem Fall kein umfangreiches Bonusmaterial und ist kein dickes, schweres Hardcoverbuch. Interessantes Thema und eine runde Veranstaltung, dieses Comic-Frühstück am Freitag!
Zack und die Folgen
Eine andere Diskussion im Comic-Zentrum widmet sich den 15 Jahren, in denen das Zack-Magazin inzwischen wieder erscheint. „Könnte man da nicht statt dem Fokus auf Abenteuercomics auch mal Funnies einbauen, so wie bei Spirou, oder Erotik und Künstlerischeres wie in Pilote?“, denke ich, frage es aber nicht.
Ich freu‘ mich über die Simpsons!
Evolution: von Life in Hell zu The Simpsons, Bill Morrison zeigt wie’s geht | Bill Morrison zeichnet Mr. Burns. Ausgezeichnet! |
Lisa Simpsons deutsche Synchronstimme Sabine Bohlmann | Steffen Volkmer entlockt Bobby von Schwanheim (reimtext), dass Moe dessen Lieblingsfigur der Simpsons ist. Passend dazu wird ein Äppelwoi-Trinklied geschmettert |
Bill Morrison zeichnet auf der Bühne. Das hat er schon des öfteren getan, und er tourt auch immer mal wieder durch deutsche Comicläden. Grund genug, um davon weniger begeistert zu sein? Ich fand beide Veranstaltungen mit ihm super. Die sehr stark frequentierte „How to draw the Simpsons“-Zeichenstunde am Samstag ist genau so stark besucht wie die direkt danach folgende Vorstellung des Asterix-Teams (ich schreibe extra „des Teams“ und nicht „des Comics“, denn der wurde kaum vorgestellt). Vielleicht auch wegen der riesigen Erwartungen an den neuen Asterix ist dann die Pressekonferenz zu „Die Simpsons auf Hessisch“ so eine Wohltat. Locker, lustig und ohne das Gefühl, hier würde das wichtigste Werk der Welt präsentiert. [Mehr von mir zu den Simpsons in Frankfurt bei der ComicRadioShow] Es wird herumgealbert, informiert, Bilder aus dem Comic gezeigt, gesungen und gelacht – bei Asterix ist die Atmosphäre eine andere.
Asterix – Europas Comic-Erbe wird in den Highlands verteidigt
Gleich mehrere Veranstaltungen drehen sich um den 35. Asterix-Band Asterix bei den Pikten. Ein Vorabexemplar gibt es nicht. Nichts genaues wird bekannt, dafür ist das Ambiente mit Dudelsackspielern, den freundlichen Pressevertreterinnen von Ehapa in schicken Schottenröcken und Bewirtung mit Zaubertrank aber charmant.
Im Alter zwischen 41 und 46 Jahren schrieb René Goscinny, 1967 bis 1972, jene Asterix-Alben, an die der neue Zeichner Didier Conrad und der neue Autor Jean-Yves Ferri anknüpfen wollen. Noch mehr Zahlen gefällig? Verkaufsstart von Asterix bei den Pikten ist der 24. Oktober. Das Album wird in 23 Sprachen und einer europaweiten Auflage von fünf Millionen Exemplaren erscheinen, davon 1,5 Millionen auf Deutsch. Sowohl Übersetzer Klaus Jöken als auch Conrad und Ferri sind Jahrgang 1959, damit wurden sie im gleichen Jahr geboren, in dem auch der kleine Gallier das Licht der Welt erblickte, wie bei der Veranstaltung am Samstag betont wird. 54 Jahre oder 41 Jahre – muss das Ergebnis deshalb schlechter sein? Diese Fragen werden auf der Asterix-Pressekonferenz am Freitag nicht gestellt. Dabei könnte hier eine Parallele zu Wetten dass…? hergestellt werden: Warum moderiert Markus Lanz die Sendung und nicht jüngere, vielleicht frischere Typen wie Joko und Klaas? Wahrscheinlich wegen der Zahlen – fünf Millionen Exemplare! Einer der bekanntesten europäischen Comics soll fortgeführt werden. „Wird der denn endlich mal wieder lustig, so wie es die Bände von Goscinny waren?“ fragt ein Mann auf der Pressekonferenz. „Das ist angedacht“, lautet die Antwort. Wird hier nur noch die Asche angebetet oder das Feuer weitergetragen? Und vor allem: Was ist der Inhalt des Albums? Diese Fragen bleiben unbeantwortet.
Der neue Asterix-Autor Jean-Yves Ferri spricht zu Übersetzer Klaus Jöken während der Diskussion am Samstag | Asterix‘ neuer Zeichner Didier Conrad |
Asterix-Pressekonferenz am Samstag | Mit Pauken und Trompeten, oder vielmehr mit Dudelsack und Schottenrock wurde der neue Band präsentiert |
Dafür verraten die beiden: Idefix lebt. Die Pikten sind super, weil wenig über sie bekannt ist, das erlaubt viel Freiraum. In Zukunft würden sie gerne auch etwas modernisieren, aber Band 35 soll ein sehr traditioneller Asterix werden. Wird es Gastauftritte bekannter Schotten geben? Sean Connery war bereits in einem anderen Album dabei, deshalb wird er nicht bei den Pikten, also dem Stamm aus Schottland, zu sehen sein. Zum Schluss der Gesprächsrunde, auf der keine Fragen der zu einem geringen Teil auch kleinen Zuschauer vorgesehen sind, gibt es noch eine kleine Spitze gegen die USA. Ob das Duo denn so eine enge Freundschaft verbinden könne wie Uderzo und Goscinny, wo Conrad doch seit langem in Kalifornien wohnt, fragt Moderator Lou Richter, der sich als „Bild- und Tonstörung des Fernsehens“ vorstellt, und warum denn Asterix in den USA kein Erfolg sei? „Weil sich die Leser in den USA als einzige mit den Römern identifizieren würden und nicht mit den Galliern.“ Dafür gibt es Beifall und Gelächter aus dem Publikum. Das hat der aktuelle Zeichner von Lucky Luke, Achdé, im Comicgate-Interview diplomatischer formuliert: „Man muss es sich so vorstellen: Wenn die Amerikaner einen Comic über Franzosen machen würden, mit Baskenmütze und Baguette unterm Arm, würde das in Frankreich auch nie ankommen.“ Und „auch die Franzosen mögen die Amerikaner. Aber die Amerikaner haben auch keine Lust darauf, dass ihnen jemand den Spiegel vorhält.“ Bei einem Werk wie Asterix, für das Jöken Monate zum Übersetzen benötigt, anders als die zwei Wochen für ein Album von Lucky Luke, weil es so voller Wortwitz und Anspielungen sei, und das noch dazu seit Jahrzehnten im Schulunterricht eingesetzt wird, ist dieses populistische Amerika-Bashing etwas enttäuschend. Zumindest soll das neue Album es aber kein weiteres Gallien in Gefahr werden, bei dem sich die Gallier gegen Superhelden und Mangafiguren zur Wehr setzen mussten. Das beste Mittel dagegen, der Zaubertrank quasi, wäre der feine, kluge Witz eines René Goscinny.
Asterix-Gesprächsrunde am Samstag | Der Übersetzer steht im Regen: Klaus Jöken und das neue Asterix-Team |
„So etwas habe ich noch nie erlebt“, beklagt sich ein Journalist auf der Pressekonferenz. Damit ist die strenge Geheimhaltung gemeint, eine Pressekonferenz, bei der letztlich nichts Essentielles gezeigt und Fragen nur ausweichend beantwortet werden. So richtig springt die Stimmung nicht über. Vielleicht hätte die angenehm unaufgeregte Simpsons-Pressekonferenz mit der für Asterix zusammengelegt werden sollen. Etwas von dem anarchischen Witz und der Aufbruchstimmung des frühen Asterix hätte sicher nicht geschadet.
Gastland Brasilien
Ehrengast Brasilien. Comicverlage aus Brasilien, außerhalb von Halle 3.0. Hängematten am Stand. Von Fotos abgesehen habe ich das beim Messerundgang nicht selbst erblickt. Dafür bekomme ich am Rande ein Lob für den herrlich entspannenden Messeauftritt des Partnerlandes von 2012, Neuseeland, mit. Nach dem Besuch der Messehalle hätte man sich ganz relaxt gefühlt, höre ich. Und dieses Jahr? Karneval und Comics? Die Brüder Fábio Moon und Gabriel Bá, die ihre neuen Comics für Panini und Cross Cult promoten, entsprechen jedenfalls nicht dem Klischee vom vor Temperament übersprudelnden Südamerikaner. Ruhig und zurückhaltend wirken die beiden bei jeder Gelegenheit, egal ob beim Signieren und Zeichnen, im Gespräch auf der Bühne oder später im Interview für Comicgate: Sie sind sehr still. Aber so viele extrovertierte Comicmacher, wie etwa Greg Capullo 2012 bei unserem Interview, treffe ich gar nicht. Vielleicht verbindet das (Comic-)Zeichner? Menschen, die nicht so schrill und laut sind wie, sagen wir mal Herr Glööckler, der auch auf der Messe war, wie ich der Zeitung entnehme und ein Buch vorstellt, das sie „unbedingt lesen müssen“, so zumindest seine Worte.
Gábriel Bá beim Signieren am Freitag | Mauricio de Sousa trifft auf seine Leser |
Über den Tellerrand hinaus geschaut
Wie sieht es wohl außerhalb der Halle 3.0 aus, wo das Comic-Zentrum seinen Platz hat? Hier gibt’s ja durchaus so einiges, was nichts mit Comics zu tun hat – das Comic-Zentrum belegt flächenmäßig wohl weniger als 10% der gesamten Buchmesse-Fläche. Auf dem Weg zum Büro der bienenfleißigen, perfekt organisierten Messeberichterstatter von Splashcomics geht es vorbei an Prominenten wie Heiner Geißler und der erstaunlich erfolgreichen Publikation Landlust. Über die Rolltreppe drinnen oder über die Treppe an der Außenwand, wenig optimal dank des kalten Regenwetters, geht es hoch in Halle 3.1. Religiöse Bücher finden sich hier, mir kommt ein Mönch entgegen. Mein Weg führt mich an einer hölzernen Druckmaschine vorbei, an der ein Mann Papier bedruckt. Die Halle ist an diesem Freitag erheblich leerer, dafür wesentlich wärmer geheizt als das Untergeschoss. Zwischen all dem schaue ich kurz beim Hannibal Verlag vorbei und erkundige mich, ob es weitere Sachbücher zum Thema Comics geben wird, nachdem dort neulich Superhelden von Grant Morrison erschien (siehe Rezension). 2014 wird es einen Titel über Siegel und Shuster, die Schöpfer von Superman, geben.
In Halle 3.1 wird noch selbst gedruckt, jedenfalls hier | „Comics gehören zur Pop-Kultur“: Eckhard Schwettmann vom Hannibal-Verlag |
Nicht geschafft
Die Präsentation und Signierstunde von Reinhard Kleist. Verena Klinke und Felix Mertikat. Eine Zeichnung von Ari Plikat. Rattelschneck. Joscha Sauer. Melanie Schober. Sarah Burrini. Die ersten zwei von drei Gesprächen zu Brasilien und seiner Comicszene. Gemütliches Flanieren durch die Hallen. An den Verkaufstresen etwas auftreiben, was lecker schmeckt. Alles nicht geschafft.
Geschafft
Interessant war’s trotzdem, Spaß gemacht hat’s auch. Aber gibt es wirklich so viele Bücher zu sehen? Ab Samstag war es eher eine Menschen- und keine Büchermesse. Kaum Unterschiede zu einem Sommerschlussverkauf (oder „Sale“, wie sowas heute heißt) auszumachen. Nun ist wieder Stille eingekehrt. Der Leseherbst hat begonnen. Daytripper, eine Gesamtausgabe von Splitter wie Bruce J. Hawker, Jimmy Corrigan, Asterix bei den Pikten oder ganz was anderes lesen? Muss auch nicht zwingend auf Hessisch sein.
Ab Samstag früh kamen die Cosplayer und das Gedränge in Halle 3.0 wurde enorm | Direkt neben der Bühne mit Asterix und den Simpsons flanierten Pikachu und allerhand andere japanische Comicfiguren |
Verkaufsstand nahe des Comic-Zentrums | Der Lappan-Stand – eines der originelleren Konzepte für die Gestaltung des Messeauftritts |
Vater und Sohn: Luis und Romulo Royo stellen Zeit des Bösen vor. | Alea iacta est! Ach nee, das war ja Asterix. Das hier ist bei Zeit des Bösen. Und gar nicht zum Gähnen! |
Der Stand von Cross Cult | Warnung vor nuklearer Aufrüstung? Rätselhafte Installationen am Carlsen-Stand |
Was manche nicht alles zu Signierstunden anschleppen … | Der Messestand von Egmont |
Noch zwei Monate bis Weihnachten | Hinten rechts auf der Freifläche: Das Lesezelt, in dem der Presse das Team von Asterix 35 vorgestellt wurde |
Alle Fotos: © Stefan Svik