Rezensionen

Che

Cover von CheDie Kurzbiografie des Ernesto Che Guevara, dessen populäres Konterfei das Titelbild schmückt, ist in mehrerer Hinsicht etwas Besonderes, aber auch mit Vorsicht zu genießen. Über 40 Jahre alt ist die Graphic Novel, 1968 fertiggestellt. Das verleiht dem Comic die Exklusivität eines engagiert komponierten, historischen Zeitdokuments. Fantastische Bilder und Szenarien haben Alberto Breccia für die Lebensgeschichte Ernesto Guevaras und sein Sohn Enrique für Aufenthalt und Tod in Bolivien erfunden. Aus dem Aufenthalt in Bolivien heraus erfolgen im Wechsel die Rückblicke auf das frühere Leben Ernesto Guevaras. Zu den Bildern liefert Héctor Gérman Oesterheld – deutsche Übersetzung von Jutta Harms – ein Stakkato an prägnanten Textpassagen von selten gespürter Poesie. Und ganz nebenbei wird endlich erklärt, wie Ernesto Guevara zu seinem Spitznamen „Che“ gekommen ist.

Wo viele Filme trotz historischer Kostüme oft den Werthaltungen nach im Heute spielen müssten (um ein heutiges Publikum anzusprechen), da ist Che frei vom gegenwärtigen Zeitgeist, aber selbstredend durchtränkt vom Denken und Fühlen seines sozialen Umfelds – ein Beleg des Konflikts zwischen Arm und Reich während des Kalten Krieges: Die US-Regierung stuft sozialdemokratische und sozialistische Regierungen in Latein- und Mittelamerika als Sicherheitsrisiko ein, die CIA – heute offen dokumentiert – fördert rechte Putschisten in nahezu allen Ländern Lateinamerikas: Guatemala, Chile, El Salvador, Argentinien usw. (vgl. zum Beispiel Chile http://de.youtube.com/watch?v=iMFmKg0k8cY). In Guatemala wurde der demokratisch gewählte Präsident Arbenz Guzmán mit Hilfe der CIA geputscht, weil er die United Fruit Company (heute: Chiquita Brands International Inc.) enteignen wollte. In Chile „verschwanden“ nach dem Putsch Augusto Pinochets gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende in den 70er-Jahren über 3000 Oppositionelle, Gewerkschaftler und Sozialisten. In El Salvador wurden Favelas (Slums) bombardiert, die Arbeit der Kirche gegen Gewalt und gegen Armut führte zu dem rechten Slogan „Sei ein Patriot, töte einen Priester!“ Die Geschichte Ches in den 50er- und 60er-Jahren reiht sich ein in diese Konflikte mit immer gleichem Muster, das in Kuba als einziger Ausnahme einen anderen Verlauf genommen hat.

Seite 29 aus CheDies charakterisiert in aller Kürze die Zeit der grafischen Biografie des Ernesto Guevara. Führt man sich als Leser diese Zeit vor Augen, verwundern auch nicht die Biografien der Autoren. Der Texter Héctor Gérman Oesterheld (deutscher Vater) schloss sich später im Widerstand gegen die Diktatur in seinem Heimatland Argentinien einer Guerillagruppe an, wurde 1977 verschleppt und wahrscheinlich 1978 mitsamt seiner Familie – den vier 19 bis 25 Jahre alten Töchtern und ihren Ehemännern – umgebracht. Zur Erinnerung: 1978 –  das Jahr der Fußball-WM in Argentinien: Schreie der Gefolterten der Diktatur gehen im Jubel in den Fußballstadien unter. Alberto Breccia, Vater von Enrique Breccia, der viele sozialkritische Comics zeichnete, rettete sein Leben, indem er nach dem Militärputsch in Argentinien nur noch politisch ungefährliche Gruselstorys zeichnete. Enrique Breccia, der Jüngste im Trio, ist heute bekannt durch seine Mitarbeit bei den Verlagen Marvel und DC (X-Force, Uncanny X-Men, Swamp Thing u.a.).

In der Lebensgeschichte Guevaras ist seine Sorge um die verarmte Bevölkerung und ihr karges Leben im Elend ergreifend herausgearbeitet – Symbol für die allgegenwärtige Armut ist in der verdichteten Sprache Oesterhelds „die Laus, die dürren Arme, der geschwollene Bauch“. Die Armut der Mehrheit der Bevölkerung und die ungerechten Verhältnisse der Landverteilung angesichts großen Reichtums sind die Ursachen für die Konflikte, die diese Gewalt heraufspülen. Der Kalte Krieg und die sich daraus ergebenden Koalitionen haben zusätzliches Öl in dieses Feuer geschüttet. Und nicht zu vergessen: Die USA feierten die Revolution Fidel Castros unmittelbar nach dessen Machtübernahme. Das bis heute andauernde Embargo begann erst mit der Agrarreform und der Verstaatlichung von Vermögenswerten, also der Enteignung von US-Firmen und US-Bürgern.

Seite 55 aus CheDem Kontext seiner Entstehung ist es geschuldet, dass Che ein Propagandabuch ist, das sich gut im Deutschunterricht auf seine rhetorischen Mittel analysieren ließe. Es überhöht Ernesto Guevara und seinen Kampf: Nie wird gezeigt, wie die Guerillagruppe von Che jemanden tötet, dafür werden die Tode der Mitstreiter mitfühlend erzählt. In der statistischen Auswertung werden stets die Opfer auf der gegnerischen Seite höher als die eigenen Verluste angegeben, wie es in der Kriegsberichterstattung üblich ist. Während Guevara Gefangene verarztet, wird ihm als Gefangenem angeblich jede Gesundheitsversorgung verweigert. Immer ist Guevara der sich um die Menschen sorgende Übervater. Die Schwierigkeiten Guevaras in seinem Amt als Finanzminister, die Revolution nun politisch zum Erfog zu führen, werden ausgeblendet (“Von allen Bankiers ist er am besten organisiert.“). Diese Umstände spielen in Che folglich keine Rolle bei seiner Entscheidung, in den Kongo zu gehen. Pathetisch führt Oesterheld stattdessen aus, dass der Comandante aus reiner Menschenliebe erneut sein Leben riskiert, statt sein gutes Leben auf Kuba weiterzuführen. Mit diesen Darstellungsformen werden Haltungen verklärt und alles, was der Glorifizierung entgegenstünde ausgeblendet, ein menschlicheres Bild Guevaras vermieden. Der Tod Guevaras steht in dieser Linie nicht für seine Niederlage, sondern im Geist der propagierten Weltanschauung dafür, dass man sein Leben für den „neuen Menschen“ und die „Überwindung der Klassengesellschaft“ opfern müsse.

Diese Durchsicht hinterlässt bei mir widerstrebende Gefühle: Einerseits bin ich froh, dass die Kampf- und Tötungsszenen nicht glorifiziert und ästhetisiert werden (wie in nahezu allen Comics und Filmen der Genres „Krieg“ und „Action“). Andererseits ist diese durchgängige Grundhaltung des bewaffneten Kampfes und der freiwillig zu bringenden „Menschenopfer“ als vermeintlich unumgängliche Mittel auch dann widerwärtig, wenn es als Propaganda auf den Leser sanft einplätschert. Die bewusste Parteilichkeit der Autoren für Guevara und seine Sache ist im Kontext ihrer Zeit verständlich – die konfliktreiche Zeit war einfach nicht geeignet, um eine sachliche und unparteiische Biografie zu verfassen. Wer sich für die andere Sicht der Dinge interessiert, kann sich einfach den US-Spielfilm Thirteen Days ansehen, der die sog. „Kubakrise“ aus US-amerikanischer Sicht darstellt.
Dennoch: Etwas mehr Reflexion, ob tatsächlich alle friedlichen Mittel ausgeschöpft sind, oder Transparenz hinsichtlich dieser damaligen Einschätzung hätte – aus heutiger Sicht! – an diese Stelle gehört. Für eine sachliche und beide Seiten kritisch durchleuchtende Darstellung kommt man um ein klassisches Buch wohl nicht herum …

Seite 77 aus CheFür Che und seine Leser bedeutet dies nur, dass man sich mit dem Wissen um die Erzählung als Zeitdokument widmen sollte. Unumgänglich bei der knappen Darstellung und der zeitlichen Distanz zu den Ereignissen sind Erklärungen zu vielen erwähnten Personen. Sehr zu loben sind daher die 10-seitigen Anhänge der Buches – das Bonus-Material. „Anmerkungen zum Comic“ erklären hilfreich und kurz wichtige Namen und Begriffe, um sich zurecht zu finden. Ferner gibt es eine „Chronologie“ zu wichtigen Stationen im Leben Guevaras, Informationen zu den Autoren und ein „Gespräch mit Enrique Breccia“, die allesamt helfen, Zugang zu Che zu finden.

[Anmerkung: Aktualität und Gegenwartsbezug erhält Che durch die Einblicke in das Bolivien der 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts. In seiner poetischen Sprache beschreibt Oesterheld in aller Prägnanz die Situation des damaligen Boliviens: „La Paz, Bolivien, das Amerika, vor dem Buenos Aires den Blick verschließt, das die Erde unfruchtbar macht, das die Minen in die Berge treibt, der Profit gehört anderen, die Staublunge uns, alt mit 30 Jahren, nicht mal eine Frau, nur Koka und Schnaps.“ Indigene waren in Bolivien die Ausgebeuteten der reichen Oberschicht. Damals verweigerten sich die indigenen Bolivianer dem gewaltsamen Umsturz, den Guevara herbeiführen wollte. Über 40 Jahre später steht mit Evo Morales erstmalig dem Staat ein Indigener als Präsident vor und versucht mit demokratischen Mitteln eine gerechtere Verteilung des Reichtums des Landes zu erwirken, die der armen Bevölkerungsmehrheit zu Gute kommen soll und damit Entwicklungshilfe überflüssig machen könnte. Doch der Widerstand der wohlhabenden, weißen Oberschicht geht bis zu Schlägertrupps und Abspaltungsdrohungen. Derzeit (September 2008) wird wieder verhandelt. Diese Entwicklungen lassen sich mit mehr Verständnis verfolgen, wenn man Che gelesen hat. Sollte der aktuelle Dialog friedlich und mit einer gerechteren Staatsordnung zu Gunsten der indigenen Mehrheitsbevölkerung enden, dann wäre auch die Polemik Oesterhelds widerlegt, die er Che im Gespräch mit Arbenz Guzmán in den Mund legt: „Reden, diskutieren, werden wir je etwas anderes tun als reden? In Guatemala passiert was, da kann man was tun, Arbenz, ernsthafte Revolution.“ Wenn die Gespräche in Bolivien ohne faires Ergebnis enden, muss ich Che noch einmal lesen.]

Che
Carlsen Comics, April 2008 (bzw. original 1968)
Text: Héctor Oesterheld
Zeichnungen: Alberto Breccia / Enrique Breccia
95 Seiten, s/w, Hardcover; 16,90 Euro
ISBN: 978-3551776549

unverfälschtes, propagandistisches Zeitdokument mit fantastischen Bildern und einer poetischen Sprache

Jetzt bei Comic Combo anschauen und bestellen!

Jetzt bei amazon.de anschauen und bestellen!


Abbildungen Che © dt. Ausgabe 2008 Carlsen Comics