Kamingespräch

Kamingespräch: Wie geht’s dem deutschen Comic? (Teil 2)

Wie es um den deutschen Comic 2014 im internationalen Vergleich steht, diskutierten die Comicgate-Autoren Andi Völlinger, Cristian Straub, Carsten Moll, Christian Muschweck, Benjamin Vogt, Till Felix, Daniel Wüllner und Michel Decomain.

 

Fortsetzung von Teil 1. Am Ende des ersten Teils ging es um die Frage, warum sich in den vergangenen Jahrzehnten keine eigenständige deutsche Comicproduktion entwickelt hat. Warum, fragt Cristian Straub, hat sich aus den Erfolgen mit Zack und den Wäscherheftchen nicht eine heimische Fan-Szene bzw. deutsche Comicmacher-Generation herausgebildet, wie das in anderen Ländern passiert ist?

 

Michel: Den Entwicklungsrückstand in Deutschland kannst du nicht nur auf die Verlage schieben. Das führt viel zu kurz. Die ganze kulturelle, besonders hochkulturelle Situation ist in Deutschland sehr spezifisch gegen Comic gelaufen, nicht nur während des Zweiten Weltkrieges, sondern noch sehr lange Zeit danach. Die beiden wichtigsten intellektuellen Denker der Nachkriegszeit, Adorno und Horkheimer, haben sich mit ähnlicher Vehemenz (wenn auch aus anderen Gründen) gegen Comics gestemmt wie die Nazis vor ihnen. So kam es ja auch noch in den Fünfzigern zu Bücherverbrennungen, ironischerweise diesmal von den Linken initiiert, wobei es eben diesmal den kapitalistischen Schund namens Comics traf. Diese abwertende, verachtende Wirkung gegenüber “niederen“ Kulturformen wirkt ja bis heute nach. Selbst wenn man dann mal endlich über Comics schreibt, machen Feuilleton, Festivals und andere “Kulturvorsteher“ eine sehr explizite Unterscheidung zwischen “wertvollen“ Comics (=Graphic Novels) und dem Rest.

In Frankreich hingegen entdeckten intellektuelle Eliten schon ab Ende der 1950er Jahre Comics als produktive Kunstform. Als Nouvelle-Vague-Regisseure wie Truffaut oder Godard ihren internationalen Siegeszug antraten, bezogen sie sich sehr explizit auf Comic-Ästhetiken. Umberto Eco schrieb in Italien bahnbrechende wissenschaftliche Arbeiten über Comics. In den USA entdeckten Warhol und Lichtenstein die künstlerische Verwertbarkeit von Comic-Ästhetik (mit sicherlich zweifelhaften Methoden). In den Sechzigern wurde Underground-Comic dann dort zur politischen Kraft, die neben einem Robert Crumb eben auch einen Art Spiegelman hervorbrachte. In Deutschland nichts davon. Das Aufreibendste, was man Comics in dieser Zeit zumutet, ist Hansrudi Wäscher.

„Das ist ein klares Top-Down-Problem, wo es um kulturelle Anerkennungsprozesse geht.“

Als ab den späten Siebzigern dann die postmoderne Kulturströmung um die Welt geht und die Kluften zwischen Hoch- und Populärkultur einebnet, tut sich in Deutschland nichts, weil unsere Vorzeige-Intellektuellen ihre elitären und zutiefst konservativen Denkmuster zuvor nicht aufzugeben bereit waren. Daran hat sich bis heute erschreckend wenig verändert. Erschreckend, wie sehr der Kulturfaschismus damals in der Linken wütete und wie wenig davon bis heute auf- und abgearbeitet ist. Wie wichtig die Postmoderne für die weltweite Comicentwicklung war, wird übrigens klar, wenn man sich vor Augen führt, welche drei Länder für die postmoderne Theoriebildung am entscheidendsten waren: Frankreich, die USA, und Japan.

Also nein, das ist ein klares Top-Down-Problem, wo es um kulturelle Anerkennungsprozesse geht. Verleger und Comic-Schaffende hatten in Deutschland niemals eine Chance. Mittlerweile haben sie die zwar (ein wenig), aber dieselben Abwertungsprozesse werden jetzt von außen in die Comicindustrie hineinverlagert, mit ähnlich katastrophalen Ergebnissen. Dass wir in Deutschland mal über diesen Kulturwertigkeitsscheiß hinwegkommen, wird wohl keiner von uns noch erleben.

 

Benjamin: Tatsächlich herrscht auf dem deutschen Comicmarkt die Anschauung vor, ein Comicwerk müsse bestimmten hochtrabenden Kulturansprüchen genügen, um überhaupt einem breiteren Publikum als künstlerisch wertvoll verkauft werden zu dürfen. So kommt es auch, dass Verlage sehr gerne autobiografische (oder biografische) Comics publizieren, ebenso wie Romanadaptionen oder Comics mit zeitgeschichtlichen Themen (Nazi-Zeit, DDR etc.). Natürlich geschieht das, weil sie bemerken, dass solche Bücher sich auch an Zielgruppen vermarkten lassen, die nicht zu den „typischen“ Comiclesern gehören. Die Abspaltung der als Graphic Novels titulierten Comics vom Rest der „normalen“ Comics verstärkt dieses artifizielle Qualitätsgefälle in den Augen der Öffentlichkeit nur noch.

Ich denke, dass hierin der Grund liegt, dass Comiczeichner und -autoren gerne die oben genannten Themenpunkte bedienen, die von Verlagen dankend aufgegriffen werden. Hier würde es wirklich von Künstlerseite eine stärkere Haltung für den Genrecomic brauchen, so wie ihn Andi bereits eingangs umrissen hat. Solange aber Genrecomics vielerseits als Gegensatz zu „anspruchsvollen“ Comics wahrgenommen werden, wird die Vielfalt des deutschen Comics leiden.

Übrigens kann sich Flix von den Strömungen des deutschen Comicmarktes nicht ausnehmen, da er auch bevorzugt auf Autobiografisches (Held-Trilogie, Heldentage), Literaturadaptionen (Faust, Don Quijote) und Geschichtliches (Da war mal was…) setzt. Alles Themen, die seit Jahren für Comics eine mehr oder weniger sichere Bank darstellen, also thematisch wenig Haltung (im Sinne einer eigenen, inhaltlichen Linie) benötigen.

Aktuelle Genrecomics aus Deutschland

Gegenbeispiele, und damit die wohltuende Ausnahme, sind Verlage wie Cross Cult oder Splitter etwa, die mit Gung Ho, Steam Noir, Das UPgrade, Malcom Max oder auch den Büchern von Matthias Schultheiss eben jene international konkurrenzfähigen Genrecomics nicht nur veröffentlichen, sondern auch gezielt herausstellen. Solche Projekte würde ich gerne in Zukunft noch viel mehr sehen als weitere autobiografische Comics oder Literaturadaptionen (so gut diese auch zuweilen sein mögen).

 

Andi: Kleiner Einwurf: Dass die Comics von Schultheiss sowie Gung Ho aber zuerst auf Französisch verlegt werden und in Deutschland nur als Lizenz erscheinen, sagt schon wieder einiges über den deutschen Comicmarkt aus…

 

„Unser Mainstream ist also der Feuilleton-taugliche Literaturcomic? Damit kann ich leben.“

Christian M.: Unser Mainstream ist also der Feuilleton-taugliche Literaturcomic? Damit kann ich leben, im Grunde gefällt mir das besser als der Mainstreamcomic aus Amerika, denn der ist verseucht durch editoriale Spinnereien und unattraktive Arbeitsbedingungen. Natürlich ist es für manche ein Nerd-Traum, für Marvel oder DC zu arbeiten, aber die goldenen Zeiten sind in diesen Talentschmieden wohl vorbei. Ich habe das Gefühl, der interessantere Teil der amerikanischen Comicszene ist der deutschen Szene gar nicht so unähnlich. Ulli Lust und Simon Schwartz beispielsweise passen ideal in die Portfolios von Fantagraphics oder Drawn & Quarterly, und was von diesen Verlagen ins Deutsche übertragen wird, fügt sich nahtlos in die GN-Programme von Verlagen wie Reprodukt oder Avant ein. Was Amerika natürlich auch hat, ist Image-Comics und Dark Horse, also die Verlage, wo die wirklichen Genreperlen erscheinen. Nur hier sind uns die Amerikaner voraus.

In Amerika und England scheint mir der Comic im übrigen ähnlich wenig kulturell anerkannt wie bei uns. Comicfans werden in diesen Ländern wohl doch eher als schrullige Nerds gesehen, siehe auch deren Darstellung in den Simpsons oder der Big Bang Theory. In Amerika gibt es ebenso wie bei uns die Unterteilung in E-Kultur (Zeitungscomics, Graphic Novels) und U-Kultur (Marvel, DC). Anders als bei uns lässt die amerikanische U-Kultur in den USA allerdings die Kassen klingeln. Da brauchen die gar keinen Adorno für – und wir sicher auch nicht.

„Italien hat sein Studio Bonelli, England hat 2000 AD, nur Deutschland hat halt nix.“

Natürlich: Italien hat sein Studio Bonelli, England hat 2000 AD, nur Deutschland hat halt nix. Die goldenen Zeiten für solche Studios haben wir verpasst. Aber der moderne Comic scheint mir trotzdem – selbst in Frankreich – eher independent zu sein, und da ist die deutsche Szene, auch weil sie kommerziell denkt, auf einem interessanten Weg. Ich sehe jedenfalls lieber einen Herr Lehmann-Comic als ein Superman-Justice-League-Constantine-Crossover oder den zehnten Serienstart von Red Sonja. Und was den Wunsch nach mehr Genre angeht, so finde ich, dass wir uns auch ein bisschen an die eigene Nase fassen müssen, denn Deutschland hat schon immer seinen Schund- und Genre-Meister, aber er und seine Fans werden seit ungefähr 50 Jahren belächelt, auch von vielen GN-Verächtern, die sich Schund und Genre gegenüber doch so aufgeschlossen geben.

 

Andi: Es gab ja durchaus deutsche Mainstream- und Genrecomics jenseits von Hansrudi Wäscher. Rolf Kauka hat doch von den 1950ern bis in die 1970er mit einem Studio-System massenweise Comics herausgebracht und dafür deutsche Zeichner wie Walter Neugebauer, Franz Roscher und Helmut Murek rekrutiert. Und seine Comics haben sich über Jahrzehnte bestens verkauft.

Aber – und hier kommt Michels Kulturkampf-These in Spiel – der Bedarf an Comicmaterial konnte nicht allein mit deutschen Zeichnern gedeckt werden, weil sich einfach nicht genug fanden, die überhaupt einen Schund wie Comics zeichnen wollten. Es gibt ein interessantes Interview mit Peter Wiechmann, der in den 1960ern und -70ern als Redakteur und Autor viele Comicserien für den Kauka Verlag und später das Yps-Magazin entwickelte (Capitan Terror, Andrax, Hombre etc.). Darin erzählt er, wie sehr es die meisten deutschen Illustratoren zu dieser Zeit als unter ihrer Würde empfanden, Comics zu zeichnen. So musste er angesichts großer Nachfrage von neuem Material viele Serien in Italien, Frankreich, Belgien und Spanien einkaufen – und seine eigenen Comics mit spanischen Zeichnern umsetzen. Sein Studio Comicon siedelte er dann schließlich auch konsequenterweise von München nach Barcelona um.

Weniger aktuelle Genrecomics aus Deutschland

Und für Basteis über 30 Jahre laufende Gespenster-Geschichten sind neben eingekauften Comics aus dem Ausland ebenfalls einige deutsche Eigenproduktionen, u.a. geschrieben von Hajo F. Breuer und Peter Mennigen, entstanden. Aber auch hier musste mangels verfügbarer Zeichner – der ebenfalls mitmischende Hansrudi Wäscher konnte ja nicht alles machen – meist auf ausländische Künstler zurückgegriffen werden. Ähnliches galt für die Perry-Rhodan-Comics von Moewig, die in Deutschland getextet, aber in Italien gezeichnet wurden. Wenn es also von Verlagsseite aus die Chance gab, an deutschen Comics zu arbeiten, fehlten oft einfach die Künstler dafür. Wer wollte schon Schund für Kinder und Jugendliche produzieren?

Der Vollständigkeit halber nicht unerwähnt lassen sollte man jedoch das immer noch recht erfolgreich laufende Mosaik (gegenwärtige Auflage: knapp 100.000!). Das monatliche Heft – sowie der Mädels-Spin-Off Die unglaublichen Abenteuer von Anna, Bella & Caramella – entsteht bis heute in einem Comicstudio in Berlin, wo sich nach der Wende unter anderem Zeichner wie Sascha Wüstefeld, Ulf Graupner und Thorsten Kiecker ihre ersten Comicsporen verdient haben.

 

Im dritten Teil des Gesprächs reden wir über die Rolle der Kritik und überlegen, was dem deutschen Mainstream-Comic am meisten fehlt.