Kamingespräch

Kamingespräch: Wie geht’s dem deutschen Comic? (Teil 1)

Lizenzen für deutsche Comics werden mittlerweile in alle Welt verkauft, deutschsprachige Künstler wie Ulli Lust und Reinhard Kleist stauben Nominierungen für angesehene Comicpreise (und teils gar die Preise selbst)  in Frankreich und den USA ab – ist der deutsche Comic mittlerweile international konkurrenzfähig? Nicht ganz, meint wohl Flix, der kürzlich in einem Interview für das Magazin Wired das Statement abgab, dass deutsche Comickünstler mehr Haltung entwickeln müssten und sich allzu sehr im Autobiografischen ergehen. Hat er da Recht?

Wie es um den deutschen Comic 2014 im internationalen Vergleich steht, diskutierten die Comicgate-Autoren Andi Völlinger, Cristian Straub, Carsten Moll, Christian Muschweck, Benjamin Vogt, Till Felix, Daniel Wüllner und Michel Decomain.

 

Andi: Natürlich gibt es mittlerweile eine ganze Reihe deutscher Comics und Künstler, die zu Recht und erfreulicherweise Erfolge im Ausland feiern. Aber ein Zeichen, dass der deutsche Comic insgesamt dennoch nicht ganz so konkurrenzfähig bzw. entwickelt ist, wie es mancher Verleger oder Publizist gerne hätte, ist für mich ganz einfach die fehlende Genrevielfalt.

Wenn ich überdenke, was für Comics von deutschsprachigen Künstlern in den letzten Jahren bei den großen und mittelgroßen Verlagen rausgekommen sind, scheinen gefühlt 70 bis 80 Prozent davon entweder autobiografische Erzählungen, Biografien mehr oder weniger bekannter Menschen oder aber Romanadaptionen zu sein. (Mir graut jetzt schon davor, dass ich nach dieser kühnen Bauch-Aussage aufgefordert werden könnte, das mit harten Fakten zu belegen. Hat irgendwer da draußen eine brauchbare Statistik dazu?) In den übrigen Comics, die nicht in diese Kategorien fallen, wird dann zumeist ein jüngeres historisches Ereignis aufgearbeitet, vorzugsweise der Nationalsozialismus oder – noch lieber – die DDR.

Deutsche Comics zum Themenkomplex Mauerfall

Auch wenn viele Comics, die in obige Kategorien fallen, gut oder sogar großartig sind – und ich hier als Mittäter natürlich munter mit Steinen im Glashaus um mich werfe – fehlen mir als Genrefan deutsche Fantasy-, SciFi-, Krimi-, Abenteuer-, Funny-, Horror- und Actioncomics (deutsche Kriegscomics vielleicht nicht so sehr …). Die Vielfalt, die in den USA, Frankreich, Belgien, Japan und Italien (und bestimmt auch anderen, mir weniger bekannten nationalen Comicmärkten) vorhanden ist, geht mir hierzulande noch immer arg ab.

Deutschsprachige Genrecomics bei den Mainstreamverlagen kann man an zwei Händen abzählen: Annas Paradies, RIA und Malcolm Max bei Splitter, Steam Noir und bald auch Das UPgrade bei Cross Cult, Wormworld Saga bei Tokyopop, Alisik bei Carlsen, und Panini hat jetzt DIE TOTEN ins Programm übernommen…

Dann wären da noch Frostfeuer, Das Wolkenvolk, Die Zwerge und Die Chronik der Unsterblichen, die allesamt aber wieder Adaptionen erfolgreicher Romane sind. Und Gung Ho kann man auch nicht wirklich zählen, da der Comic bei einem französischsprachigen Verlag erscheint und in Deutschland nur zweitverwertet wird.

Habe ich was vergessen? Das ist jedenfalls ziemlich mickrig angesichts des Gesamtaustoßes an deutschen Comics…

 

Christian M.: Das Autobiografische an deutschen Comics ist wohl der Tatsache geschuldet, dass deutsche Comics fast ausschließlich aus dem Independent-Sektor kommen. Das ist im amerikanischen und übrigen europäischen Indie-Sektor aber nicht viel anders, siehe die Arbeiten von Robert Crumb, Chester Brown, Alison Bechdel und vielen mehr. Gerade unsere Independent-Comics sind definitiv auf einer Höhe mit dem internationalen Standard und werden ja im Ausland auch aufmerksam wahrgenommen. Auch Flix hat ja in diesem Genre angefangen. Problematisch sehe ich allerdings, dass außerhalb des autobiografischen Materials zu sehr auf Quote geschielt wird. Da gleicht vieles dem Event-Movie im Fernsehen zum aktuellen historischen Thema. Wenigstens ist das künstlerische Niveau gerade bei den jüngsten Beiträgen zum Genre „Historisches und Historisierendes“ oft erfreulich hoch. Man muss sich nur mal die höchst unterschiedlichen Bücher Irmina und Kinderland ansehen. Da hat schon noch eine Qualitätssteigerung stattgefunden.

 

„Die mangelnde Genrevielfalt ist kein comicspezifisches Problem“

Cristian S.: Als jemand mit Filmbackground fallen mir gefühlte Milliarden Diskussionen ein, die ich mit Filmkollegen über die vergleichsweise Schlechtigkeit des deutschen Fernsehens und über die weitgehende Bedeutungslosigkeit des deutschen (Kunst-)Kinos geführt habe. Es handelt sich also um eine sehr vertraute, vielleicht auch typisch deutsche Infragestellung – was allerdings nicht heißen soll, dass sie nicht ihre Berechtigung hat.

Ich finde, dass man die Frage nach dem deutschen Comic nur im Zusammenhang mit anderen visuellen Medien bzw Kunstformen wirklich befriedigend beantworten kann. Und da kommen wir schon recht schnell zu einem der Kernpunkte, die einer meiner Vorredner bereits ansgesprochen hat, und zwar: die mangelnde Genrevielfalt. Sie ist nämlich kein comicspezifisches Problem, sondern trifft genau so sehr auf das Fernsehen (Ü60-Krimis, seichte Romanzen, Zeitgeschichte) und noch krasser das Kino (Sozialdrama, Nazi-RAF-DDR-Zeitgeschichte, sowie Crossover von beiden) zu.

Man hat hier, trotz allerlei historischen Wettbewerbsvorteilen wie den Grimm’schen Märchensagen, Fritz Langs Metropolis und F.W. Murnaus Nosferatu seit dem 2. Weltkrieg praktisch keine Erzählformen im Bereich Science Fiction, Fantasy und Horror mehr zu bieten. Ob das soziokulturell mit der Aufarbeitung des Dritten Reiches (weg vom Mythos und Pathos, hin zu Neorealismus und Solidität) zu erklären ist oder damit zu tun hat, dass man in Deutschland sogar für eine alteuropäische Kulturnation unglaublich hochnäsig auf Unterhaltungskultur herabblickt? Die Fähigkeit, komplex und zugleich packend und unterhaltend zu erzählen, ist in Deutschland jedenfalls nicht sehr stark ausgeprägt.

Comics von Walter Moers und Ralf König

Der nächste Punkt ist auch einer, der vielleicht in den zeitgebundenen, visuellen Medien noch stärker ins Auge fällt: das Gefälle, was die Meisterschaft im visuellen Ausdruck angeht. Aber wenn man da genauer hinschaut, ist es durchaus auch etwas, was auf den deutschen Comic zutrifft. Wenn wir nur mal in Europa bleiben (wo ich mich leider nur oberflächlich auskenne), und Großbritannien wegen seinem regen Austausch mit dem amerikanischen Markt auch außen vor lassen; man kommt eben nicht umhin die erfolgreichen Comickulturen auch an ihren visuellen Meistern aufzuhängen: seien es ein Giraud oder ein Bilal für Frankreich oder ein Schuiten und ein Hergé für Belgien etc. Ich wüsste nicht, wer für Deutschland stehen sollte. Walter Moers? Ralf König? Von einer deutschen „Zeichenschule“ ganz zu schweigen. Man muss sich nur mal die Mühe machen, in der englischen Wikipedia nach „German Comic Artists“ zu suchen und die Anzahl der Einträge mit denen aus Frankreich, Belgien, Italien, Spanien … zu vergleichen. Aber auch kleine Länder wie Kroatien oder Serbien haben mehr international agierende Zeichner hervorgebracht als der gesamte deutschsprachige Raum. Das ist doch ziemlich irritierend.

So lange man nicht auf kommerziellem Niveau wettbewerbsfähig ist, was Storytelling und Zeichnen angeht, so lange wird man sich auf individuelle Ausreißer wie die von Lust und Bellsdorf verlassen müssen. Ich hoffe auch, dass sich in den Kunsthochschule dahingehend etwas ändert und Comics nicht mehr nur als Grafikexperimente wahrgenommen werden, sondern auch mehr Storytelling gelehrt wird. Aus einem Interview mit Ulli Lust auf The Comics Journal: „I came to Berlin to study art, illustration actually, because in Austria, they didn’t allow me to study. They said my drawings are so ’narrative‘ and they have a strict non-narrative policy at the Art Academy. If you do storytelling with pictures, they don’t take you. They won’t even admit you in the school, that’s their official policy.“

 

Christian M.: Na immerhin haben sich deutsche Universitäten bereits geöffnet. Aber die österreichische Haltung, die ja früher auch die deutsche war,macht einen schon sprachlos. Der Grund, weshalb es bei uns keine visuellen Meister wie Giraud oder Hergé gibt, dürfte aber auch sein, dass in Deutschland schon immer auf Lizenzen gesetzt wurde. In den Fünfzigern konnte Walter Lehning seinen Hansrudi Wäscher noch bis zum Umfallen auspressen, aber schon damals zeichnete sich ab, dass die Zukunft der Comics in Deutschland eher französische Lizenzen wie Michael Voss, Der Heitere Fridolin, Siggi und Barrabas oder Rolf und Miki waren, frankobelgisches Material, das schon damals nahezu unbegrenzt zur Verfügung stand.

„Kamen denn die frankobelgischen Meister der Goldenen Jahre von Hochschulen?“

Deutschen Romanschund und Lehning-Heftchen gab es in Deutschland doch früher in Hülle und Fülle, später erreichte Zack ein riesiges Publikum. Von daher greift die Parallele zum Film meiner Meinung nach nicht wirklich. Der Ursprung der Comic-Misere dürfte zunächst in der Bequemlichkeit der deutschen Verlage zu suchen sein. Kamen denn die frankobelgischen Meister der Goldenen Jahre von Hochschulen?

Ich denke der Grund, als angehender Comickünstler heutzutage an der Hochschule lernen zu wollen, dürfte sein, dass man dort gut geparkt ist, bis man seinen Stil perfektioniert hat. In Frankreich und Amerika gab’s da früher Studios, aber das dürfte inzwischen schon fast eine anachronistische Einrichtung sein.

 

Cristian S.: Sorry, aber da muss ich wieder mit dem Film-Serien-Vergleich kommen. Genau das Lizenzargument wird auch für den Mangel an deutschen Qualitätsserien hergenommen, zuvorderst von den Programmchefs selber: Warum ungleich viel mehr investieren müssen und dennoch bei weitem nicht das Niveau amerikanischer Serien erreichen? Das ist dort noch einigermaßen nachvollziehbar, nicht so sehr aber im Comicbereich, wo die Differenz zwischen Eigenherstellung und Lizenz ganz wesentlich geringer ist. Ich denke, wenn da „von unten“ was gekommen wäre, hätten sich bei bestimmten Verlagen auf die ein oder andere Weise publizistische Ventile gebildet. Da finde ich die Frage spannender, warum sich aus den Erfolgen mit Zack und den Wäscherheftchen nicht eine heimische Fan-Szene bzw. deutsche Comicmacher-Generation herausgebildet hat, wie das in anderen Ländern passiert ist? Gerade in der angesprochenen Generation Bilal-Tardi-etc klafft in Deutschland eine große Lücke.

 

Im zweiten Teil des Gesprächs geht es unter anderem um die kulturelle Anerkennung von Comics in Deutschland.