Howard Chaykin kam 1950 in New Jersey zur Welt und macht am liebsten Comics mit gutaussehenden Draufgängern, vorzugsweise jüdischer Herkunft, die eine Schwäche für Waffen, Frauen und coole Sprüche haben – und das nun schon seit 30 Jahren. Chaykins Zeichnungen für die Marvel-Comicserie Star Wars machten ihn berühmt, Comics wie The Shadow, Black Kiss oder Power & Glory machten ihn berüchtigt, seine eigene bissig-satirische Science-Fiction-Reihe American Flagg! schließlich machte ihn zu einem der einflussreichsten US-Zeichner überhaupt.
Mit zunehmendem Alter scheint auch Chaykins Arbeitspensum zu wachsen. Zu seinen jüngeren Comic-Projekten zählen Kurzgeschichten mit dem Spirit und der Justice Society für DC, die Miniserie Avengers 1959 für Marvel und der Strip „Marked Man“ in der Anthologiereihe Dark Horse Presents, die eben mit dem Eisner Award ausgezeichnet wurde. Derzeit arbeitet Chaykin an Black Kiss 2, entwickelt mit Autor Matt Fraction ein Projekt namens Satellite Sam und schreibt und zeichnet eine neue Miniserie mit der amerikanischen Science-Fiction-Ikone Buck Rogers.
Auf dem Comic-Salon Erlangen 2010 traf sich Marc-Oliver Frisch mit einem gut gelaunten Howard Chaykin, der über Jazz, Hip-Hop und den Ernst des Lebens reden wollte.
Interview und Übersetzung: Marc-Oliver Frisch; Foto: Christopher Bünte
[READ THE ORIGINAL ENGLISH VERSION OF THIS INTERVIEW.]
FRISCH: Ich hab Ihre Unterhaltung mit Ho Che Anderson im Comics Journal gelesen. Sie bezeichnen sich dort als „Journeyman“ [dt. etwa ein kompetenter, aber nicht unbedingt inspirierter Handwerker –der Übers.], sagen aber auch, Sie möchten eine „Marke“ sein, auf die sich Verlage und Publikum verlassen können. Das fand ich interessant, weil der Begriff „Journeyman“ selten als Kompliment verstanden wird.
CHAYKIN: Tatsächlich? Na ja, was ich gemeint habe, ist … Kennen Sie sich ein bisschen mit Jazz aus?
FRISCH: Nicht besonders, nein.
CHAYKIN: Sollten Sie aber, mit dem Hut.
FRISCH: Ich weiß.
CHAYKIN: Einer der großen weißen Jazzmusiker von den 1950ern bis in die 1970er war ein Typ namens Gerry Mulligan. Er war auch als der große weiße Mainstream- und Journeyman-Musiker bekannt. Ich glaube, der Kontext, in dem ich den Begriff benutzt habe, war, dass ich keiner bin, der besonders gut hierin oder darin ist, sondern dass ich mit allem zurecht komme, wenn es von mir verlangt wird. Egal ob Kriegsgeschichten, Western, Krimis oder Schnulzen, es ist eher wie bei … Sie sehen, wenn Sie mir eine einfache Frage stellen, bekommen Sie eine lange Antwort. Es ist eher wie bei der Generation vor meiner eigenen, denn diese Männer … Es ist nun mal so, dass die Jungs, die dem Marvel-„Bullpen“ angehörten, Stans erste Zeichner, nach Jack, alle aus DCs Abteilung für Liebesgeschichten stammten. Sie wissen schon, John Romita, Don Heck, all diese Burschen, die mit Comic-Schnulzen rumgekrebst sind. Aber man hat mir von Anfang an beigebracht, mit allen möglichen Genres klarzukommen. Was nichts daran ändert, dass, wenn ich einen Western mache, eine Science-Fiction-Story, einen Krimi oder eine Superheldengeschichte, dass ich diesem Material meinen eigenen Stempel aufdrücke, der klar macht, dass es sich in erster Linie um eine Howard-Chaykin-Story handelt, die diesen Figuren angepasst wird.
„Ich fühle mich
einigermaßen wohl
in meiner eigenen
Bedeutungslosigkeit.“
Ich betrachte „Journeyman“ nicht als abfällige Bezeichnung. Was mich angeht, sagt der Begriff, dass ich ein Mann unter Männern bin und ein Handwerker unter Handwerkern. Ich bin mir bewusst, dass, wenn ich sterbe, die Leute zwei Wochen lang nettes Zeug über mich schreiben werden, und danach vergessen sie mich. Und das finde ich in Ordnung so. Ich meine, ich hab schon ein Ego. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe ein Ego. Aber ich fühle mich auch einigermaßen wohl in meiner eigenen Bedeutungslosigkeit. Das ist mir einfach nicht so wichtig. Ich liebe meine Arbeit, aber ich mag das Arbeiten mehr als die fertige Arbeit. Wissen Sie, was ich meine? Es ist der Prozess, auf den es mir ankommt.
FRISCH: Man hat den Eindruck, Sie haben sich ganz gut mit der Realität arrangiert in der Art, wie Sie Ihrem Ego Ausdruck verleihen.
CHAYKIN: Ich habe ein ziemlich gutes Gespür für … Ich habe keine unrealistischen Erwartungen. Ich hatte letzte Woche eine lange Unterhaltung mit einem sehr guten Freund von mir, den ich zu selten sehe. Er ist Autor, sein erster Roman ist einfach brillant und wurde gut aufgenommen, und sein zweiter Roman wurde ignoriert, obwohl es ein wunderbares, tolles Buch ist. Und wir haben übers Versagen geredet. Wir haben darüber geredet, damit im Reinen zu sein … die Bitterkeit und den Ärger zu überwinden und die Tatsache zu akzeptieren, dass man nicht kontrollieren kann, wie’s beim nächsten Mal läuft.
Ich bin sehr stolz auf das, was ich in den letzten 30 Jahren gemacht habe. Einiges davon wurde gleichgültig aufgenommen, und ich habe keinen Schimmer, wieso ein Comic nur Gleichgültigkeit geerntet hat und ein anderer nicht. Es ist der reinste Schuss ins Blaue, die reinste Lotterie. Und das gilt für jede … Das gilt auch fürs Fernsehen und fürs Kino. Nimm Crazy Heart, zum Beispiel, den Film mit Jeff Bridges. Um ein Haar wäre er direkt auf DVD erschienen und hätte es nie in die Kinos geschafft, weil das Studio ihn für einen Rohrkrepierer hielt. Und jetzt ist es ein gigantischer Hit, so eine Art The Wrestler mit Gitarren. Es ist kein großartiger Film. Es ist nur ein guter Film. Aber nur ein erfolgreicher Film ist ein guter Film. Gil Kane hat mal gesagt, „Ist es erfolgreich, weil es gut ist, oder ist es gut, weil es erfolgreich ist?“ So sieht’s aus.
FRISCH: Sie scheinen einen guten Mittelweg für sich gefunden zu haben, was Ihre Karriere angeht, ihre Ziele und wie Sie sie erreichen wollen.
CHAYKIN: Ich glaube, das stimmt.
FRISCH: Bei vielen Comicmachern ist das nicht so.
CHAYKIN: Inwiefern?
FRISCH: Dass Leute mit den Sachen, die ihnen wirklich am Herzen liegen, ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ist eher die Ausnahme in der Branche, egal ob es dabei um Auftragsarbeiten oder eigene Sachen geht.
CHAYKIN: Nun ja, ich mache ja unter anderem auch deshalb gerade hauptsächlich Auftragssachen, weil ich meinen Lebensunterhalt verdienen will. Ich bin älter als viele meiner Kollegen. Als ich anfing, in der Comicbranche zu arbeiten, war ich der Jüngste in meiner Clique. Ich war bei weitem der Jüngste. Aber jetzt gehöre ich zu den Ältesten, und ich … Ich habe einen Lebensstandard, den ich halten will.
Wissen Sie, ich habe Glück, dass ich da lebe wo ich lebe, dass meine Finanzen so sind wie sie sind. Aber ich finde es zum Beispiel auch schön, Comicmessen in Europa besuchen zu können. Ich bin geladener Gast, ich kann meine Frau mitbringen … Ich muss meinen Lebensunterhalt verdienen. Ich habe gerade ein großes Verlangen danach, was anderes zu machen als die Auftragsarbeiten der letzten Zeit. Ich habe richtig Lust drauf. Es gibt zwei Projekte, die mir unter den Nägeln brennen.
FRISCH: Sie machen in letzter Zeit viel für Marvel, wie etwa Blade, Punisher oder Wolverine. Was mich davon am meisten interessiert, ist aber die neue Miniserie mit Dominic Fortune, einer Figur, die Sie erdacht haben.
CHAYKIN: Ein lustiges Ding. Das hat sehr viel Spaß gemacht. Und das war auch das erste Mal, dass ich andere Dominic-Fortune-Comics als meine eigenen gesehen habe. [Der Sammelband enthält auch Material, das nicht von Chaykin stammt. –die Red.] Ich hatte vorher noch nie Dominic-Fortune-Sachen gesehen, die andere Leute für Marvel gemacht haben. Ich schreibe und zeichne diese Figur sehr gerne, und das hier hat mir Gelegenheit gegeben, Geschichten und Konzepte umzusetzen, die ich seit Jahren im Hinterkopf hatte, und die ich immer schon machen wollte.
FRISCH: Was war es für eine Erfahrung in kreativer Hinsicht? Ist es eher ein Marvel-Comic oder eher ein Howard-Chaykin-Comic?
CHAYKIN: Die Redaktion hat sich sehr wenig … Sie haben mich eigentlich alles machen lassen, was ich wollte. Die Änderungen, die ich machen musste, waren komischerweise alle graphischer Natur. Es ging um die Titelbilder. Ich konnte das Olympia-Symbol nicht verwenden, weil es geschützt ist, und ich konnte keine Hakenkreuze auf dem Cover zeigen … Euretwegen. [Er meint Deutschland, wo Nazisymbole grundsätzlich nur zu Aufklärungszwecken erlaubt sind. Darum sahen sich schon diverse US-Verlage veranlasst, Zeichnungen entsprechend anzupassen. –die Red.] Aber davon abgesehen, eigentlich nichts. Ich hatte eigentlich freie Hand.
Wissen Sie, das Projekt kam so zustande, dass Axel [Marvel-Redakteur Axel Alonso. –die Red.] mich anrief und sagte, „Weißt du, was ich wirklich gerne sehen würde?“ Und ich sagte, „Was denn?“ Und er sagte, „Wie wär’s mit einer Dominic-Fortune-Max-Serie?“ Und ich sagte, „Scheiße, aber klar doch!“ [Max ist Marvels Label für Erwachsenen-Comics. –die Red.] Und dann hab ich’s eigentlich einfach drauf ankommen lassen und ging davon aus, dass die Redaktion Änderungen verlangen würde, aber [schnippt mit den Fingern] es gab im Endeffekt sehr wenige redaktionelle Eingriffe. Und ich war sehr dankbar und zufrieden und froh, dass es so war.
FRISCH: Sie machen viele Mainstream-Sachen, obwohl Ihr Stil in mancherlei Hinsicht nicht unbedingt den gängigen Normen entspricht.
CHAYKIN: Zum Beispiel …?
FRISCH: Die ganzen sexuellen Anspielungen in Mainstream-Comics sind für viele ein Tabuthema. Und wenn sie zur Sprache kommen, will keiner zugeben, dass sie da sind.
CHAYKIN: Sind sie da? In welchem Kontext? Geben Sie mir mal ein Beispiel.
FRISCH: In Frank Millers Daredevil gibt’s diese berühmte Szene, wo Elektra von Bullseye aufgespießt wird. Das soll eine Metapher für eine Vergewaltigung sein.
CHAYKIN: Ich dachte, er bringt sie einfach um. Wer hat das behauptet?
FRISCH: Miller.
CHAYKIN: Der ist ein versoffener Idiot. [Pause] Das brauchen Sie nicht zu schreiben … Hat er das echt …? Wann hat er das gesagt?
FRISCH: Zum Daredevil-Film gab’s eine Dokumentation, für die Miller interviewt wurde. Da sagt er’s. [Besagter Ausschnitt aus dem Film The Men Without Fear: Creating Daredevil ist auch bei Youtube zu sehen, etwa ab Minute 9:15. –die Red.]
CHAYKIN: Okay. So hat er das also gemeint? Ich hab das nie so interpretiert. Ich meine, ich kenne nur die Zeichnung, die Story hab ich nie gelesen.
FRISCH: Das scheint mir ein gutes Beispiel dafür zu sein, wie das Thema in Superheldencomics behandelt wird.
CHAYKIN: Haben Sie das für eine Vergewaltigungsmetapher gehalten?
FRISCH: [Pause] Als ich’s gelesen hab, ist mir das nicht in den Sinn gekommen. Ist aber auch schon lange her, also weiß ich nicht so recht.
CHAYKIN: Ich sehe das so: Vergewaltigung ist Vergewaltigung und Mord ist Mord, und man braucht seinen Arsch nicht hinter Metaphern zu verstecken. Das ist jedenfalls meine Meinung.
FRISCH: Darauf wollte ich hinaus, denn Ihre Comics sind da sehr viel weniger zimperlich als die meisten Mainstream-Sachen. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund.
CHAYKIN: Ich sehe gar keinen Grund dazu. Ich meine, ich gebe einem Redakteur immer die Möglichkeit, Änderungen zu machen. Selbst bei meinen eigenen Sachen, die an Erwachsene gerichtet sind, musste ich hier und da schon zurückrudern, meistens wegen rassistischer Bemerkungen oder sexistischer Bemerkungen oder ethnisch unsensibler Bemerkungen, bei denen ich der Ansicht war, dass sie gerechtfertigt sind durch die jeweilige Figur, die sie macht, aber die Redaktion … Ich wähle meine Worte hier sehr sorgfältig … die Redaktion dachte – und zu Recht, um ehrlich zu sein –, dass die meisten Leser … Ich sollte nicht die „meisten“ Leser sagen … einige Leser nicht dazu in der Lage sind, zwischen Figuren und Autor zu trennen.
In Power & Glory etwa habe ich den Präsidenten der Vereinigten Staaten einen unglaublich anstößigen Witz erzählen lassen, den ich bei einem Freund von mir gehört hatte, und ich wurde dafür aufs Schärfste kritisiert. Und Tatsache ist, dass die Funktion des Witzes darin bestand, die Figur des Präsidenten zu vermitteln und ihr Gestalt zu verleihen. Der Witz sollte die Tatsache verdeutlichen, dass der Präsident ein Kackvogel ist. Und ich finde es erstaunlich, dass … Es ist tatsächlich so, dass die Weichlichkeit, Empfindlichkeit und Mimosenhaftigkeit vieler Comicleser mir manchmal Angst macht. Ich meine, sei doch mal ein Mann. Allerdings hat’s bei mir auch eine Weile gedauert. Ich war ein eher prüder Typ, als ich jünger war. Aber ich hab diese Prüderie hinter mir gelassen, wissen Sie.
„Die Weichlichkeit,
Empfindlichkeit und
Mimosenhaftigkeit vieler
Comicleser macht mir
manchmal Angst.“
Und ich akzeptiere die Tatsache, dass mein Geschmack irrelevant ist, was manche Dinge angeht. Wie Hip-Hop, zum Beispiel. Hip-Hop ist dazu gemacht, mir auf den Sack zu gehen. Die Musik jeder Generation ist dazu gemacht, ihren Eltern auf den Sack zu gehen. Das ist Sinn und Zweck der Sache! Wissen Sie, ich war erst ein Folky und dann ein Jazz-Fan, und ein kleines bisschen mochte ich auch Rock’n’Roll, aber nicht besonders. Diese Musik war dazu gemacht, meinen Eltern auf den Sack zu gehen. Und Hip-Hop ist die Musik, die meine Generation nervt. Und das trifft auf alle sozialen Verhaltensweisen und Geschmäcker zu.
Wenn du also ein Problem mit meinen Sachen hast, wenn sie dich beleidigen, okay, dann lies sie nicht, ignorier sie, und steh dazu, wie du darüber denkst. Aber steh auch dazu, dass sie trotzdem eine Daseinsberechtigung haben. Und dass … Sehen Sie, ich glaube fest an eine pluralistische Gesellschaft, und ich bin gegen jede Form von Zensur. Klar gibt’s Sachen, die mir auf den Sack gehen, Sachen, die mir unangenehm sind, aber es käme mir nicht in den Sinn, ihnen deshalb ihre Existenz abzusprechen. Ich meine … Ich glaube fest an ein kollektives Gewissen. Wenn mir etwas auf den Sack geht, dann sag ich’s meinen Kollegen, und wenn die mir nicht zustimmen, dann vergesse ich die Sache. Wenn sie mir zustimmen, dann tun wir uns zusammen und treten diesen Leuten in den Arsch. Aber wenn ich mit meiner Meinung alleine bin: Schön, was soll’s.
Wissen Sie, es gibt bei vielen Menschen dieses enorme Bedürfnis, anderen Leuten ihre Geschmäcker aufzuzwingen, und mir ist es nun mal scheißegal, ob jemand mit mir einer Meinung ist oder nicht. Man soll mich einfach in Ruhe meine Arbeit machen lassen.
FRISCH: Steve Gerber hat Ende der 1970er einmal gesagt, wie sehr es ihn frustriere, dass die Leute alles wörtlich nehmen, was seine Figuren sagen.
CHAYKIN: Genau! Genau so sieht’s aus.
FRISCH: Sie sind genau so lange im Geschäft wie Gerber …
CHAYKIN: … und ich bin nicht tot!
FRISCH: … und Sie leben noch … also, glauben Sie, dass es besser geworden ist? Hat sich überhaupt irgendwas geändert?
CHAYKIN: Ich finde, es ist schlimmer geworden. Ich glaube, dass … Was die Sache noch komplizierter macht, ist … Ich weiß nicht, wie das im Deutschen ist. Über Deutschland kann ich nichts sagen. Aber ich kann sehr wohl was über die Vereinigten Staaten allgemein und über Kalifornien im Besonderen sagen. Und die Leute dort sind immer stärker darauf aus, sich von dem, was sie lesen, persönlich angegriffen zu fühlen.
Wissen Sie, in den ’70ern habe ich Archie Goodwin kennengelernt, und Archie hatte großen Anteil daran, mich langsam aber sicher von der Science Fiction loszueisen und aus mir jemanden zu machen, der Krimis zur Unterhaltung las, und er hat mir die Science Fiction verdorben. Ich habe einfach mein Interesse daran verloren. Also bin ich hingegangen und hab mich quer durch alle möglichen Spielarten des Krimis gelesen, Sie wissen schon, von Raymond Chandler über Dashiell Hammett bis hin zu dem britischen Kram. Und ich las auch viel von Dorothy Sayers. Und Dorothy Sayers war ein perfektes Beispiel für eine ganz speziell britische Ausprägung von Antisemitismus, die es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab. Und dazu musste ich … Es kostete mich Überwindung, darüber hinwegzusehen und Spaß an diesen Geschichten zu haben. Aber es ging.
„Die Leute sind
immer stärker darauf
aus, sich von dem, was
sie lesen, persönlich
angegriffen zu fühlen.“
Ich war 16, als meine Freundin mich zu Herbert von Karajan mitnahm, der ein Konzert in der Carnegie Hall gab. Und meine Mutter, eine Popular-Front-Demokratin, sagte zu mir, „Weißt du, dass von Karajan Hitlers Lieblingsdirigent war?“, und ich sagte, „Okay, aber weißt du, ich geh trotzdem hin, weil meine Freundin mich nämlich vögelt, wenn ich’s tue.“ Ende der Diskussion.
Mir ist schon klar, dass man differenzieren muss. Ludwig Hohlwein zum Beispiel … Ludwig Hohlwein war ein großartiger Reklamekünstler im Deutschland der 1910er und 1920er Jahre, und irgendwann machte er Propagandaposter für die Nazis. Fantastisches Zeug, vom Feinsten. Und er … Scheiße nocheins, es war einfach der Hammer. Und, nun ja, es war entsetzlich. Es ist Kunst im Dienste des Entsetzlichen, aber es sind ziemlich atemberaubende Sachen. Bei Leni Riefenstahl ist es genauso – es ist, was es ist. Riefenstahl war wahnsinnig … und interessant.
Daher bin ich gewillt, mir Sachen anzuschauen und dabei zu akzeptieren, dass ein Werk an sich eben so ist, wie es ist. Es gibt Elemente daran, die entsetzlich sind, und es gibt Elemente daran, die abstoßend sind, aber lasst mich verdammt noch mal in Ruhe, und dann lass ich euch auch in Ruhe. Das ist eine lange Antwort auf eine kurze Frage.
FRISCH: Denny O’Neil hat kürzlich gesagt, US-Comicmachern gehe es heute im Großen und Ganzen besser als früher. Hat er da recht?
CHAYKIN: Oh, absolut. Ohne Wenn und Aber, ja. Ich habe kein Geld verdient. Ich wurde wie Scheiße behandelt. Es gab keinerlei Respekt. Der Unterschied besteht darin, dass wir heute ein größeres Stück vom Kuchen abbekommen können, und es waren die Image-Jungs, die das möglich gemacht haben, auch wenn Image eine aufgeplusterte Version ihrer selbst war.
Ich meine, ich versuche, das nicht auszunutzen … Ich habe einen sehr komischen Ruf, denn bei den Fans gelte ich als ein unausstehliches Arschloch, und doch… [skeptischer Blick des Interviewers] Oh, glauben Sie’s mir ruhig. Die sagen das so. Ich mach mir keinerlei Illusionen oder falsche Vorstellungen darüber, wer ich bin … In der Branche hingegen betrachtet man mich als jemanden, der den Job erledigt und auf den man sich jederzeit verlassen kann, und das ist eine völlig andere Art von Umgang. Und es ist mir wichtiger, von meinen Kollegen und meinen Auftraggebern – meinen Kunden – geschätzt zu werden, als dass ich einen Scheiß auf die Fans geben würde.
Ich meine, ich war selber ein Fan. Ich hab ein Bild von mir, als ich 17 war. Ich wog 120 Kilo und war auch so ein Knilch, einer von diesen Bubis. Aber ich hab dazu nun einen gewissen Abstand. Ich hab mal gesagt, für die Comicleser geht’s jeden Mittwoch zum Comicladen, für mich geht’s jeden Morgen an meinen Zeichentisch. Das ist der Unterschied. Aber ich liebe den Arbeitsprozess. Ich bin sehr, sehr dankbar.
FRISCH: Sie haben auch mal gesagt, dass das Publikum für Comics mittlerweile nicht mehr die eigentlichen Leser sind, sondern die Leute, denen die Comicläden gehören.
CHAYKIN: Jepp, stimmt genau. Sie sind diejenigen, die diktieren, was verkauft wird und was nicht. Ich weiß nicht, ob das auch auf Europa zutrifft, aber in den Staaten läuft es jedenfalls so. Und das Gleiche gilt fürs Fernsehen und für Filme. Die Leute, denen man etwas verkaufen will, sind die Assistenten der Bosse, denn sie sind die Schleusenwärter.
Und die Fachhändler sind die Schleusenwärter in den Staaten, was Comics angeht. Sie sind diejenigen, die sagen, „Lest das, lest das, lest das nicht, das ist abscheulich, dieser Typ kann mich nicht leiden, lest das nicht“, Sie wissen schon, so nach dem Motto. Also ist es der Händler, der diktiert, was das Publikum zu sehen bekommt.
„Es gibt kommerziell
erfolgreiche Comics, die
mir ein komplettes Rätsel
sind. Manchmal denke ich nur,
das ist doch Scheiße—peinliche,
gequirlte Scheiße. Und die
Leute können den Hals nicht
voll kriegen davon.“
Ich meine, es gibt immer mal einen Hype um irgendwas, aber es gibt auch kommerziell erfolgreiche Comics, die mir ein komplettes Rätsel sind. Sie wissen schon, manchmal denkt man einfach, das ist doch Scheiße. Das ist peinliche, gequirlte Scheiße. Und die Leute können den Hals nicht voll kriegen davon. Und ich werde jetzt nicht sagen, welche Comics ich meine.
FRISCH: Sie sagten mal …
CHAYKIN: [albern] Ich werde keine Namen nennen.
FRISCH: Sie haben einmal gesagt, dass …
CHAYKIN: [alberner] Nein! Versuchen Sie’s nicht mal …! Sie mit Ihrem verdammten Hut!
FRISCH: Nun.
CHAYKIN: [singt und swingt wie Frank Sinatra zu besten Zeiten] Come fly with me, da da da da da …
FRISCH: Ja, das ist genau mein Ding. Also, Sie haben gesagt, Sie mögen Criminal.
CHAYKIN: Ich liebe es. Eine hervorragende Serie.
FRISCH: Ed Brubaker scheint jemand zu sein, der eine ungewöhnlich gute Mischung zwischen seinen eigenen Sachen und Auftragsarbeiten gefunden hat.
CHAYKIN: Das ist für Autoren einfacher als für Zeichner. Weil es wesentlich schneller geht, eine Seite zu schreiben als sie zu zeichnen.
FRISCH: Wäre das ein Modell, das für Sie in Frage käme?
CHAYKIN: Nicht wirklich … nicht wirklich. Wenn ich das so machen würde … Es gibt zwei Projekte, die ich wirklich gern umsetzen will. Aber das würde bedeuten, andere Sachen nicht zu machen. Das würde bedeuten, meinen Kredit weiter zu belasten. Aber im Moment … Ich meine, es ist eine finanzielle Entscheidung. Ich habe momentan mehr Schulden als mir lieb ist. Das ist Erwachsenenkram, kein Comicheftchen-Kram. In der Welt der Erwachsenen gehört mir ein Haus, und ich habe einen Kredit – es gehört mir, keine Hypothek – aber ich muss noch viel von dem Kredit abbezahlen, und ich würde lieber nicht noch mehr Geld aus diesem Topf nehmen, um mich selbst zu verlegen. Und genau das müsste ich tun für ein eigenes Projekt, denn bei der Art von Comics, die ich mache, ist der Eigenverlag der beste Weg. Ich könnte sie über Image vertreiben, aber Sie wissen schon. Ich werde einen Comic für einen kleinen britischen Verlag machen, den ein sehr guter Freund von mir betreibt. Ich habe zwei Krimiserien, die ich gern machen würde. Von denen weiß ich, dass sie wenigstens ein kleines Publikum finden würden. Es wäre zwar nicht genug Bares für einen großen Verlag, aber für mich wär’s okay. Aber ich müsste sie selbst finanzieren. Wie gesagt, es ist Erwachsenenkram. Kein Comicheft, sondern das wahre Leben.
Abbildungen: © Howard Chaykin/Marvel Comics/Dynamite Entertainment