Der Berliner Illustrator Arne Jysch, Jahrgang 1973, war bislang vor allem als Storyboard-Zeichner für Filme, Werbespots und Videoclips aktiv. Nun legt er seinen ersten Comic Wave and Smile vor, der aufgrund seiner Thematik gleich für ein recht großes Presseecho sorgte: Es geht um den Bundeswehreinsatz bei der ISAF-Mission in Afghanistan. Trotz des zeitgeschichtlichen Themas handelt es sich dabei nicht um einen dokumentarischen Comic, sondern um eine fiktive Erzählung. Unser Mitarbeiter Stefan Svik hat sich im Sommer 2012 per E-Mail mit Arne Jysch über das Projekt unterhalten.
COMICGATE: Nachdem Sie etliche Jahre für Filmproduktionen und Werbeagenturen gearbeitet haben, ist Wave and Smile ihr erster Comic. Wie ist die Arbeit an einem Comic im Vergleich zur Arbeit für Film und Werbung? Sind Comics ein finanziell und vom Ansehen her weniger lohnendes Medium?
Arne Jysch: Eher so: Comics sind finanziell weniger lohnend als die Arbeit bei Werbung und Film, dafür erhält man als Comiczeichner wesentlich mehr Anerkennung, da die Arbeit viel mehr Leuten zugänglich ist und der eigene Name draufsteht.
CG: Wie ist Ihre Arbeitstechnik? Wie entstehen Ihre Zeichnungen? Am Computer? Auf Papier?
AJ: Zunächst zeichne ich relativ klein und lege Kompositionen der Panels und der Seiten sowie die Posen der Figuren fest. Dann vergrößere ich die Skizze am Computer und pause das Bild in hellblau auf einem Leuchttisch durch. Ich benutze dabei besseres Papier und füge jetzt erst die (recherchierten) Details hinzu, ohne dabei die in der Mini-Skizze entstandene Dynamik und Silhouette zu verlieren. Dann mache ich die Reinzeichnung mit weichem Bleistift über diese Blauskizze. Das Blau kann dann nach dem Scannen herausgefiltert werden. Für die Comicseiten habe ich die Aquarellkolorierung auf einem separaten Blatt gemacht und erst im Computer mit der Strichebene verbunden. So kann man nachträglich die Farben korrigieren, ohne die Bleistiftzeichnung zu berühren.
CG: Wie lange hat es gedauert, den Comic fertig zu stellen?
AJ: Grob gesagt drei Jahre. Ein Jahr Recherche, ein Jahr Schreibarbeit, ein Jahr Zeichnen. Wobei sich diese Arbeitsschritte natürlich auch überlappen.
CG: Lesen Sie selbst Comics? Welches sind ihre aktuellen Favoriten? Welche Klassiker mögen Sie am liebsten?
AJ: Dann und wann lese ich auch einen Comic. Das ist durch die Arbeit am eigenen Werk aber viel mehr geworden. Ich schaue immer zuallererst, ob mich die Zeichnungen ansprechen, dann, ob mir die Geschichte gefällt. Leider ist es oft so, dass die Zeichnungen gut sind, aber die Geschichte doof und umgekehrt. Besonders beeindruckt hat mich in letzter Zeit die Serie DMZ von Brian Wood. Ich finde aber auch die Serie Torpedo von Abuli und Bernet sehr spannend und wahnsinnig gut gezeichnet. Die Storys sind allerdings für heutige Verhältnisse so böse und politisch unkorrekt, man darf eigentlich niemandem erzählen, dass man das liest. Weitere Comics, die ich auch lese, sind so unterschiedliche Sachen wie die von Matthias Schultheiss und Robert Crumb.
CG: Mangelt es an Comics, die für Erwachsene von Interesse sind, die weder Nerds noch Experten sind, die also nur ab und an einen Comic lesen statt sich exzessiv mit der Materie zu beschäftigen?
AJ: Ich glaube, inzwischen gibt es genug Künstler und Comics, die für diese erwachsenen Gelegenheitsleser perfekt sind. Viele wissen oft aber gar nicht, dass es Comicbände gibt, die sie ansprechen würden. Vielleicht weckt Wave and Smile bei einigen dieser untypischen Comicleser das Interesse für andere Graphic Novels. Das wäre doch schön.
CG: Würden Sie Wave and Smile als Comic oder als Graphic Novel bezeichnen? Oder ist Ihnen die Unterscheidung nicht so wichtig?
AJ: Mir persönlich ist die Unterscheidung nicht so wichtig, da ich mit „Comic“ nicht zwangsläufig „lustige Hefte“ verbinde. Ich kann aber auch verstehen, dass die Verlage den Begriff „Graphic Novel“ benutzen, um eine Unterscheidung zu schaffen zwischen den klassischen Comcs für eine jugendliche Leserschaft und den Büchern mit erwachsenen Stoffen. Auch drückt der Begriff gut aus, dass es sich um keine Serie, sondern um eine abgeschlossene Geschichte handelt. Ehrlich gesagt war ich aber froh, dass Carlsen den Begriff „Graphic Novel“ nicht auf das Buch gedruckt hat. Ich mag auch Milchkaffeegläser nicht, auf denen „Latte Macchiato“ steht.
CG: In der Arte-Dokumentation Comics ziehen in den Krieg wurde gesagt, dass Werke wie Waltz with Bashir und andere Comics, die sich mit Zeitgeschichte befassen, ein gänzlich anderes Publikum als die „klassischen“ Comic-Leser ansprechen. Fühlen sie sich in dieser Nische wohl oder könnten sie sich auch gänzlich anderes vorstellen, einen deutschen Fritz the Cat oder Superhelden etc.?
AJ: Bin ich in dieser Nische? Ich hatte eigentlich gehofft, auch den klassischen Comicleser anzusprechen. Superhelden gibt es mit Sicherheit von mir nicht.
CG: Hat das Buch für ihren Geschmack eher zu viel oder zu wenig „Action“? Macht es einen Unterschied, Dialoge oder Actionszenen zu zeichnen?
AJ: Das macht einen größeren Unterschied als ich dachte. Beim Schreiben dachte ich noch: Cool, ich kann viele Actionszenen zeichnen, so wie ich sie mir vorstelle, vor exotischer Kulisse mit viel Gerät und Dramatik. Das hat sich dann aber als ziemlich technischer Vorgang herausgestellt. Die Dialogszenen dagegen sind wesentlich spannender zu entwickeln, da es mehr um das „Spiel“ der Figuren geht. Man lässt jemanden zuhören und reagieren, wenn jemand anderes etwas sagt. Dabei haben Nuancen in den Blicken oder in der Körperhaltung im Wechselspiel mit dem Text eine enorme Wirkung. Es ist beeindruckend, wenn die Charaktere dann lebendig werden. Insofern hat das Buch ausreichend Action, finde ich. Ich habe das beim Zeichnen derart empfunden, dass die Action schnell eindimensional wirkt. Beim Lesen fügen sich die Actionszenen aber ganz gut ins Gesamtbild ein und bieten Abwechslung zu den Dialogen, die ja viele sachliche Informationen vermitteln müssen. In einer Filmversion hätte ich wahrscheinlich mehr Actionszenen eingebaut.
CG: Manche Szenen im Comic haben mich an Videospiele wie Modern Warfare 2 erinnert, die Szenen beim Tee mit den Einheimischen im Schatten erinnerten mich wiederum an Urlaubseindrücke – ist es schwer, das durch Filme und andere Medien geprägte, westliche Bild Afghanistans auszublenden?
AJ: Diese Videospiele kenne ich gar nicht. Um zu vermeiden, dass ich unbewusst von Spielfilmbildern oder anderen Fiktionen beeinflusst bin, habe ich für jedes Handlungselement versucht, reale Vorbilder zu finden. Seien es Fotos, YouTube-Filme, Erzählungen oder anonyme Blogs von Soldaten. Für die Kampfhandlungen musste ich allerdings eher auf amerikanische und britische Augenzeugenberichte aus dem Süden Afghanistans zurückgreifen, da hierzulande darüber sehr zurückhaltend berichtet wird. Wenn eine Szene sehr an Urlaub in südlichen Ländern erinnert, finde ich das doch einen interessanten Kontrast: Es passieren schreckliche Dinge in einem eigentlich schönen Land, in dem auch bei Tee zusammengesessen wird.
CG: Gab es den Vorfall mit dem Gefangenenlager in der Realität?
AJ: Schön, dass diese Episode so glaubhaft rüberkommt, aber das ist frei erfunden. Ich habe nach einer ungewöhnlichen Wendung in der Geschichte gesucht und wollte auch die Amerikaner mehr einbauen. Die Amerikaner hatten während der Zeit meiner ersten Recherche das berüchtigte Gefangenenlager in Bagram komplett neu errichtet und stolz der Presse präsentiert. Das war dann die Inspiration für diesen Teil meiner Geschichte. Die Szenen vermitteln aber auch, dass es eine Menge Vorbehalte zwischen den NATO-Partnern gibt und viele missglückte Aktionen unter den Teppich gekehrt werden. Die USA bleiben bei diesem Einsatz der „Große Bruder“, dem man sich unterzuordnen hat.
CG: Sie hatten vorab Kontakt zur Bundeswehr. Gab es inzwischen Rückmeldung von Soldaten auf den Comic?
AJ: Was das Feedback von Soldaten angeht, kann man zusammenfassend sagen, dass die Veteranen es als sehr authentisch empfinden und die Geschichte, besonders die erste Hälfte, bei ihnen Erinnerungen hervorruft. Stolz bin ich aber besonders auf die Reaktion einer afghanischen Mitarbeiterin der Deutschen Welle, die bestätigt hat, dass sie die afghanische Atmosphäre und die Afghanen sehr treffend dargestellt findet.
CG: Ich hätte mir ein Vorwort und Bonusmaterial gewünscht. Wollten Sie das nicht, sondern lieber den Comic für sich selbst sprechen lassen?
AJ: In der Tat war zunächst ein Vorwort im Gespräch. Ich war von der Idee sowieso nicht sonderlich begeistert und schließlich ist auch der Verlag davon abgekommen. Die Geschichte soll wirklich in sich funktionieren, ohne Erklärungen. Hintergrundinformationen gibt es genug in den Quellen, die ich am Ende des Buches nenne. Ich denke, Skizzen und Entwürfe für den Comic könnte man eventuell noch in einer Sonderausgabe unterbringen, wenn genug Interesse vorhanden ist.
CG: Gab es bereits Anfragen, das Buch für den Schulunterricht oder bei der Bundeswehr einzusetzen?
AJ: Nein.
CG: Gab es von Verlagsseite besondere Anforderungen oder Vorgaben bei dem politisch sensiblen Thema?
AJ: Nein. Sie wollten nur beim Covermotiv mitentscheiden. Da wurden einige Entwürfe im Vorfeld als zu „martialisch“ empfunden. Letztendlich ist es aber doch mein erster Motiv-Vorschlag geworden.
CG: Wollte man durch ein „weniger martialisches“ Cover vielleicht vermeiden, falsche Erwartungen zu wecken und zu reißerisch zu wirken? Lieber auf die „falschen Fans“ verzichten und dafür künstlerisch höherwertig auftreten?
AJ: Nein, die Unterschiede zwischen den Coverentwürfen waren wohl eher Geschmackssache. Ich habe auch teilweise nicht verstanden, warum dieses oder jenes zu martialisch ausgesehen hätte. Letztendlich lag ich ja richtig und es wurde mein erstes Lieblingsmotiv verwendet.
CG: Gäbe es Leserreaktionen, die sie sich nicht wünschen würden?
AJ: Die schlimmste Leserreaktion wäre der Propagandavorwurf. Deshalb möchte ich hier noch einmal klarstellen, dass ich zwar während der Recherche Kontakt zur Bundeswehr hatte, wie jeder Journalist, der vernünftig über das Thema berichten möchte. Ich wurde aber in keiner Weise von der Bundeswehr beauftragt, beeinflusst oder gar vergütet. Durch den Buchtipp und die überschwänglichen Reaktionen auf der Bundeswehrseite ist es da inzwischen zu Missverständnissen gekommen. Ich, als Autor vertrete auch nicht unbedingt die Meinungen der dargestellten Charaktere. Die Bundeswehr bleibt eine von unzähligen Quellen, die ich genutzt habe.
CG: Haben sie sich Gedanken darüber gemacht, wie das Buch auf die Leser wirken könnte? Gab es Selbstzensur?
AJ: Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, wie das Buch auf Leser wirken könnte. Ich gehe immer von einem sehr mündigen Leser aus, dem man nicht alles erklären muss, der die Zwischentöne wahrnimmt und auch Bildsprache versteht.
Selbstzensur gab es insofern, dass ich Pietät wahren wollte, indem ich keine Gewaltexzesse zeige oder jemanden bewusst lächerlich mache.
CG: Sie haben ihren Comic beim Comic-Salon in Erlangen vorgestellt. Wie haben Sie den Salon erlebt?
AJ: Es war für mich das erste Mal, auf einer Comicmesse zu sein und hat mich zunächst an Filmfestivals erinnert, von denen ich einige erlebt habe. Mir hat aber besonders gefallen, dass die Comicwelt hierzulande noch nicht so durchkommerzialisiert ist. Da treffen sich eher Liebhaber des Mediums als Geschäftsleute. Jeder scheint jeden zu kennen, man hilft sich gegenseitig und ich empfand es ein bisschen wie eine Großfamilie, in der ich mich gut aufgehoben fühle. Es ist, anders als in der Filmbranche, nicht so schwierig, diese oder jene einflussreiche Persönlichkeit der Szene zu treffen.
CG: Ist ein zweiter Comic geplant? Wenn ja, zu welchem Thema?
AJ: Konkret ist noch nichts geplant. Mich würde allerdings sehr interessieren, einen Thriller aus dem Berlin Ende der 1920er Jahre zu gestalten (in Farbe!). Über diese Zeit habe ich schon recherchiert. Mal sehen.
CG: Wird das dann ein Comic über das bevorstehende Dritte Reich? Eine Geschichte über Dekadenz und die Wilden Zwanziger? Oder eine ganz andere Richtung?
AJ: Verrate ich nicht.
Abbildungen: © Arne Jysch/Carlsen Verlag
Rezension von Wave & Smile in der Kolumne 2gegen1