Interviews

Obdachlosigkeit im Comic: Interview mit Christopher Burgholz

Das COMIC!-Jahrbuch 2015, das kommende Woche erscheint, enthält einen Beitrag von Stefan Svik über Comics in Straßenzeitschriften, also Heften wie Asphalt oder Hinz und Kunzt, mit denen Obdachlose und andere sozial Benachteiligte eine Chance bekommen, auf würdevollere Weise als durch Bettelei etwas Geld zu verdienen. Im Rahmen der Recherche für diesen Beitrag entstand auch das Interview mit Christopher Burgholz, das wir hier veröffentlichen. Burgholz ist Zeichner und Illustrator und lebt in Münster, wo er Design an der örtlichen Fachhochschule studiert. 2013 nahm er mit dem Comic Penner an dem Comicwettbewerb „Gramic Award“ des Evangelischen Presseverbands teil, dessen Thema „Toleranz“ lautete. Die Jury kürte Penner zum Sieger des Wettbewerbs. Die Buchversion des Comics ist im Jaja Verlag erschienen.

 

Christopher Burgholz (Foto: privat)Comicgate: Herzlichen Glückwunsch zum Gramic Award 2013 für Penner! Du bist Student, Jahrgang 1988 und dieser Comic ist dein Debüt. Was hat dich zu den Comics gebracht?

Christopher Burgholz: Ich habe schon immer gerne gezeichnet, auch Comics. Im Rahmen meines Illustrationsstudiums an der Fachhochschule Münster habe ich mich weiter mit dem Thema Comics auseinandergesetzt und mich schließlich entschlossen, einen Comic als Abschlussarbeit zu machen.

In der Buchausgabe von Penner steht, dass du der Zeichner bist. Aber du bist auch der Autor, oder?

Ja. „Zeichner/ Autor“ klang aber irgendwie doof. Letztendlich sehe ich mich eher als Zeichner, der seine eigenen Geschichten schreibt und nicht als Autor, der seine Geschichten zeichnet.

Wer hat dich zeichnerisch und erzählerisch zu Penner inspiriert?

Ich kann gar nicht genau sagen, wer mich zu dem Comic inspiriert hat. Viele meiner Lieblingszeichner wie Joe Matt oder K.C. Green machen eigentlich andere Arten von Comics, die oft eher lustig sind.

Wie hast du recherchiert? Welche Berührungspunkte hast du zu Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfängern und Obdachlosen?

Das Obdachlosenmagazin draußen hier in Münster hat mich netterweise bei meinen Recherchen unterstützt. Generell ist Obdachlosigkeit hier in Münster sehr präsent, auch wenn es in anderen Städten sicherlich problematischer ist. Es ist leicht, mit den Betroffenen direkt in Kontakt zu treten. Ich habe aber auch versucht, über die Literatur der sozialen Arbeit einen wissenschaftlichen Einblick zu gewinnen, um das Thema besser zu begreifen.

Ist Münster der Schauplatz von Penner oder irgendeine x-beliebige Stadt? Würde der Ort einen Unterschied machen?

Der Ort der Geschichte wird absichtlich nicht genannt, da sie in jeder Stadt stattfinden kann. Städte gehen teilweise verschieden mit dem Thema Obdachlosigkeit um, dennoch kann ein Schicksal, wie es in Penner beschrieben wird, überall in Deutschland entstehen. Teilweise sind die Szenerien in der Geschichte allerdings von meinen Eindrücken in Münster inspiriert.

Seite aus PennerWieso hast du dich für diese Farbgebung entschieden? Was soll sie bezwecken? Warum nicht Schwarz-Weiß?

Ich fand die Farbpalette einfach etwas stimmungsvoller als Schwarz-Weiß. Wobei die Geschichte sicherlich auch in Schwarz-Weiß funktioniert hätte.

Du bist noch ziemlich jung. Als Student ist es normal, wenig Geld zu haben, sehr einfach zu wohnen. Teilweise wird das Leben auf der Straße romantisiert und idealisiert. In Ulli Lusts Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens wird Armut in Italien als viel erträglicher als in Deutschland oder Österreich gezeigt. The Walking Dead greift die Sehnsucht von Menschen auf, die den Überfluss leid sind und nochmal neu anfangen, unter freiem Himmel schlafen und frei sind – unfreiwillig und von Zombies verfolgt. Dennoch: siehst du so eine Idealisierung eines ganz einfachen Lebens auch als Teil unseres Blicks auf Obdachlosigkeit?

Es ist leicht, von einem Leben in großer Einfachheit zu träumen, wenn man selbst nicht betroffen ist. Ein Leben in wirklicher Armut ist allerdings nicht einfach, sondern stellt einen stressigen und deprimierenden Zustand dar. So wollte ich das Thema auch in meinem Comic darstellen. Es mag anders sein, wenn der Lebensstil selbst gewählt ist, dies trifft jedoch auf Obdachlose in der Regel nicht zu. Das romantische Bild des Landstreichers verschwindet, denke ich, auch aus unseren Köpfen. Es passt einfach nicht in unsere heutige Gesellschaft. Sicherlich sehnen sich viele manchmal nach einer Art Postmaterialismus, der unser Leben unkomplizierter und stressfreier machen soll. Einen Schritt in diese Richtung gehen allerdings die Wenigsten. Wir sind viel zu abhängig von unserer Konsumlust und unserem Lebensstandard.

Warum hast du das Thema Obdachlosigkeit gewählt?

Ich habe das Thema gewählt, weil es hier vor Ort sehr präsent ist und darüber hinaus jeder eine Meinung dazu zu haben scheint. Ich wollte mich näher mit dem Thema beschäftigen, um es selbst besser begreifen zu können und zu verstehen, warum in einem Sozialstaat Menschen auf der Straße leben.

Cover PennerAlkohol, Einsamkeit, rasanter sozialer Abstieg und ganz überwiegend Männer als Betroffene – diese Themen finden sich immer wieder, wenn es um Obdachlose geht. Sind das die zentralen Gründe?

Die Schicksale der Betroffenen sind sehr individuell. Dennoch sind die Aspekte, die in der Geschichte aufgegriffen werden, in der Obdachlosigkeit sehr weit verbreitet. Häufig gibt es ein Scheitern, einen Verlust oder Ähnliches im Leben der Betroffenen, von dem sie sich einfach nicht erholen können. Hinzu kommt die Selbstbetäubung und schließlich das Unvermögen oder die Angst davor, zurück in die Gesellschaft zu finden. Erschwert wird dies häufig durch die Behörden, die nicht selten unfähig sind, den Menschen wirklich zu helfen, was symptomatisch ist für tiefer liegende politische aber auch gesellschaftliche Schieflagen.

Wird die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland größer, haben wir noch eine soziale Marktwirtschaft?

Es ist ja nicht alles verkehrt in Deutschland. Aber vor dem Hintergrund, dass wir wirtschaftlich international eigentlich sehr gut dastehen, ist es traurig, dass Reichtum in Deutschland so ungleichmäßig verteilt ist. Ich denke, da müssen wir noch dazulernen. Wir haben gegenüber den Schwachen in unserer Gesellschaft eine Verantwortung, die seitens des Staats teilweise nur auf dem Papier oder gar nicht wahrgenommen wird. Das sind Fehler, die korrigiert werden müssen. Zumal an anderer Stelle Überschüsse da sind. Es hat also schon mit einer falschen Verteilung zu tun.

Seite aus PennerDu musstest keinen Wehr- oder Zivildienst leisten, oder? Deine Generation wird auf Turbo-Abi, zielgerichtetes, schnelles Studium und Wirtschaftlichkeit gedrillt, mehr noch als vorherige Generationen. Oder ist das zu überspitzt formuliert? Darfst du dich etwa beim Jaja-Verlag langsam entwickeln oder werden sofort bestimmte Verkaufszahlen erwartet?

Den Zivildienst hätte ich tatsächlich noch leisten müssen, wenn ich nicht ausgemustert worden wäre. Es stimmt, dass in unserer Generation alles ziemlich kompakt und fokussiert zugehen soll. Gleichzeitig soll jeder studieren und Praktika machen und dann sitzt man nämlich doch eine Weile da, bis man seinen Kram mal fertig hat. Und am Ende merken manche, dass es doch nicht funktioniert und machen nochmal was komplett anderes. Insofern glaube ich, dass schon eine Menge von unserer Generation erwartet wird. Gleichzeitig haben viele von uns aber auch eine große Freiheit dahingehend, in welche Richtung sie gehen möchten. Dass ich als Illustrator arbeite und Penner gezeichnet habe, sehe ich als große Freiheit. Wie sich ein solches Comicprojekt letztendlich entwickelt, darüber kann allerdings weder ich noch der Verlag bestimmen. Ich wollte die Geschichte so erzählen und der Jaja-Verlag hat mich gelassen. Alles Weitere liegt nicht in meiner Hand.

Was denkst du über das Comic-Manifest, ein Bedingungsloses Grundeinkomnen und staatliche Förderung? Wie siehst du deiner Zukunft als Comiczeichner und Comicautor entgegen?

Staatliche Förderung halte ich schon für wichtig. Wenn es die nicht gibt, kommen viele gute und wichtige kulturelle und soziale Projekte nicht zu Stande. Das Comic-Manifest finde richtig, da es darauf hinweist, dass für den Comic der gleiche Maßstab angesetzt werden muss wie für andere kulturelle Aspekte unserer Gesellschaft. Er ist ein genauso wichtiges künstlerisches Medium wie andere auch und sollte auch dementsprechend gefördert werden.

Ich weiß nicht, wie meine Zukunft in Bezug auf Comics aussehen wird. Comics werde ich weiterhin machen, auch wenn sie nicht das einzige sein werden, woran ich als Illustrator arbeite.

Ist ein zweiter Comic von dir in Arbeit?

Da ist etwas in Arbeit, aber alles noch ganz früh und geheim.

Gilt für dich „ernster Comic – ernster Mensch“ oder bist du privat nicht der stille, nachdenkliche Beobachter, wie der Comic vermuten lässt? Wahrscheinlich gibt es da nicht nur Schwarz-Weiß?

Ernst bin ich überhaupt nicht, auch wenn die Geschichte eine ernste ist. Dass ich meistens aber lieber andere Leute anschaue, als selbst angeschaut zu werden, stimmt schon.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Rezension von Penner geht es hier.
Mehr von und über Christopher Burgholz auf christopher-burgholz.com

 

Abbildungen: © Christopher Burgholz/Jaja Verlag