Rezensionen

Penner

Cover PennerObdachlosigkeit bleibt uns wahrscheinlich sehr fremd, bis wir selbst direkt davon betroffen sind. Es gibt fast keine obdachlosen Comickünstler und so schreibt und zeichnet auch Newcomer Christopher Burgholz (Jahrgang 1988) letztlich, trotz Recherche vor Ort in seinem Wohnort Münster, eine Geschichte aus zweiter Hand – ist diese Distanz Manko oder Chance?

Statt „Penner“ könnte der Comic auch „Säufer“ heißen, denn genau das ist Hauptfigur Walter. Seinen Nachnamen erfahren wir nicht und auch der Name seiner Stadt wird nicht erwähnt – es könnte Münster sein, aber genau so gut Berlin oder jede andere Stadt in Deutschland.

Wir begleiten Walter einige Tage durch seinen Alltag, der trist und voller Routine ist und gleichzeitig eine Vielzahl von Problemen zeigt, die Obdachlose plagen: die Suche nach einem Schlafplatz für die Nacht, Konflikte mit der Polizei, das Auftreiben von Geld, vor allem durch Pfandflaschensammeln aus Mülltonnen und das Eintauschen des Geldes in Alkohol. Ein Sozialarbeiter versucht Walter zu helfen, aber das ist diesem eher lästig. Erst gegen Ende des sehr kurzen Comics werfen wir einen Blick zurück in Walters altes, bürgerliches Leben, bevor er durch den Suff erst seinen Job und dann seine Familie verlor. Ob es das für ihn gewesen ist oder ob es ein Zurück gibt, nachdem er so tief gestürzt ist?

Seite aus PennerZeichnerisch ist dieser Comic mit dem zumindest auf mich unsensibel wirkenden Titel „Penner“ völlig in Ordnung. Das ist solide Graphic-Novel-Qualität mit genügend Details und handwerklich gelungenen Bildern. Für gänzlich missraten halte ich die Kolorierung: Wieso hat sich Burgholz nicht für Schwarz-Weiß entschieden? Der furchtbare Orangeton tat mir beim Lesen permanent in den Augen weh und verleidet mir den ganzen Comic. Ich verstehe nicht, was das bezwecken soll!

Inhaltlich erinnert die Geschichte ein wenig an die Schullektüre Hau ab du Flasche von Ann Ladiges – dort geht es darum, vor den Gefahren des Alkoholismus zu warnen, ein gutes und richtiges Anliegen, das ohne Schnörkel auskommt und bei dem Humor auch eher deplatziert wäre. Burgholz sendet eine positive Botschaft und behandelt das Thema Obdachlosigkeit würdevoll und mit offensichtlich glaubhaftem Interesse. Aber es kommt keine rechte Bindung zum Protagonisten zustande. Erst gegen Ende kommt Mitgefühl auf – hätte es mehr Rückblenden in sein altes Leben gegeben, wäre Walter nicht irgendwer, sondern jemand, an dem den Lesern etwas liegt.

Penner saufen, sind schweigsam und insgesamt ist das Thema furchtbar trost- und hoffnungslos. Christopher Burgholz hat dem Thema Obdachlosigkeit leider keinerlei neue Perspektiven hinzufügen können und so ist sein Comic weder besonders unterhaltsam noch wirklich berührend. Aber das Handwerkszeug hat er, und wenn es dem jungen Münsteraner in Zukunft gelingt, intensivere Geschichten zu erzählen und sie mit mit weniger schablonenhaften Figuren auszustatten, kann man sich auf seine nächsten Comics sehr freuen.

  

Wertung: 6 von 10 Punkten

Ein solides Debüt, das in Schwarz-Weiß und mit mehr Identifikation mit dem Protagonisten noch besser wäre

 

Penner
Jaja Verlag, Juni 2014
Text & Zeichnungen: Christopher Burgholz
ISBN: 978-3-943417-56-2
68 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 14 Euro
ISBN: 978-3-943417-56-2
Leseprobe und Direktbestellung beim Verlag 

 

Zum Interview mit Christopher Burgholz geht es hier.

 

Abbildungen: © Christopher Burgholz/Jaja Verlag 

 

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