Filmrezensionen

Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn

Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der EinhornThe Adventures of Tintin
USA/Neuseeland 2011
Regie: Steven Spielberg
Hauptdarsteller: Jamie Bell (Tim), Andy Serkis (Kapitän Haddock), Daniel Craig (Iwan Iwanowitsch Sakharin), Simon Pegg (Schultze), Nick Frost (Schulze)

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Der letzte Film, bei dem Steven Spielberg selbst Regie geführt hat, war Indiana Jones 4: Das Königreich des Kristallschädels. Zu gewollt, zu überdreht, zu shialabeouf war die Fortsetzung, mit der Spielberg versuchte, an seine Erfolge anzuknüpfen. Heute, fünf Jahre später, hat Spielberg einen neuen Indiana Jones gedreht, der ganz ohne Indy auskommt: Mit Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn entdeckt Spielberg seine Lust am Actionkino wieder und überträgt Hergés Figuren unbeschadet in die dritte Dimension. 

Im Jahr 1983, kurz vor seinem Tod, verfügte der belgische Comiczeichner Georges Remi alias Hergé, dass seine weltbekannten Tim und Struppi-Comics nur von einem einzigen Mann verfilmt werden dürfen: von Steven Spielberg. Obwohl die beiden Visionäre sich nie persönlich getroffen haben, schätzten sie das Werk des jeweils anderen sehr. Gerade aus Respekt vor dem Lebenswerk Hergés dauerte es fast dreißig Jahre, bis Spielberg den Jungreporter Tim und seinen Terrier Struppi auf die große Leinwand brachte. Spielberg hat auf den richtigen Moment, auf das richtige Team und vor allem auf die richtige Technik gewartet, um Hergés Vermächtnis mit Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn filmisch umzusetzen. 

Szene aus Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der EinhornBereits der Vorspann zeigt, warum sich das Warten gelohnt hat. Obwohl dieser Raum eigentlich nur für die Opening Credits, die Namen der Mitwirkenden, gedacht ist, nutzt Spielberg ihn gleichzeitig als Einführung in seinen Kosmos. Ebenso wie die Regisseure der James Bond-Filme in ihrem Intro nackte Frauen, Agenten und Pistolen in LSD-Farben vorbeiziehen lassen, spiegelt der Vorspann die Essenz des Filmes wider: Wir sehen einen animierten Tim, wie er den zweidimensionalen Raum verlässt, sich an der Original-Schrift aus den Comics vorbeischlängelt, plötzlich abbiegt und sich in der dritten Dimension wiederfindet. Dabei nimmt die Handlung keinen Schaden: Tim recherchiert, verfolgt und bringt den Bösewicht selbstverständlich hinter Schloss und Riegel.

Die Handlung des Films haben Edgar Wright (Shaun of the Dead und Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt) und Joe Cornish (Attack the Block) aus drei verschiedenen Tim und Struppi-Alben zusammengebastelt: „Das Geheimnis der Einhorn“, „Der Schatz Rackhams des Roten“ und „Die Krabben mit den goldenen Scheren“. Wer eine werkgetreue Umsetzung erwartet, wird hier sicherlich enttäuscht, da Spielbergs Filme andere Anforderungen an die Geschwindigkeit der Handlung stellen als Hergés Comics.

Szene aus Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der EinhornDie Entscheidung für eben diese Ausgaben hat Spielberg gemeinsam mit Produzent Peter Jackson (der im Falle eines Kassenerfolgs von Tim und Struppi beim zweiten Film Regie führen soll) getroffen, da den beiden Tintin-Fans das erste Zusammentreffen von Tim und Kapitän Haddock sehr am Herzen lag. Ein Entschluss, der bei aller Liebe zur neuesten 3D-Technik die Charaktere und ihre Beziehung zueinander nicht vernachlässigt. Es sind Tim und Struppi, die, mit dem Kapitän im Schlepptau, auf den Spuren des haddock’schen Familiengeheimnis wandern. Dafür schwimmen sie im Ozean, verdursten beinahe in der Wüste und hetzen atemlos durch alle Gassen. Auch wenn aus den zweidimensionalen slapstickhaften Episoden eine dreidimensionale Verfolgungsjagd geworden ist, so bleiben Spielberg und Jackson der Entdeckerlust ihres Idols Hergé doch treu.

Die Lust am Entdecken – die den Archäologen Dr. Jones so interessant machte – durchdringt jede Pore dieses Films. Angefangen bei der Haut der Schauspieler selbst: Der erste Trailer des Filmes ließ vermuten, dass die Figuren sich irgendwo zwischen Schauspieler und Animation bewegen. Die Angst, weder den Akteuren noch den Charakteren aus den Comics gerecht zu werden und aus der Fantasiewelt Hergés ein lebloses 3D-Gebilde zu erzeugen, war groß. Doch zum Glück bewegen sich die Figuren irgendwo zwischen Schauspieler und Animation. Mittels Performance-Capture-Technologie wurden ihre Bewegungen und auch ihre Mimik aufgezeichnet. Wir sehen zwar immer noch Jamie Bells (Billy Elliot- I Will Dance) Schauspielerei, doch auf seinem Gesicht liegt die computergenerierte Maske von Tim. Jeder Zuschauer und Tim und Struppi-Fan muss sich selbst die Frage stellen, ob er lieber Bells Gesicht anstelle von Tims gesehen hätte, ob das Digitale die Fantasie zerstört oder ihr unter die Arme greift.

Szene aus Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der EinhornAuch wenn es befremdlich wirkt, vergisst man diese Tatsache nach wenigen Minuten, und spätestens, als Kapitän Haddock auftaucht, denkt man gar nicht mehr daran, dass mit Andy Serkis auch Gollum und King Kong vor uns stehen. Dank der Technik und Serkis‘ schauspielerisch-akrobatischem Talent sieht man einen echten Haddock, mit all seinen Flüchen gewappnet und mit seiner Trinklust ausgerüstet. Die Beschimpfungssalven, die er abfeuert, sind genauso liebevoll inszeniert wie jede kleine Slapstickeinlage von Schulze und Schultze (Simon Pegg und Nick Frost), die den Comics direkt entliehen ist.

Wie zwei neugierige Kinder entdecken Spielberg und Jackson die Möglichkeiten der dritten Dimension. Die Technik ist das entscheidene Bindeglied zwischen den beiden. Hat sich doch Spielberg für Jacksons oscarprämierten Special-Effects-Experten Joe Letteri und dessen neuseeländische Firma Weta Digital entschieden. Dabei lobt Spielberg vor allem die Möglichkeit, neben der normalen Regisseur/Schauspieler-Interaktion auch noch die Möglichkeit der virtuellen Kamera zu haben: So konnte er sich durch den „Green Room“ bewegen und die Figuren bereits während des Drehs aus der dritten Dimension beobachten. Dieses Verfahren merkt man dem Film an: Jede Tür, die aufgestoßen wird, jede Whiskyfahne, die ausgestoßen wird, schreibt sich glaubhaft in die dreidimensionale Leinwandwelt ein. Wie Tobias Kniebe zu Recht in der Süddeutschen Zeitung schreibt, ist das Digitale „die vorerst letzte Grenze des Kinos“. Es stellt sich aber nicht die Frage, wann die Computer endgültig die Macht übernehmen, da man vor dieser Grenze nicht einfach verharren kann. Es gilt sie auszuloten und zu übertreten. Den ersten Schritt haben Spielberg und Jackson getan.

Szene aus Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der EinhornTritt man einen Schritt von der Leinwand zurück und betrachtet die Comics von Hergé, so steht der Gedanke des Auf- und Entdeckens im Zentrum aller Geschichten. Andere Länder gilt es zu erkunden und fremde Kulturen zu erleben. Auch wenn Hergés Ausflüge in die Ferne nicht immer ganz politisch korrekt gewesen sein mögen, so hat sich der Autor äußerst genau in die Ferne eingearbeitet. Deutlich wird das auch im Film: Die fiktive marokkanische Stadt Bagghar erblüht in all ihrer orientalischen Pracht. Die Tatsache, dass ihr arabischer Herrscher nicht unbedingt eine gute Figur abgibt, ist wohl eher ein unglücklicher Hinweis darauf, wie treu Spielberg Hergés Comics wirklich bleibt. Beinahe versöhnend tritt rettend die musikalische Untermalung von John Williams ein.

In sein Noir-Universum, das nicht historisch bestimmt sein soll, setzt Spielberg die Figuren Hergés, damit sie sich austoben können. Die Charaktere leben ihre neu gefundene dreidimensionale Freiheit voll aus: Warum sollten sie nicht mit einem Motorrad durch ein Haus fahren, um dem Falken die Schatzkarte aus den Klauen zu entreißen? Warum sollte Ritter von Haddock nicht im Spektakel der Seeschlacht seinen kunstvollen Umgang mit der Klinge in alle Himmelsrichtungen verteilen? Genau an dieser Stelle paart sich die Comicverfilmung mit Spielbergs Faible für die atemlose Verfolgungsjagd – umgesetzt mit Hilfe seines langjährigen Cutters Michael Kahn (Jäger des verlorenen Schatzes, Der Soldat James Ryan) – zu einem hervorragenden Stück Actionkino. Im Gegensatz zu Shia LaBeouf nimmt man dem digitalen Bell/Tim jeden einzelnen Sprung ab und hält wie bei den „alten“ Indiana Jones-Filmen den Atem an, wenn Harrison Ford nur noch mit einer Hand an seiner Peitsche über dem Abgrund hängt. Auch wenn diese Peitsche heutzutage digital ist.

 

Wertung: 10 von 10 Punkten

Gelungener Transfer von Hergeś Figuren in die dritte Dimension – einfach gute Unterhaltung

 


Offizielle Film-Website (englisch)
Offizielle Film-Website (deutsch)
Tim und Struppi bei Carlsen Comics
tintin.com

Abbildungen © Sony Pictures Releasing