Filmrezensionen

Alois Nebel

Filmplakat Alois Nebel Alois Nebel
Tschechien 2011
Regie: Tomás Lunák

Hauptdarsteller: Miroslav Krobot, Marie Ludvíková, Karel Roden, Leos Noha, Alois Svehlík, Tereza Voříšková

 

Der kleine Ort Bílý Potok, Tschechoslowakei, an der Grenze zu Polen, im Jahr 1989. An einem Bahnhof tut der Fahrdienstleiter Alois Nebel seinen Dienst. Er dürfte knapp 50 Jahre alt sein und ist ein wenig kauzig. Seine liebste Lektüre scheint das Kursbuch der EIsenbahn zu sein, immer wieder murmelt er Fahrpläne vor sich hin.

Rund um diesen Alois Nebel drehen sich die Comics von Jaroslav Rudiš und Jaromír 99, die in Tschechien seit 2003 mit großem Erfolg erscheinen und seit letztem Jahr auch auf Deutsch zu lesen sind (bei Voland & Quist erschien 2012 ein Sammelband sowie 2013 Alois Nebel: Leben nach Fahrplan). 2011 entstand eine Filmadaption, die nun in die deutschen Kinos kommt. Dass der Film von Regisseur Tomás Lunák so nahe wie möglich an der Comicvorlage bleiben möchte, zeigt sich daran, dass Rudiš und Jaromír 99 selbst das Drehbuch verfassten, vor allem aber an der Optik des Films: Er wurde mit Schauspielern gedreht, hinterher wurden die Bilder jedoch übermalt (mehr dazu in der Wikipedia), so dass wir im Ergebnis einen Zeichentrickfilm sehen, der sich stilistisch sehr eng an die Comics anlehnt: harte Schwarz-Weiß-Kontraste, ergänzt durch Graustufen. Die Ästhetik des Film Noir stand hier deutlich Pate, was noch durch die Tatsache verstärkt wird, dass hier meistens trübes Wetter oder Regen herrscht.

Szene aus Alois NebelIm Verlauf der Handlung begleiten wir Alois Nebel zunächst in eine psychiatrische Anstalt, in die er eingewiesen wird, später dann nach Prag, wo er nicht nur ein paar sauflustige Gestalten kennenlernt, sondern auch eine Toilettenfrau. Die schüchternen Annäherungsversuche zwischen Kveta und Alois sind die schönsten Momente des Films: Die düster-drückende Stimmung wird hier ein wenig aufgebrochen, ohne dass der Film in Gefühlskitsch abgleitet. Kann ja sein, dass sich Alois Nebel verliebt, aber das heisst noch lange nicht, dass er sich zu einem Lächeln durchringen kann.

Unterbrochen wird die Handlung mehrfach von Traumsequenzen, die den Protagonisten zurück in die Vergangenheit führen, in die Zeit am Ende des Zweiten Weltkriegs, als er ein kleiner Junge war und am Bahngleis Zeuge wurde, wie die Nazis Gefangene deportierten und später die Deutschen vertrieben wurden. In beiden Fällen sind enge Familienmitglieder involviert. In diesen Rückblenden verknüpft sich also die persönliche Geschichte der Hauptfigur mit der deutsch-tschechischen Historie. Verdrängung ist das Stichwort, nicht verarbeitete Lasten der Vergangenheit als mentaler Ballast für die Gegenwart, persönlich wie politisch.

Szene aus Alois NebelTrotz dieser Einblicke in seine Psyche kommen wir diesem Alois Nebel im Verlauf des Films nicht wirklich nahe. Er bleibt ein mürrischer, rätselhafter Sonderling, nicht unsympathisch, aber keiner, mit dem man von ganzem Herzen mitfühlt. Es ist nicht leicht, einen emotionalen Zugang zu den Figuren zu bekommen. Hier wirkt die Rotoskopietechnik, die die Gesichter der Schauspieler mit weißen Flächen und schwarzen Linien übermalt, wie ein allzu übereifriger Maskenbildner, der dafür sorgt, dass zu wenig Nuancen in der Mimik zu erkennen sind. Vielleicht ist das der Grund, dass Alois Nebel und seine Nebenfiguren dem Zuschauer seltsam fremd bleiben – ein Realfilm hätte hier womöglich ganz anders gewirkt. Insgesamt sorgt die Rotoskopietechnik für eine unterkühlte, etwas sterile Stimmung. Das Organische, das gezeichnete Bilder (ob im Film oder im Comic) ausmacht, geht Alois Nebel völlig ab.

Auch das Drehbuch macht es dem Zuschauer nicht leicht. Obwohl es sehr langsam, manchmal geradezu träge erzählt, gibt es immer wieder Lücken und Auslassungen. Vieles muss man sich selbst zusammenreimen. Wie und warum Nebel zum Beispiel in die Nervenheilanstalt hinein- und wieder herauskommt, oder in welcher Beziehung die einzelnen Figuren zueinander stehen, wird nur in Ansätzen erklärt, viele Fragen bleiben offen. Auch der zeithistorische Hintergrund wird nicht groß erklärt, Lunák und Rudiš gehen davon aus, dass das Publikum das nötige Grundwissen schon mitbringt.

Szene aus Alois NebelMan muss schon ein Faible haben für wortkarge Typen und eine lakonische Erzählweise, um Gefallen an Alois Nebel zu finden, denn „Spaß“ im klassischen Sinn macht der Film eigentlich nicht. Wer aber Filme von Aki Kaurismäki oder Jim Jarmusch mag, dem dürfte die trüb-melancholische Stimmung des Films durchaus zusagen. Die Komik, die in all der Tragik durchaus angelegt ist, schimmert leider nur ganz selten ein wenig durch und kam mir persönlich deutlich zu kurz.

 

Wertung: 6 von 10 Punkten

Lakonisch-düsterer Animationsfilm mit Tiefgang, der etwas zu unterkühlt bleibt

 

Alois Nebel läuft ab dem 12.12.2013 in diesen Kinos

Abbildungen © Pallas Film