In Frankreich und Belgien ist er schon auf dem Markt, in wenigen Wochen erscheint er auch auf Deutsch: La Douce (deutscher Titel: Atlantic 12), der neue Comic von François Schuiten. Als besonderes Extra enthält der Comic eine Augmented-Reality-Anwendung, mit der der Leser mittels PC und Webcam die titelgebende Lokomotive dreidimensional im Raum bewegen kann. Dieses 3D-Special wurde im Juni von der französischen Firma Dassault Systèmes und François Schuiten vorgestellt. Thomas Kögel war für Comicgate bei der Präsentation in Paris.
Zum Interview mit François Schuiten geht es hier!
Die Firma Dassault Systèmes ist ein Technologiekonzern, der seit den 1980er Jahren existiert und sich auf realistische 3D-Simulationssoftware spezialisiert hat. Diese ist weniger für die Entertainmentbranche, etwa für Videospiele oder Special Effects in Filmen, gedacht (Zitat aus der Präsentation: „Wir sind nicht Pixar!“), sondern vor allem für die Industrie, zum Beispiel für Flugzeug- oder Autobauer, die mit der DS-Technik am Computer räumliche Simulationen ihrer Fahrzeuge, Motoren oder Geräte bauen können. Besonders stolz ist man bei DS auf den „Virtual Reality Showroom“: Hier kann man in einem kleinen, mit besonderer Technik ausgerüsteten Raum, mit einer speziellen 3D-Brille auf der Nase, in eine virtuelle Realität eintauchen, die das gesamte Sichtfeld einnimmt und auf alle Bewegungen des Users reagiert – ein ziemlich beeindruckender Effekt, nicht mehr weit weg vom Holodeck aus Star Trek (ein Beispielfoto ist hier zu sehen).
In den letzten Jahren versuchte Dassault vermehrt, seine Technik auch auf neuen Feldern anzuwenden, die nichts mit der Industrie zu tun haben. So entstand zum Beispiel das Projekt „Ice Dream“, bei dem simuliert wurde, ob und wie es möglich wäre, einen kompletten Eisberg von Neufundland zu den Kanarischen Inseln zu transportieren. Andere Beispiele sind ein „Doku-Fiction“-Film fürs Fernsehen, in dem die Entstehung und Entwicklung der Stadt Paris über die Jahrhunderte nachvollziehbar wird, „Khufu Reborn“ – hier wird versucht, den Bau der Cheops-Pyramiden nachzubilden – und eben die Augmented Reality für den neuen Comic von François Schuiten.
Wie kommt dieser Hightech-Konzern nun dazu, mit François Schuiten zusammenzuarbeiten, einem Veteran des frankobelgischen Comics, der vor allem für seine Comics aus dem Zyklus Die geheimnisvollen Städte (getextet von Benoit Peeters) berühmt ist? Nun, das Bindeglied zwischen Technik und Kunst ist eine Lokomotive. Die Dampflok Atlantic 12.004, die in den 1930er Jahren in Belgien gebaut wurde und nur wenige Jahre in Betrieb war, inspirierte Schuiten zu seinem Comic Atlantic 12 (erscheint demnächst auf Deutsch bei Schreiber & Leser), in dem diese Lok eine zentrale Rolle spielt. Dassault Systèmes arbeitet im Rahmen eines „Industrieerbe-Programms“ daran, die komplette Technik dieser Lokomotive in allen Einzelheiten originalgetreu in 3D nachzubauen.
Nach einem Treffen zwischen Schuiten und Dassault-Entwicklern entstand die Idee, die 3D-Technik von DS mit dem Comicalbum Atlantic 12 zu verbinden. Dassault konstruierte auf Basis von Schuitens Zeichnungen eine 3D-Welt in Schwarz-Weiß, in Schuitens grafischem Stil. Wer das Album besitzt und einen PC mit Webcam hat, kann auf der Website atlantic12.de die Lok aus dem Comic „zum Leben erwecken“. Wie das ungefähr aussieht, ist in diesem Demo-Video zu sehen:
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Diese Augmented-Reality-Software spielt kein immergleiches Video ab, sondern reagiert unmittelbar darauf, wie der Anwender vor der Webcam das Album bewegt. Die 3D-Anwendung ist allerdings kein eigentlicher Teil von Schuitens Geschichte. Der Comic selbst hat mit diesem Extra nichts zu tun und kann „ganz normal“ gelesen werden. Es handelt sich lediglich um ein digitales Schmankerl, das man sich als Bonus zum Comic ansehen kann oder eben nicht. Man könnte es als eine Art digitales Pop-Up-Buch bezeichnen.
Ob die Augmented-Reality-Erweiterung von Atlantic 12 wirklich ein so großes und besonderes Wunderwerk ist, wie es der Hersteller anpreist, kann man durchaus bezweifeln. Das technisch sicherlich sehr aufwendige Feature ist allemal ein interessantes Experiment. Im Selbstversuch fühlt sich das Ganze jedoch etwas weniger spektakulär an. Eine gezeichnete Lok, die sich in Bewegung setzt und von allen Seiten, aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann. Eine hübsche Spielerei, die nur wenige Minuten dauert und dem Comic selbst eigentlich nichts Entscheidendes hinzufügt. Ob François Schuiten das genauso sieht, haben wir ihn in einem kurzen Interview gefragt, für das er am Rande der Präsentation in Paris zur Verfügung stand.
Zum Interview mit François Schuiten
12-ladouce.com
Atlantic 12 bei Schreiber & Leser
La Douce bei Casterman
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