Im Rahmen der offiziellen Präsentation der Augmented-Reality-Anwendung zu François Schuitens neuem Comic Atlantic 12 hatten wir Gelegenheit zu einem Interview mit dem belgischen Zeichner. Leider stand nur wenig Zeit zur Verfügung, so dass sich die Fragen ausschließlich auf den neuen Comic (Originaltitel: La Douce) und die von der Firma Dassault Systèmes entwickelte 3D-Anwendung bezogen.
Atlantic 12 (die deutsche Ausgabe erscheint in Kürze bei Schreiber & Leser) erzählt von einem Lokomotivführer, der sich nicht damit abfinden möchte, dass die Zeit der Dampflokomotiven zu Ende geht. Während die Erde aus unerklärlichen Gründen mehr und mehr von Wasser bedeckt wird, stellt sich die Menschheit um und weicht auf Seilbahnen aus, die Eisenbahn ist im Aussterben begriffen. Diesen Schritt will Lokführer Léon nicht mitgehen. Er möchte seine geliebte Dampflok retten und beschließt kurzerhand, sie zu entführen.
COMICGATE: Monsieur Schuiten, wer ist eigentlich die Hauptfigur in Atlantic 12? Ist es der Maschinist Léon, oder ist es die Lokomotive?
François Schuiten: (lacht) Die wahre Heldin ist vielleicht das junge Mädchen Elia. Sie ist das Herz dieses Comics und sie stellt das Bindeglied zu allen anderen Protagonisten der Geschichte dar. Alle Verrücktheiten und Tagträume der Figuren verbinden sich in Elia, daher ist sie das Zentrum des Buchs.
CG: Die Dampflok 12.004, die tatsächlich existiert und Sie zu dem Comic inspiriert hat, wird bald in einem Museum namens Train World (in Schaerbeek in der Nähe von Brüssel) zu sehen sein, das gerade geplant wird. Wo haben Sie die Lok entdeckt?
FS: Naja, sie wurde nicht von mir entdeckt. Sie gehört der belgischen Eisenbahngesellschaft und steht in einem Depot für alte Züge. Ich arbeite an der Gestaltung des Eisenbahnmuseums mit und habe im Rahmen meiner Recherchen für das Museum dieses Depot besucht. Dort bin ich dann auf diese Lok gestoßen. Die 12.004 sieht ganz anders aus als alle anderen Lokomotiven, sie fällt sofort auf. Sie sprach mich gleich an und machte mich neugierig; ich wusste, diese Lok ist was Besonderes.
CG: La Douce ist Ihre erste Solo-Arbeit, bei der Text und Zeichnungen nur von Ihnen stammen. Wie unterscheidet sich die Arbeit an diesem Comic von der Zusammenarbeit mit Autoren wie Benoit Peeters?
FS: Es ist schon anders, aber nicht allzu sehr. Mit Benoit entwickle ich das Konzept der Geschichten zusammen, nur die Texte stammen direkt von ihm. Das Problem ist nicht, eine Geschichte allein zu schreiben – aber ganz allein zu arbeiten, das fühlt sich schon sehr anders an. Wenn man zweieinhalb Jahre lang ganz allein an seinem Schreibtisch sitzt, ohne sich mit einem Partner auszutauschen, dann ist das viel mühsamer und langwieriger als eine Gemeinschaftsarbeit.
CG: Können Sie Ihre Zusammenarbeit mit Dassault Systèmes näher erläutern? Wie kam es dazu?
FS: Ich habe Dassault über einen Bekannten kennengelernt, der mit der Firma an einem anderen Projekt arbeitet. Ich erkannte das Potential dieser 3D-Technologie und wandte mich dann an Dassault, um zu fragen, ob sie an einem gemeinsamen Projekt Interesse hätten.
CG: Finden Sie, dass die 3D-Anwendung zu Atlantic 12 ein wichtiger Teil des Comics ist, oder ist es eher ein nettes kleines Extra zu verstehen?
FS: Es ist kein eigentlicher Teil der Geschichte, ich sehe es als „die Kirsche auf dem Kuchen“. Man kann es als eine Art Anhang sehen, ein „poetisches Addendum“. Es ist ein Bonus zum Buch, der es dem Leser erlaubt, nachdem er es gelesen hat, seine Reise mit der Lokomotive noch weiter fortzusetzen. Es fügt dem Comic eine weitere Dimension hinzu, die aber nicht direkt zur Geschichte gehört. Ich kann mir vorstellen, dass künftige Comics solche Erweiterungen auch direkt in die Geschichte integrieren.
Das Interessanteste daran ist für mich die Verknüpfung unterschiedlicher Sphären. Hier treffen sich ganz verschiedene Welten: die der Eisenbahn, die der Technologie und die der Comics. Da kommen Leute zusammen, die einen ganz verschiedenen Hintergrund haben, und daraus entsteht etwas Neues. Ich mag den Gedanken, mit meiner Arbeit eine Schnittstelle für diese Leute geschaffen zu haben.
CG: Haben Sie schon mal daran gedacht, eine solche 3D-Anwendung auch für Die geheimnisvollen Städte zu produzieren?
FS: Klar, daran gedacht habe ich schon. Vor allem Das Fieber des Stadtplaners würde sich gut eignen. Mal sehen. Es gibt aber keine konkreten Pläne dafür, denn diese virtuellen Realitäten sind extrem aufwändig und machen sehr viel Arbeit. Die Leute bei Dassault können Projekte wie meines nur nebenbei verwirklichen, ihre Hauptarbeit machen sie ja für die Industrie.
CG: Zum Abschluss noch eine letzte Frage: Wenn Sie einen beliebigen Comic der Comic-Geschichte mit dieser 3D-Technik umsetzen könnten, welcher wäre das?
FS: Gute Frage, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich denke, eine Adaption von bestehenden Werken wäre nicht so interessant. Es bringt nicht viel, so eine Augmented Reality auf eine bekannte Geschichte draufzupacken. Viel spannender ist es doch, wenn bestimmte Aspekte einer Geschichte gemeinsam mit dem Autor in 3D weiterentwickelt werden. Diese Technik ist dann sinnvoll, wenn etwas Neues erschaffen wird, das vorher noch nicht da war. Kreation statt Adaption!
Zum Artikel „Atlantic 12 – Vom Comic zur virtuellen 3D-Welt“ geht es hier!
Fotos: Thomas Kögel
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