Rezensionen

Der Todesstrahl

Cover Der TodesstrahlAn seiner High School kennt den 17-jährigen Andy eigentlich kaum jemand richtig. Zu unauffällig und isoliert ist er. Doch als er sich zum Genuss seiner ersten Zigarette entschließt, werden in Andy Superkräfte entfesselt. Doch was damit anfangen?

Man darf sich vom maskierten Vigilanten auf dem Cover nicht täuschen lassen: Das neue Werk von Daniel Clowes (Ghost World, Wilson) ist, entgegen dem ersten Anschein, vom klassischen Superheldencomic à la Marvel oder DC meilenweit entfernt. Gleich nach dem ersten Umblättern begrüßt uns Andys bester und einziger Freund Louie mit einem satten „Penis“-Ausspruch und leitet damit vor allen Dingen eine eigenwillige Coming-of-Age-Story ein. Clowes erzählt, wie sich der Durchschnittsteenager Andy in den USA der 70er Jahre durch seine Pubertät kämpft. Die Schwärmerei zu einem Mädchen, Rebellion, die erste Zigarette und ein verschrobener Kumpel, der Ähnliches durchmacht.

Das alles ändert sich, als Andy entdeckt, dass sich dank seines verstorbenen Vaters spezielle Hormone in seinem Körper befinden, die unter Nikotineinfluss zu speziellen Superkräften führen. Pikanterweise gehört dazu auch der Gebrauch einer ihm vermachten Strahlenkanone, die Menschen spurlos verschwinden lassen kann. Wie man sich denken kann, ist eine solche Waffe überaus verführerisch für einen unreifen Jugendlichen. Zumal, wenn er von seinem Freund eingeflüstert bekommt, er könne sich doch jetzt an diversen Leuten rächen, die ihn nicht so nett behandelt haben.

Seite aus Der TodesstrahlDaniel Clowes‘ Version einer Superhelden-Origin ist vollkommen entgegengesetzt zu jenen der uns bekannten Comichelden. Genau genommen kann man Andy nicht einmal als Helden bezeichnen, ist es doch gerade die Ambivalenz, die innere Zerrissenheit, die ihn leitet. Mit großer Kraft kommt große Verantwortung. Ein Satz, der in Der Todesstrahl nur am Rande eine Rolle spielt, nämlich fast ausschließlich dann, als man den erwachsenen Andy sieht. Der Weg dorthin ist eine mehr oder weniger nüchterne Schilderung eines Normalo-Lebens, das sich letzten Endes auch durch Todeskanone und Superkräfte nicht spektakulär verändert. Vielleicht ist dieses radikale Herunterbrechen des Superhelden-Mythos auf die rohe menschliche Ebene die Erkenntnis dieses Comics schlechthin.

Wie sehr Clowes auf die zentrale Position seiner Figuren setzt, lässt sich auch in der grafischen Vielfalt nachvollziehen, die beständig um Andy, Louie und Co. kreist und mithilfe diverser Stilmittel nach und nach ein charakterliches Gesamtbild offenlegt. Auf einer Seite wechselt die monotone Farbgebung plötzlich und wird, genau als der monologisierende Andy mit einem Passanten zu sprechen beginnt, mehrfarbig. Nach drei Panels wird die Änderung schon wieder rückgängig gemacht. Das ist nur eines von ganz vielen Beispielen, die belegen, wie einfallsreich Clowes‘ Ideen sind und wie eng bei ihm die zeichnerische Ebene mit der erzählerischen verknüpft ist. Im weiteren Verlauf arbeitet er mit vielen kurzen Kapiteln, die die Handlung immer wieder thematisch und zeitlich aufsplitten. Mal sind dies „Interview“-Passagen, mal abgedruckte Briefe Andys.

Auf einer imposanten Doppelseite sieht man sogar eine großflächige Actionszene, in der Andy maskiert einen Schurken niederschlägt, während Louie als Sidekick hinter ihm ist. Diese Szene kommt einem echten Superheldencomic so nahe wie nur irgendwie möglich. Allerdings steckt dahinter merklich die Absicht des Autors, eben jenes Genre genüsslich aufs Korn zu nehmen. Denn Clowes lässt sein subtiles Werk höchstens als bewussten Stilbruch für einen winzigen Augenblick in solch plastische Arbeit übergehen. In diesem Zusammenhang bleibt für den Leser auch nicht ganz geklärt, wieviel Metaphorik dem offensichtlichen Realismus entgegensteht.

 

Wertung: 8 von 10 Punkten

Ein bemerkenswertes Kapitel über die Probleme des Erwachsenwerdens, mit brillanter grafischer Unterstützung

 

Der Todesstrahl
Reprodukt, Oktober 2013
Text und Zeichnungen: Daniel Clowes
Übersetzung: Heinrich Anders, Tina Hohl
48 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 20 Euro
ISBN: 978-3-943143-52-2

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Abbildungen: © Daniel Clowes, der dt. Ausgabe: Reprodukt

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