Vampire tragen ihren Beinamen „die Untoten“ mit Recht. Richtig verschwunden waren sie in der Popkultur nie, aber gerade in den letzten Jahren haben sie nun wahrlich einen enormen Boom erlebt. Sei es in Romanen, in Filmen oder in Comics: Vampire sind wieder en vogue, nicht zuletzt durch verkitschte Romantisierungen à la Twilight. Angesichts dessen und der langen, nicht nur popkulturellen, Tradition dieses Themas fragt man sich, ob es überhaupt noch möglich ist, den Blutsaugern noch neue Facetten abzuringen. Doch dem Franzosen Georges Bess gelingt das in seiner Alben-Trilogie durchaus.
Dabei ist der erste Band noch nicht einmal ein reiner Horrorcomic, sondern zunächst ein Krimi. Der Journalist Mircea (nicht zufällig ein Name aus Rumänien, der Heimat von Dracula) reist nach Benares, einer heiligen Stadt der Hindus, weil ihn sein Schwiegervater in spe darum gebeten hat. Doch nach einem Bombenattentat ist der alte Mann verschwunden und Mircea macht sich mit seiner Verlobten und einem gemeinsamen Freund daran, herauszufinden, warum ihn Deepak in die Stadt gebeten hatte. Ging es wirklich nur um den Mörder, welcher der „Vampir von Benares“ genannt wird? Oder lauern noch ganz andere Schrecken in der Stadt?
Georges Bess fügt mit diesem Comic die Vampire in das hinduistische Pantheon ein. Der erste Band lebt vor allem vom Lokalkolorit, durch die Ermittlungen werden zeitgleich mit den Journalisten auch die Leser durch die Gassen und Sehenswürdigkeiten von Benares geführt. Quasi ein Reiseführer im Comicformat mit einer fiktiven Handlung.
Nach der Krimihandlung im Auftaktband spielen Band 2 und 3 (die löblicherweise in sehr kurzem Abstand erschienen sind) fast ausschließlich im Horrorbereich und sogar in einer fremden Dimension. Dabei ist der zweite Band sehr spannend, obwohl auf der inhaltlichen Ebene eigentlich gar nichts passiert. Stattdessen wird in dem ganzen Album nur geredet. Mircea ist zusammen mit Gopal in einer parallelen Dimension gelandet und trifft dort auf die Vampire, wobei einer von denen so nett ist, sich den beiden Menschen zu erklären. Im Folgenden werden die Geschichte, die gesellschaftliche Struktur und das Wesen der Vampire erläutert. Diese Informationsflut dient vor allem der Vorbereitung auf den dritten und letzten Band, den man ohne den zweiten nicht verstehen kann. Im dritten Teil nämlich gerät Mirceas Verlobte Anji in Lebensgefahr und nur er kann sie retten, doch dafür muss er die Vampire von Benares komplett vernichten. Also lässt er sich auf ein waghalsiges Spiel ein.
Während also in „Der Ursprung des Bösen“ die Dialoge die Handlung voranbringen, so ist es in „Das Herz der Finsternis“ die Action, wobei sich Georges Bess zum Ende hin noch einiges offen hält. Zwar werden die Vampire doch nicht so sehr in die hinduistische Götterwelt eingegliedert, wie anfangs noch vermutet, aber dafür tritt die Göttin Kali höchstpersönlich auf. Stattdessen stellt Bess die Vampire als reine Parasiten dar, die sich am Elend der Welt laben. Dieser Aspekt ist nun alles andere als neu, denn was soll das Bluttrinken von Fremden anderes sein, als parasitär? Dass die klassischen Vampire zumeist Adlige waren, die das einfache Volk ausbluten ließen, ist schon seit Dracula ein Gemeinplatz. Hier verkleiden sich die Vampire noch in höfische Uniformen und frönen einem ähnlich dekadenten Leben wie der Adel. Wer genau hinsieht, kann bekannte Uniformen und damit Bezugnahmen zu realen historischen Persönlichkeiten, wie etwa Königin Victoria von England, finden. Das ist zwar eine gute Idee, wenngleich nicht gerade neu. Zudem kommt diese Kritik über 100 Jahre zu spät, denn was gehen uns heutzutage noch die Vertreter des Adels an, abgesehen von den Seiten der Klatschspalten? So verpufft die Kritik. Bess macht damit immerhin deutlich, dass die Vampire schon ewig existieren und Änderungen nicht positiv gegenüberstehen.
Dennoch liest man den Band mit recht großem Vergnügen. Das liegt vor allem an den Zeichnungen, die bisweilen Moebius und Jodorowsky mit ihrem Incal zitieren. Allein das Cover des dritten Teils erinnert sehr an Titelbilder der Incal-Saga. Auch der satirische Tonfall gemahnt an Jodorowsky, mit dem George Bess auch schon mehrfach zusammengearbeitet hat (u.a. bei Juan Solo). Etwas störend wirkt die Geschwätzigkeit des Comics, auch im actionreichen dritten Band, aber sehr viel schwerwiegender ist die emotionale Kälte. Denn die Protagonisten und ihre Beziehungen, vor allem die zwischen Mircea und seiner Verlobten Anji, lassen den Leser verhängnisvoll kalt. So kann man sich nicht mit den Figuren identifizieren und klammert sich an die graphische Gestaltung einer surrealen, alptraumhaften Welt. Die ist sehr düster und phantastisch und damit hätte die Serie noch vor einigen Jahren hervorragend in das verblichene Magazin Schwermetall gepasst.
Wertung:
Etwas zu geschwätzig und emotionslos, aber mit überzeugender Optik und einigen neuen Aspekten der Vampirthematik.
Der Vampir von Benares
Ehapa Comic Collection
Text und Zeichnungen: Georges Bess
Übersetzung: Marcel Le Comte
Preis: je 13,99 Euro
Band 1: Die Bestien der Nacht
Mai 2012
48 Seiten, farbig, Hardcover
ISBN: 978-3-7704-3545-6
Leseprobe (PDF)
Band 2: Der Ursprung des Bösen
Juni 2012
48 Seiten, farbig, Hardcover
ISBN: 978-3-7704-3546-3
Band 3: Das Herz der Finsternis
August 2012
56 Seiten, farbig, Hardcover
ISBN: 978-3-7704-3547-0
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Ehapa Comic Collection