Rezensionen

Vampire 1 & 2


 Im Jahr 2006 entstand in Frankreich Sable Noir, ein gemeinsames Projekt des Buchverlags J'ai Lu, der Spartensender Jimmy und CinéCinéma und der Produktionsfirma Cartel. Eine Reihe von Schriftstellern wurde beauftragt, kurze Horror- oder Mystery-Geschichten zu schreiben, die alle in dem kleinen Dorf Sable Noir spielen sollten, welches einmal im Jahr von einem bösen Fluch belegt wird. Diese Novellen wurden als Buch veröffentlicht und parallel als Miniserie fürs Fernsehen umgesetzt. Das Experiment war erfolgreich, ein paar Jahre später kam die Fortsetzung Vampyres: Sable Noir, bei der Vampire eine tragende Rolle spielen sollten. Diesmal nahm man als drittes Medium den Comic mit ins Boot: Die sechs Vampir-Novellen wurden nicht nur als halbstündige Filme fürs Fernsehen, sondern auch als 24-seitige Comics umgesetzt.

Die Comic-Adaptionen sind nun auch auf Deutsch in der Ehapa Comic Collection erschienen. Aufgeteilt auf zwei Alben bekommt man eine facettenreiche Comic-Anthologie mit sechs mittellangen Geschichten, die alle sehr eigenständig sind. Bis auf den Grundgedanken – ein Dorf, an dem einmal im Jahr Furchtbares passiert und in dem es Vampire gibt – hatten die Autoren freie Hand, so dass sechs sehr unterschiedliche Geschichten entstanden. Das gilt auch für die grafischen Stile der sechs Comiczeichner, die für das Projekt ausgewählt wurden. Die bewegen sich zwar größtenteils in der Nähe des frankobelgischen Mainstreams, trotzdem sind alle sechs Beiträge stilistisch klar voneinander zu unterscheiden. Die Bandbreite reicht vom sehr klassischen Artwork eines Patrick Laumond („Frisches Blut“) bis hin zu den sehr atmosphärischen, in Braun- und Rottöne gehaltenen Zeichnungen von Tommy Redolfi („Das Haus auf dem Hügel“), die an expressionistische Filme der 20er Jahre erinnern.

 Inhaltlich bewegen sich die Geschichten auf solidem Mittelmaß. Mal mehr, mal weniger originell wird mit dem uralten, vielleicht schon etwas zu oft beackerten Vampirmythos gespielt. Am effektivsten und interessantesten klappt das in „Mörderische Seelen“, bei dem der Ich-Erzähler ein krebskranker alter Mann ist, der gerade dabei ist, sich das Leben zu nehmen. Eher humorvoll versucht es „Das Wahre im Falschen“ (siehe Abbildung): Hier beobachten wir ein ehemaliges literarisches Wunderkind, das verzweifelt auf der Suche nach Material für einen neuen Bestseller ist. Als Satire auf den Literaturbetrieb bedient sich die Story jedoch allzu simpler Klischees. Mein persönlicher Favorit ist die oben bereits erwähnte Geschichte „Das Haus auf dem Hügel“ – ausgerechnet hier kommt kein einziger Vampir vor, eher handelt es sich um ein modernes Geistermärchen.

Tiefpunkt der Sammlung ist „Unter die Haut“. Was als erotischer Thriller gedacht ist, gerät zu einem fürchterlich sterilen Softporno, in dem Menschen mit ausdruckslosen Gesichtern und großen Brüsten weder Sinnlichkeit noch Grusel verströmen. Das aalglatte Artwork von Guillem March mit grellen Computer-Farbeffekten, das auch zu Comics aus dem Top-Cow-Verlag passen würde, macht es nicht besser.

 Einen wirklich großartigen Comic, der absolut überzeugt, findet man in keinem der beiden zeitgleich erschienenen Bände. Stattdessen fragt man sich, warum Ehapa diese Sammlung überhaupt veröffentlicht hat. Schließlich geht es bei dem Sable-Noir-Projekt auch um den multimedialen Ansatz. Da in Deutschland aber weder die Prosa-Geschichten noch die Film-Umsetzungen verfügbar sind, bleiben die Comics als Einzelteil übrig, das seinem Gesamtkontext entrissen wurde. Große Namen können es nicht gewesen sein, die den Verlag motiviert haben, denn kaum einer der Beteiligten dürfte hierzulande bekannt sein. Das gilt für die Autoren der Prosatexte ebenso wie für die Comic-Szenaristen und die Zeichner. Comicautor Denis-Pierre Filippi (Ethan Ringler) und Zeichner Steve Lieber (Whiteout) könnte man immerhin kennen, aber echte Zugpferde sind das nicht. Bleibt Dave McKean als prominentester Mitstreiter: Von ihm stammt die Coverabbildung, die über beide Alben verteilt ist und nebeneinandergelegt ein großes Bild ergibt.

Am Ende wird wohl das Thema den Ausschlag gegeben haben: Vampire sind eben gerade wieder sehr en vogue – ein Trendthema, an dem man gerne mitverdienen möchte.

Vampire
Ehapa Comic Collection, Mai 2010

je 96 Seiten, farbig, Hardcover; 19,95 Euro

Ansehnlich präsentierte, aber inhaltlich wenig überzeugende Horror-Anthologie

Band 1:
Frisches Blut. Szenario: Denis-Pierre Filippi nach einer Novelle von Brigitte Aubert, Zeichnungen:
Patrick Laumond
Das Haus auf dem Hügel. Szenario:
Sylvain Ricard nach einer Novelle von Ann Scott, Zeichnungen: Tommy Redolfi
Alizarine. Szenario:
Denis-Pierre Filippi nach einer Novelle von Colin Thibert, Zeichungen: Steve Lieber
ISBN: 978-3-7704-3374-2

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Band 2:
Mörderische Seelen.
Szenario: Alcante nach einer Novelle von Pierre Pelot, Zeichnungen: Matteo 
Unter die Haut. Szenario: Philippe Thirault nach einer Novelle von Caryl Férey, Zeichnungen: Guillem March
Das Wahre im Falschen. Szenario: Jean-Paul Krassinsky & Marc Védrines nach einer Novelle von Thierry Jonquet, Zeichnungen: Michel Durand
ISBN: 978-3-7704-3375-9

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Abbildungen: © Ehapa Comic Collection