An und für sich – man schreibt es immer wieder gern dazu – ist die Comic-Spalte des Tagesspiegel ja eine äußerst erfreuliche Sache. Sie hat sich mittlerweile gewissermaßen zu einer Art Vorzeigemodell für den Umgang mit Comics in der deutschen Presselandschaft gemausert. Gerade auch deshalb lohnt es sich hier besonders, das Angebot etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, und hin und wieder (Comicgate berichtete) geht’s dann auch etwas arg drunter und drüber.
So auch im jüngsten Beitrag von Lutz Göllner, einem ziemlich luftigen und ziemlich schludrigen Text, der irgendwie auf Stephen King und dessen Beteiligung an der Vertigo-Reihe American Vampire eingeht.
Binnen weniger Sätze unterschlägt Göllner hier zunächst mit Peter David den eigentlichen Texter der Comic-Adaptionen von Kings Dark Tower; schreibt den Namen von Roberto Aguirre-Sacasa falsch; bezeichnet Aguirre-Sacasa als „Drehbuchautor“, obwohl der in erster Linie für Theater und Comic den Griffel schwingt; und behauptet, King habe seit 1982 keinen Comic mehr selbst verfasst – was sich mit einem Blick in das Marvel-Sonderheft Heroes for Hope von 1985 leicht falsifizieren lässt.
Gut, kann man sagen, da lässt sich drüber wegschauen. Schließlich wird wenigstens die Dark Tower-Co-Autorin Robin Furth (eine Assistentin Kings) erwähnt, Aguirre-Sacasa heißt etwas schwierig und schreibt seit 2009 auch mal fürs Fernsehen, und Kings Beitrag zu Heroes for Hope ist ein eher kleiner. Und überhaupt ist das alles ja nur am Rande wichtig fürs eigentliche Thema des Artikels: Stephen King und „seine“ neue Comic-Reihe American Vampire.
Spätestens hier wundert man sich allerdings, ob Göllner den entsprechenden Comic denn mal gesehen hat. Zunächst fällt – speziell für eine auf Comics gemünzte Sparte, speziell von einem alten Hasen wie Göllner – unangenehm auf, dass Rafael Albuquerque, der Zeichner der Serie, dem Text keine Erwähnung wert ist (immerhin: Er kommt in einer Bildunterschrift vor). Und dann das Hauptproblem des Artikels: „Auch wenn das Konzept der Serie von Kings Kumpel Scott Snyder ausgedacht wurde,“ steht da zu lesen, „zumindest in den ersten fünf Heften schreibt der Meister selbst.“
Nun ja: nein.
Der Satz – wie auch der ganze Rest vom Text – ist bestenfalls grob irreführend, denn: Auch der Großteil der genannten ersten fünf Hefte stammt mitnichten von „Meister“ King, sondern aus der Feder Scott Snyders.
Wenn hier also jemand „selbst“ ist, dann ist das Snyder.
Auch ohne den Comic bei der Hand zu haben, lässt sich herausfinden, dass Kings Beitrag zu American Vampire sich in fünf kurzen Zweitgeschichten erschöpft. Die Hauptstorys – ebenso wie das Konzept und der ganze Rest der Serie – gehen auf Snyders Konto. Sogar DC ist so ehrlich, Kings Namen auf dem Cover nur als dritten hinter denen von Snyder und Albuquerque zu platzieren. Falsche Bescheidenheit ist nicht der Grund dafür.
Ohne diesen nicht so kleinen Unterschied auch nur zu bemerken, scheint es mehr als fragwürdig, über American Vampire zu referieren, als handele es sich dabei um ein Werk von besonders großer Aussagekraft für eine Standortbestimmung Kings.
Laut einer redaktionellen Anmerkung am Ende wurde der Text im März schon einmal in der Printausgabe des Tagesspiegel veröffentlicht, jetzt aber anlässlich der deutschen Veröffentlichung von American Vampire nochmal hervorgekramt und abgestaubt. Ein etwas genaueres Hinschauen an der einen oder anderen Stelle hätte spätestens beim zweiten Mal nicht geschadet.
Nachtrag, 30. November, 23:10: Der Artikel wurde mittlerweile kommentarlos korrigiert – Heroes for Hope, Peter David und Rafael Albuquerque kommen jetzt im Text vor, und Kings Rolle wird weniger missverständlich dargestellt. Roberto Aguirre-Sacasa heißt beim Tagesspiegel allerdings immer noch „Aguirre-Sacassa“.
Nachtrag, 1. Dezember, 12:10: Roberto Aguirre-Sacasa heißt jetzt auch beim Tagesspiegel wie er sonst heißt. Auch die Weihnachtswichtel lesen offenbar Comicgate.