Die aktuelle Ausgabe der Zeit (19. Juli) widmet sich der US-Comic-Anthologie Womanthology, die vor einem Jahr durch ihre unorthodoxe Entstehung Schlagzeilen machte und im März 2012 in Buchform erschienen ist. Der etwa halbseitige, groß bebilderte Artikel von Autorin Chris Köver (Titel: „Boom!“) gibt einen Überblick über das Projekt und bemüht sich, den Band im Kontext der aktuellen US-Comiclandschaft einzuordnen:
Update, 1. August 2012: Kövers Artikel steht seit gestern auch bei Zeit Online:
Allerdings erinnert dabei nicht nur die verwendete Illustration an einen Artikel von Oliver Ristau („Frauenpower in die Comics“), der sich bereits am 24. März in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit eben jenem Buch beschäftigte:
So scheint gleich Kövers erster Absatz weitgehend baugleich mit den ersten drei Absätzen Ristaus. Die beiden Textstrecken unterscheiden sich im Wesentlichen nur dadurch, dass eine knappe Erklärung des Crowdfunding-Prinzips von Kickstarter, wie sie Ristaus Einleitungstext enthält, bei Köver fehlt.
Köver, die Redakteurin und Mitgründerin und -herausgeberin der Frauenzeitschrift Missy Magazine ist, streitet auf Anfrage nicht ab, Ristaus Text gelesen zu haben – im Rahmen ihrer eigenen Recherche zu Womanthology, wie sie in einer E-Mail schreibt.
„Die Zahlen und Fakten sind jedoch nicht nur bei Herrn Ristau, sondern auch in anderen Quellen und Blogs genau so wiederzufinden“, so Köver weiter. Sie verweist auf die Kickstarter-Seite des Projekts, eine Besprechung des Bandes im US-Weblog The Mary Sue sowie den Band selbst, der mit einer Abbildung des betreffenden Tweets von Womanthology-Initiatorin Renae De Liz beginnt. „Wie sollte ich also umhin kommen, sie zu nennen, wenn ich die Entstehungsgeschichte des Bandes wiedergeben will?“, fragt Köver.
Nun ist zweifellos richtig, dass die betreffenden Fakten und Zahlen nicht exklusiv in Ristaus Text zu finden sind. Sie stehen auch bei Kickstarter, bei The Mary Sue und anderswo. Aber es ist ja nicht die Nennung von Fakten und Zahlen, die in Kövers Text auffallen, sondern deren Präsentation. „Genau so“ wie insbesondere zu Beginn der Artikel Ristaus und Kövers tauchen diese Fakten und Zahlen bei Kickstarter, The Mary Sue oder anderswo eben nicht auf.
„Die Rahmengeschichte ist die Rahmengeschichte“, meint Köver zu diesem Einwand. „Wenn ich die erzählen will, dann muss ich wohl oder übel die selbe Geschichte erzählen wie Herr Ristau – denn sie hat sich ja seither nicht groß verändert. Aber abgesehen vom ersten Absatz, in dem genau diese Zusammenfassung passiert, sehe ich nicht, dass die beiden Rezensionen so wahnsinnig deckungsgleich wären.“
Und so sieht diese nach Kövers Ansicht nicht nur zulässige, sondern gar unvermeidliche Zusammenfassung in der konkreten Gegenüberstellung aus:
Chris Köver, Die Zeit, 19. Juli 2012 |
Oliver Ristau, FAZ, 24. März 2012 |
„Manchmal fängt eine gute Geschichte ganz unspektakulär an. Mit einem Tweet zum Beispiel. Den schickte die amerikanische Comickünstlerin Renae De Liz am 17. Mai des vergangenen Jahres hinaus mit der Frage, wer bei einer Anthologie mitmachen will, die ausschließlich die Arbeiten von Frauen zeigen sollte.“ |
„Am 17. Mai 2011 wirbt die amerikanische Comickünstlerin Renae De Liz über Twitter für eine Anthologie, die ausnahmslos weibliche Teilnehmerinnen präsentieren soll.“ |
„Kurz darauf wurde klar, dass die Geschichte schnell Fahrt aufnehmen würde – noch am selben Tag kamen 100 Rückmeldungen, binnen einer Woche war die Website zu dem Projekt Womanthology eingerichtet.“ |
„Noch am selben Tag erhält sie hundert Rückmeldungen. Rasant entwickelt das Projekt Konturen, und bald sind erste Präsenzen im Internet eingerichtet. Das Kind hört da bereits auf einen Namen, er lautet ‚Womanthology: Heroic`.“ |
„Irgendetwas muss in der Luft gelegen haben. Auf Kickstarter, der Onlineplattform zur Finanzierung unabhängiger Kulturprojekte, brach Womanthology alle Rekorde. In weniger als 24 Stunden hatte das Projekt sein Finanzierungsziel von 25 000 Dollar erreicht – und damit die Druckkosten gesichert –, am Ende der Kampagne waren es 109 301 Dollar.“ |
„Auf ‚Kickstarter’, der weltweit größten Seite zur unabhängigen Förderung kultureller Projekte, soll das für die Produktion benötigte Geld mittels Crowdfunding erbracht werden […]. ‚Womanthology’ schrieb Kickstarter-Geschichte: In nicht einmal neunzehn Stunden wurde die benötigte Mindestsumme von 25 000 Dollar erreicht. Nach ungefähr einem Monat verfügte man über 109 301 Dollar.“ |
„Der Comicverlag IDW war bereit, den Band zu veröffentlichen. »Boom!« “ |
„Der Verlag IDW will den Vertrieb übernehmen.“ |
Das sind auffallend viele gleiche Wendungen auf engem Raum: „Comickünstlerin“, „noch am selben Tag“, „hundert Rückmeldungen“, „eingerichtet“ – und noch mehr leicht abgewandelte: „ausschließlich die Arbeiten von Frauen“ statt „ausnahmslos weibliche Teilnehmerinnen“; „rasant“ statt „schnell“; „kurz darauf“ statt „bald“; „Onlineplattform zur Finanzierung unabhängiger Kulturprojekte“ statt „Seite zur unabhängigen Förderung kultureller Projekte“; „brach […] alle Rekorde“ statt „schrieb […] Geschichte“; „in weniger als 24 Stunden“ statt „in nicht einmal neunzehn Stunden“.
Auch im weiteren Verlauf des Texts bleiben die angesprochenen Themenfelder ähnlich, und es tauchen weiterhin immer wieder Gedanken, Referenzen und Formulierungen auf, die sich so oder in ähnlicher Form auch bei Ristau wiederfinden:
Chris Köver, Die Zeit, 19. Juli 2012 |
Oliver Ristau, FAZ, 24. März 2012 |
(über die US-Mainstream-Comicszene) „In den Geschichten: sexualisierte Atombusen-Ästhetik und eine Sterberate der Protagonistinnen, die so hoch ist, dass die Autorin Gail Simone dafür den Terminus Women in Refrigerators eingeführt hat.“ |
„Seit Gail Simone 1999 in ihrem Blog ‚Women in Refrigerators’ damit begonnen hatte, die zunehmende, oftmals sexualisierte Gewalt gegenüber weiblichen Figuren in von Männern geschriebenen Superheldencomics zu thematisieren, […]“ |
„Hinter den Kulissen: ein Männer- oder noch eher Jungs-Klub, […]“ |
„[…] Superheldencomics aus dem testosterongeschwängerten Jungsumfeld […]“ |
„[…] und auch der Band selbst dokumentiert das mit einem Kapitel zu Pionierinnen der Comicgeschichte wie Tarpe Mills oder Nell Brinkley. Nur mit der Sichtbarkeit der Geschichtsschreibung hapert es oft.“ |
„Um ein entsprechendes Geschichtsbewusstsein zu schaffen, beinhaltet der […] Band historische Lektionen, die weibliche Comicpioniere wie Tarpe Mills oder Nell Brinkley […] vorstellen.“ |
„Mehr als 150 Frauen haben an dem Band mitgearbeitet […] – die jüngste ist gerade mal zehn, die älteste 70. Für die Geschichten wurde […] je eine Veteranin mit einer Newcomerin zusammengespannt […]“ |
„[…] elf der mehr als 140 Frauen sind noch unter achtzehn Jahren alt. Die Verfahrensweise, Neulingen erfahrene Profis an die Seite zu stellen […]“ |
„[…] – etwa Gail Simone […] mit der jungen Zeichnerin Jean Kang. Ihre Geschichte In Every Heart a Masterwork […] ist eine der schönsten des Bandes. Und bringt gleich prägnant auf den Punkt, worum es hier (auch) geht: Frauen, Mädchen und ihre Perspektiven in Comics einzuschreiben und junge Talente zu ermutigen, selbst den Stift in die Hand zu nehmen.“ |
„Paradebeispiel dafür ist die von Gail Simone verfasste Geschichte ‚In Every Heart a Masterpiece’ [sic]. Die Gestaltung übernahm die am Anfang ihrer Laufbahn stehende Jean Kang. […] Am Schluss wird der Konflikt mit Mitteln weiblichen Do-It-Yourselfs aufgelöst. Charmant und intelligent wird so die Kernaussage von ‚Womanthology’ aufgenommen: Verändere dein Umfeld zu deinen Gunsten an Hand eigener Vorstellungen und Möglichkeiten.“ |
„Das auffälligste Merkmal für alle, die regelmäßig Comics konsumieren, ist die massive Perspektivenverschiebung, die stattfindet. In fast allen Geschichten stehen Heldinnen im Mittelpunkt, sie erscheinen in allen Altersklassen, Hautfarben und Körperformen (eine willkommene Abwechslung zu den wider jedes Gesetz der Schwerkraft verstoßenden Kurven, die das Genre sonst dominieren) […].“ |
„Nach Ansicht dieser Leserinnen fehlt es weiterhin an Künstlerinnen und weiblichen Identifikationsfiguren, die über das oft übliche Fanboy-Pin-Up-Niveau hinausreichen. […] Deshalb ist es begrüßenswert, dass Eigeninitiativen wie ‚Womanthology’ Frauen einen Zugang zur männlich dominierten amerikanischen Mainstream-Comicszene öffnen.“ |
„Nein, Segregation ist sicher nicht die Lösung für den generellen Sexismus einer Branche, in der Frauen oft nur Doppel-D tragendes Heldenbeiwerk sind und der Comicverlag Marvel es lustig findet, eine Sammelfigur der Spiderman-Freundin [sic] Mary Jane herauszugeben, wie sie in Pin-Up-Pose sein dreckiges Cape wäscht.“ |
„Allerdings sollte man nicht die Ansicht vertreten, dass Segregation die Lösung für szeneinterne Geschlechterdifferenzen wäre […].“ |
Ristau mutmaßt derweil, es mangele Köver an Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem Medium Comic generell und dem Womanthology-Projekt im Besonderen. „Sonst“, schreibt er in einer E-Mail, „hätte Frau Köver sich nicht nur ein paar eigene Gedanken mehr zum Thema gemacht, sondern vielleicht auch überprüft, ob Spider-Man wirklich ein Cape trägt.“