Welt am Draht

52 mal berührt: Wonder Woman #1

DC Comics startet sein komplettes Superhelden-Universum neu. COMICGATE trifft sich zum Speed-Dating mit den Erstausgaben aller 52 Serien. Wird es dabei zu heißen Spätsommer-Flirts kommen? Zu wilden Schlabberzungenküssen? Oder bleibt es doch eher beim Austausch lauer Unverbindlichkeiten? Hier ist alles drin, Freunde der Sonne. Folge 38 von 52: WONDER WOMAN #1 von Brian Azzarello und Cliff Chiang.

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BJÖRN:alt Wonder Woman ist ja eine dieser Figuren, mit denen ich nie so recht warm geworden bin. Auf der anderen Seite sind Azzarello und Chiang zwei Leute, mit deren letzter Zusammenarbeit (dem grandiosen Doctor 13: Architecture & Mortality) ich sehr warm wurde. Insofern war das hier eines der Hefte, auf die ich wirklich gespannt war.

Auf Seite 1 merkt man, dass Azzarello schreibt. Seine Begeisterung für Wortspiele wird der Mann wohl nie aufgeben, aber im Rest der Ausgabe hält er sich angenehm zurück. Das Skript wird nie so „clever“, dass es der Erzählung schadet. Und die Erzählung überzeugt mich: Die Macher etablieren den zentralen Konflikt, vermitteln ein Gefühl dafür, in welche Richtung Azzarello seine Wonder Woman marschieren lässt (griechische Mythologie im zeitgenössischen Gewand), zeigen eine dramatische Actionszene (die so blutig ist, dass ich mich frage, wieso DC diesen Comic nicht als „T+“ klassifiziert hat) und präsentieren ein wenig subtile Charakterisierung der beiden Hauptfiguren Diana und Zola. Eine erste Ausgabe, in der genug passiert, um mich bei Laune und am Lesen zu halten und die keinerlei Vorwissen erfordert. Azzarello erfüllt also alle an ihn gestellten Erwartungen.

Gleiches gilt für Chiang: Wonder Woman ist ein erstklassig aussehendes Heft. Mein Lieblingspanel ist dabei ein nicht einmal dramatisches. Eine Figur säubert eine Sense nur mit ihrem Finger. Aber in diesem kleinen Panel, in dem die Bewegung des Fingers und der Aspekt der Säuberung deutlich wird, merkt man, wie sehr Chiang sein Handwerk versteht. Das gilt auch für alle weiteren Szenen: Seine Actionszenen sind dynamisch, die Figurenbewegungen von einem Panel zum nächsten wirken natürlich, die Mimik aller Beteiligten ist aussagekräftig und Wonder Woman sieht hervorragend aus. Kräftig, groß, feminin, aber in keiner Weise zu aufgebrezelt, zu übersext.

Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber Wonder Woman hat mich mit diesem Kreativteam als Stammleser gewonnen.

ZOOM-FAKTOR: 8 von 10!


MARC-OLIVER: Deinem Lob in Richtung Cliff Chiang kann ich mich vorbehaltslos anschließen. Der Mann zeichnet schöner und besser als die meisten seiner Superheldenkollegen, die von ihm in Szene gesetzten Geschichten sind, ja, lebendig. Im Zusammenspiel mit Azzarello fährt Chiang hier einige der beeindruckendsten Actionszenen auf, die man derzeit im Superheldenbereich zu sehen bekommt. Die Wucht und Brutalität, die die Beiden erzeugen, wenn etwa einfach nur ein gigantischer Pfeil durch die Luft saust, ist ehrfurchtgebietend – auch die ganzen mythischen Figuren hat man so brachial und überzeugend noch nicht oft gesehen im US-Comic.

Insgesamt fand ich die Geschichte aber leider trotzdem eine herbe Enttäuschung. Eine subtile Charakterisierung von Wonder Woman und Zola konnte ich leider nicht erkennen. Wonder Woman verhält sich hier vollkommen dämlich, und Azzarello gibt sich nicht einmal Mühe zu verbergen, dass sie das einfach nur tut, damit der Plot in die richtige Richtung galoppiert. Den Reiz dieser Figur habe ich, ähnlich wie Du, auch noch nie verstanden – das haben Azzarello und Chiang hier aber auch nicht ansatzweise geändert. Ich hab das Gefühl, dass ich sie als schon allein deshalb toll finden muss, weil sie Wonder Woman ist, aber so funktioniert das eben nicht. Man müsste mir diese Wonderwomanhaftigkeit dann schon irgendwie erst mal näherbringen. Zolas Charakterisierung gibt auch nicht viel her, und den Nebenstrang mit dem Schurken in Spe fand ich langweilig und belanglos.

Wonder Woman ist für mich ein ähnlicher Fall wie Batman: Ich weiß, dass insbesondere Azzarello (etwa in Doctor 13) mehr kann als er hier zeigt, und das ist der Grund, warum ich trotz der faden Story dranbleibe. Bisher ist das unterm Strich leider nicht mehr als besseres Mittelmaß.

ZOOM-FAKTOR: 6 von 10!


 

Bereits im Juni hatte COMICGATE alle 52 neuen DC-Serien vorurteilslos begutachtet und eingeordnet: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.

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