Welt am Draht

52 mal berührt: Nightwing #1

DC Comics startet sein komplettes Superhelden-Universum neu. COMICGATE trifft sich zum Speed-Dating mit den Erstausgaben aller 52 Serien. Wird es dabei zu heißen Spätsommer-Flirts kommen? Zu wilden Schlabberzungenküssen? Oder bleibt es doch eher beim Austausch lauer Unverbindlichkeiten? Hier ist alles drin, Freunde der Sonne. Folge 34 von 52: NIGHTWING #1 von Kyle Higgins und Eddy Barrows.

nightwing
altMARC-OLIVER: Es wird oft verkannt, dass ein großer Teil der „Kunst“ beim Geschichtenerzählen einfach nur harte Knochenarbeit ist. Ideen, Talent, Inspiration – alles wichtig, sicher. Aber schlussendlich kommt’s darauf an, ob man den Willen und das Durchhaltevermögen hat, sich auf seinen Arsch zu setzen und daraus eine Geschichte zu basteln, die funktioniert, fesselt, neue Wege geht und sowohl den Verstand als auch das „Herz“ des Lesers gewinnen kann. Das ist kein Zufall, nicht einem göttlichen Geistesblitz geschuldet, sondern einfach eine Frage von Disziplin und Zielstrebigkeit.

Das bedeutet, kurz und knapp, dass ein Autor, der etwas auf sich hält, immer die originellst mögliche Lösung anstrebt – nie den Weg des geringsten Widerstands geht, sondern sich möglichst viele Elemente seiner Geschichte möglichst neu ausdenkt.

Kyle Higgins geht leider meistens den Weg des geringsten Widerstands. Will er auf die Befindlichkeit seiner Hauptfigur eingehen, kaut er alles haarklein in Monologboxen durch und spuckt es dem Leser vor die Füße. Will er zeigen, dass sein Schurke ein richtig schlimmer Finger ist, lässt er ihn von zwei Typen anmachen, die zufällig rumstehen und ihn anpöbeln, und die er dann auseinandernehmen kann – und die, wie originell, zwei möglicherweise kriminelle, möglicherweise Drogen rauchende Schwarze sind. Und der Schurke selbst ist übrigens ein Killer, der’s auf den Helden abgesehen hat, und er kommt extra dafür mit dem Bus an. Warum den Kopf anstrengen, wenn doch alles so einfach gehen kann?

Higgins‘ Umgang mit Genre-Standards ist leider auch nicht besonders überzeugend. Dass in Superheldencomics die Menschen etwa zu blöd sind um zu merken, dass Clark Kent in Wahrheit Superman ist, das verkraftet die sogenannte „Suspendierung des Unglaubens“ eines Lesers in der Regel so lange, wie man ihn nicht mit der Nase darauf stößt. Wenn hier nun Dick Grayson von einem vermeintlich brandgefährlichen Profikiller ausfindig gemacht, verfolgt und angegriffen wird, der dann nicht imstande ist zu merken, dass er es binnen ein, zwei Minuten mit ein und derselben Person zu tun hat, bloß, weil die sich eine winzige Maske ins Gesicht geklebt hat, dann ist das definitiv zu viel des Guten.

Mit Eddy Barrows ist es wie mit vielen anderen der derzeitigen DC-Zeichner: Er versteht sein Handwerk recht gut und setzt die Story gefällig in Szene, bleibt dabei stilistisch aber sehr beliebig.

ZOOM-FAKTOR: 3 von 10!


BJÖRN: Ich merke inzwischen, dass wir gerade in der „kompetenten Mittelklasse“ in unseren Bewertungen auseinanderdriften. Denn nichts anderes ist Nightwing: Kompetente Mittelklasse mit allen Stärken und Schwächen des Superheldengenres.

Da sind die geschwürhaft wuchernden Captions, die uns jede Kleinigkeit erzählen müssen. Da ist der von dir erwähnte Moment, in dem der Superschurke nicht merkt, dass Dick Grayson sich nur eine Maske ins Gesicht pappt. Da ist der Umstand, dass man es wieder mal auf 20 Seiten nicht schafft, ein Konzept erkennbar werden zu lassen oder einen größeren Angelhaken auszuwerfen als „dieser Schurke könnte Nightwing töten“. Und da ist auch eine gewisse visuelle Belanglosigkeit. Der Schuft sieht schon arg nach der Hauptfigur aus Wanted mit grünem Anstrich aus, während Nightwings neues Kostüm mehr als dezente Anleihen beim Kostüm aus Batman Beyond betreibt.

Aber auf der anderen Seite gelingt es Kyle Higgins, mir die Figur Dick Grayson und seine Motivation nahe zu bringen, er schafft es, die Continuity einzubinden, ohne – wie die Legion-Titel – den Leser völlig zu damit zu strangulieren, er bringt die (vermute ich mal) neuen Nebenfiguren im Heft unter und hat trotzdem noch Raum für zwei ordentliche Actionszenen, bei der ich die erste (eine Prügelei in einer fahrenden S-Bahn) wirklich schick und energisch umgesetzt fand. Nightwing ist ganz dicht dran am Prototyp der Superheldengeschichte, die jeden Monat etwas Abenteuer in Heftform bringen will. Ich selbst habe zwar kein Interesse daran, aber wenn man so etwas sucht, dann findet man in Higgins‘ und Barrows‘ Nightwing einen Comic, der alle richtigen Knöpfe drückt.

ZOOM-FAKTOR: 5 von 10!


 

Bereits im Juni hatte COMICGATE alle 52 neuen DC-Serien vorurteilslos begutachtet und eingeordnet: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.

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