Welt am Draht

52 mal berührt: Legion of Super-Heroes #1

DC Comics startet sein komplettes Superhelden-Universum neu. COMICGATE trifft sich zum Speed-Dating mit den Erstausgaben aller 52 Serien. Wird es dabei zu heißen Spätsommer-Flirts kommen? Zu wilden Schlabberzungenküssen? Oder bleibt es doch eher beim Austausch lauer Unverbindlichkeiten? Hier ist alles drin, Freunde der Sonne. Folge 33 von 52: LEGION OF SUPER-HEROES #1 von Paul Levitz und Francis Portela.

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MARC-OLIVER: Ach du dickes Ei. Dieses Heft liest sich, ohne übertreiben zu wollen, wie eine giftige Trotzreaktion auf die Idee, das DC-Universum durch einen Neustart vielleicht etwas einstiegsfreundlicher zu machen. DC-Urgestein Paul Levitz hat sich, so wird gemunkelt, seine weitere Tätigkeit als Autor für DC bei seinem letztjährigen Abgang als Verlagsmanager in den Auflösungsvertrag schreiben lassen. Und hier wirft er – nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich – dem Leser alle drei, vier Seiten eine ganze Gruppe neuer Figuren an den Kopf und tut dabei so, als wäre die bloße, enzyklopädische Aufzählung diversen Trivialwissens gleichbedeutend mit Charakterisierung. Es werden jeweils Name, Alias, „Heimatwelt“ und Fähigkeiten in einem entsprechenden Infokästchen aufgelistet – insgesamt 14 mal im 20-Seiten-Comic, womit noch nichtmal alle Hauptfiguren abgedeckt werden.

Der Comic – es geht um eine „Legion“ der Superhelden in ferner Zukunft, die das Universum beschützen und hier irgendwelche Missionen erfüllen – gehört zu der zum Glück auch bei DC seltener werdenden Spezies von Serien, die glauben, ihre Figuren seien schon alleine wegen der in der Vergangenheit angehäuften Geschichten so eindrucksvoll und ehrfurchtgebietend, dass es keiner weiteren Anstrengungen seitens der Kreativen bedarf, um einen Leser in Verzückung zu versetzen. Das lassen auch die Zeichnungen von Francis Portela vermuten, die durschnittlich gekonnt sind und sich stilistisch irgendwo zwischen Dave Cockrum, George Pérez und John Byrne anno 1979 orientieren.

Schön, es mag auch heute noch möglich sein, ein paar tausend Fans zu finden, die an so etwas ihren Spaß finden und von der geradezu mutwilligen Verschlossenheit gegenüber „nicht Eingeweihten“ eher heiß gemacht als abgestoßen werden. Einen Neustart braucht man für diese Zielgruppe aber nicht anzuzetteln. Zu allem Übel tritt hier auch noch die Figur mit dem Purpur-Umhang in den Vordergrund, mit der DC zur Sicherheit schonmal vorab den Glauben an die langfristige Eigenständigkeit sämtlicher 52 Serien torpediert hat.

ZOOM-FAKTOR: 2 von 10!


BJÖRN: Legion of Super-Heroes ist endlich mal etwas anderes: Während sich ein ganzer Schwung neuer Serien anfühlt, als wären die 1990er zurück, stellt Paul Levitz sicher, dass einem beim Lesen Schlaghosen und Plateauschuhe wachsen, dermaßen 1970er ist sein Comic sowohl in Zeichnungen als auch in den Dialogen.

Am Anfang dachte ich: Okay, Name und Kräfte der Figuren per Kasten einzuführen ist etwas holprig, aber immer noch besser als damit die Dialoge vollzustopfen. Und dann tauchen gefühlte 200 Figuren auf, von denen gefühlt ein Viertel so einen Kasten verpasst bekommt. Das nutzt Levitz hoffentlich in jeder Ausgabe, wie sonst soll ich mir merken, wer jetzt dieser eine Kerl mit dem einem Satz auf dieser einen Seite war?

„Ha! Ertappt“, wird Paul Levitz jetzt rufen. „Du Banause bist ja gar kein Legion-Leser, wenn du nicht sofort weißt, dass Thom Kallor von Xanthu das Gewicht von Dingen erhöhen kann! Und jetzt schleich dich zurück zu deinen neumodischen Post-Crisis-Comics! Du Haderlump!“

Zumindest kommt mir die ganze Ausgabe so vor, als wenn mir das Levitz deutlich machen will. Auf den ersten Seiten dachte ich nämlich auch noch: Okay, mal wieder Rückgriff auf frühere Continuity, die ich nicht verstehe. Aber insgesamt längst nicht so schlimm wie in Legion Lost. Und dann kommt Referenz um Referenz auf Hefte, die ich nie gelesen habe. Flashpoint und ein verlorener Green-Lantern-Ring, gestorbene Legionäre und begangene Fehler. Nichts wird erklärt, alles wird als gegeben vorausgesetzt. Und am Ende bricht irgendwer durch eine Wand und Chamäleonkerl fragt erstaunt: „Ein Daxamit?“ Was sicher total packend wäre, wenn ich den Hauch einer Ahnung hätte, was ein Daxamit ist. Gut, für solche Feinheiten oder das Gefühl, dass die Geschichte irgendwohin steuert, hat Levitz keine Zeit, weil er auf jeder Seite acht neue Figuren präsentieren muss.

Ich nehme es Levitz nicht einmal übel: Der Mann ist seit fast 35 Jahren immer mal wieder in Legion-Geschichten verstrickt, da muss man auf die alten Tage nicht was völlig Neues anfangen. Und wenn ich die Dialoge richtig verstehe, dann spielt seine Legion weiterhin im alten Universum, nicht im Relaunch-DCU. Nur: In dem Fall sollte die DC nicht die Frechheit besitzen, eine Nummer 1 auf ein Heft zu pappen, das einfach da weitermacht, wo man vor dem Neustart aufgehört hat. Bei DC Universe Online Legends ging das ja auch. Ich könnte mich natürlich, wie das einige Fans sicher vorschlagen werden, erst mal per Wikipedia in die Legion-Geschichte seit 1977 einlesen. Aber wenn man Hausaufgaben machen muss, um eine Nummer 1 zu verstehen, dann läuft da etwas grundfalsch.

In dieser Form ist Legion of Super-Heroes schlicht Verarsche des zahlenden Publikums.

ZOOM-FAKTOR: 0 von 10!


 

Bereits im Juni hatte COMICGATE alle 52 neuen DC-Serien vorurteilslos begutachtet und eingeordnet: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.

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