Welt am Draht

52 mal berührt: Legion Lost #1

DC Comics startet sein komplettes Superhelden-Universum neu. COMICGATE trifft sich zum Speed-Dating mit den Erstausgaben aller 52 Serien. Wird es dabei zu heißen Spätsommer-Flirts kommen? Zu wilden Schlabberzungenküssen? Oder bleibt es doch eher beim Austausch lauer Unverbindlichkeiten? Hier ist alles drin, Freunde der Sonne. Folge 16 von 52: LEGION LOST #1 von Fabian Nicieza und Pete Woods.

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BJÖRN: Und ich habe Green Lantern für nicht einsteigerfreundlich gehalten. Wenn ein Comic direkt mit so dahingerotzten Zeichnungen kommt, dass ich keine Lust habe weiterzulesen, dann muss die Story richtig überzeugen. Stattdessen knallt mir Nicieza erstmal peinlichen SciFi-Slang um die Ohren: „What the sprock just happened?“

Wobei: Das ist das Leitmotiv dieses Hefts. Was zum Sprock passiert hier? Zum Beispiel, wenn kurz danach gesagt wird: „Tyroc, I told you the longer we waited following Alastor’s wake, the harder it would be to pierce the Flashpoint breakwall.“

Wie? Was? Wie? Wer ist Tyroc? Wer ist Alastor? Was ist die Flashpoint Breakwall? Ich habe Flashpoint nicht gelesen und verstehe kein Wort! Und ich weiß zumindest, dass Flashpoint das Event war, das dieses neue Universum erschaffen hat. Nicieza versucht gar nicht erst, eine dieser Figuren oder Konzepte vorzustellen. Woher kommen die? Was ist überhaupt die Legion der Superhelden? Immerhin werden manchmal die Kräfte erklärt, dann aber im Stile von Kirby in den Sechzigern: „Luckily, between Chameleon Girl’s shapeshifting, Tellus’s telikinesis and my harmonic manipulation, most of us can fly.“ Sagt dieser eine Kerl zu Chameleon Girl und Tellus, die vermutlich wissen, dass sie fliegen können … weil sie es ja gerade tun!

Woods Zeichnungen werden von Seite zu Seite schludriger, die Todesszenen sind besonders missraten. Spannung fehlt, weil ich überhaupt nicht weiß, wer dieser Alastor ist oder was es mit dem Pathogen auf sich hat, das auf der Erde entwichen ist und diese nun kompromittiert hat. (Erneut: Was zum Sprock?) Und spätestens, als man ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen und einem Teddybär direkt vor einem durchdrehenden Monster platziert und dann als dramatischen Twist noch ein paar Figuren tötet, die diese Ausgabe nie vorgestellt hat (langfristige Legion-Leser haben da wahrscheinlich andere Reaktionen), wird bewusst, dass Nicieza Legion Lost mal schnell in der Mittagspause in den Block diktiert hat, weil man irgendwie auf 52 Erstausgaben kommen musste.

Verwirrender, schlecht gezeichneter Humbug, der sich nicht nur keine Mühe gibt, Neulesern entgegenzukommen, sondern ihnen mit Schmackes dafür ins Gesicht rotzt, dass sie bisher keine Legion-Comics gelesen haben. Passe.

ZOOM-FAKTOR: 0 von 10!


 

MARC-OLIVER: Wow, ich versteh gar nicht, wie man ausgerechnet hier so viel Gift und Galle aufbringen kann. Legion Lost ist sicher kein Highlight. Aber dass es aufgrund mangelnder Qualität besonders hervorstechen würde, kann man auch nicht behaupten. Zeichnungen und Story sehe ich im gehobenen Durchschnitt – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wie Du darauf kommst, dass das „hingerotzt“ sein könnte, ist mir schleierhaft. Glaub mir, „hingerotzt“ sieht anders aus. Das haben weder Nicieza noch Woods verdient für ihr Debütheft. Kompetent ist das hier allemal.

Dass man undurchdringlichen Techsprech als Stilmittel benutzen kann, weißt Du als Sci-Fi-Belesener doch besser als ich, und nichts anderes tut Nicieza hier. Es ist überhaupt nicht wichtig, was eine „Flashpoint Breakwall“ ist – was zählt, ist, dass es so ähnlich wie „Schallmauer“ klingt, bloß futuristischer, und damit hat es als pseudowissenschaftliche Erklärung auch schon seinen Dienst getan, wenn man eben erlebt hat, wie eine Gruppe Zeitreisender mit ihrer Zeitblase angekommen ist. Nicieza macht hier doch nichts anderes, als die wohlbekannte Formel für Zeitreise-Abenteuer durchzudeklinieren.

Mehr muss man gar nicht wissen, und so doof, dass sie das nicht merken, werden die Neuleser auch nicht sein. Die Art von „Infodump“, für die Du plädierst (Hintergründe immer direkt erklären), ist gerade falsch, wenn man jemandem ein Konzept nahebringen will. Die Kunst besteht darin, den Leuten immer nur soviel Information mit auf den Weg zu geben, wie sie zum Verständnis der vorliegenden Geschichte brauchen. Und aus den Dialogen – die, da gebe ich Dir allerdings Recht, oft zu schwerfällig mit Exposition um sich werfen – lässt sich hier auch jede Menge ableiten, etwa, dass besagter Alastor in die Vergangenheit gereist ist, um sich für eine Katastrophe zu rächen, die sich in der Zukunft zugetragen hat.

Was sich Nicieza neben der teils ungeschickten Prosa vorwerfen lassen muss, ist, dass er’s nicht bei jeder Figur schafft, sie mit einem Wiedererkennungswert auszustatten oder die Bedeutung der von Dir erwähnten Todesszehnen entsprechend rüberzubringen. Davon abgesehen, halte ich das hier aber für eine ganz passable Erstausgabe. Die Serie folgt wohl einer bekannten Formel auf recht konventionelle Weise, aber sie tut’s nicht so schlecht. Man erfährt, was die Figuren wollen, man sieht, wo sie das hinführt, und am Ende interessiert es mich schon, wie’s mit ihnen weitergeht. Von der Legion der Superhelden hab ich übrigens auch keine Ahnung. Das hat mich hier aber nicht gestört.

ZOOM-FAKTOR: 6 von 10!


 

Bereits im Juni hatte COMICGATE alle 52 neuen DC-Serien vorurteilslos begutachtet und eingeordnet: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.

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