Welt am Draht

52 mal berührt: Captain Atom #1

DC Comics startet sein komplettes Superhelden-Universum neu. COMICGATE trifft sich zum Speed-Dating mit den Erstausgaben aller 52 Serien. Wird es dabei zu heißen Spätsommer-Flirts kommen? Zu wilden Schlabberzungenküssen? Oder bleibt es doch eher beim Austausch lauer Unverbindlichkeiten? Hier ist alles drin, Freunde der Sonne. Folge 32 von 52: CAPTAIN ATOM #1 von J.T. Krul und Freddie Williams II.

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MARC-OLIVER: Der Held der Serie wird hier so mächtig, dass die Gefahr besteht, er könnte sich das eigene Hirn auflösen. Der Comic selbst ist nun nicht so furchtbar, als dass dem Leser das gleiche Schicksal blühen könnte, aber in einem undefinierten Schwebezustand bewegt sich die Geschichte leider schon. Captain Atom – der immerhin als Inspiration für Dr. Manhattan aus Watchmen Pate stand – ist mächtig mächtig, und er ist ein Held, und die beiden Fakten werden hier als gegeben definiert und nicht weiter hinterfragt. In der Praxis heißt das, er fliegt unmotiviert durch die Gegend, philosophiert in Gedankenmonologen vor sich hin und bekämpft nebenbei schlecht definierte generische Superschurken.

Wer er ist, was ihn zum Helden macht, warum er rumfliegt – alles Fragen, mit denen sich Autor J.T. Krul nicht aufhält, sehr zum Nachteil seiner Geschichte. Er will einen Comic über einen Helden machen, der aus mysteriösen Gründen so mächtig wird, dass er über seinen eigenen Aggregatszustand die Kontrolle verliert – so weit, so interessant, möchte man meinen. Aber leider ist da sonst so gut wie nichts dran, weder an der Figur noch an der Story: ein nacktes Konzept ohne so ziemlich alles, was eine Geschichte ausmacht.

Die Zeichnungen von Freddie Williams II und die Farben von Jose Villarrubia sind … seltsam. Einerseits sieht ihre Interpretation von Captain Atom schick und faszinierend aus, und es ist sicher auch absolut gewollt, dass er sich farblich und stilistisch stark von der Welt um ihn herum abhebt. Bis dahin ist es den Künstlern fraglos gelungen, ihre Vision umzusetzen. Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, dass es Absicht ist, dass alles in diesem Comic – bis auf den Helden – so komisch und hässlich aussieht, als wäre bei der Produktion irgendwas schiefgegangen.

Will sagen: Hier existieren ein, zwei vielversprechende Ideen, aber weder der Autor noch die Künstler schaffen es, daraus eine auch nur halbwegs gelungene Comic-Story zu machen. Alles schwebt irgendwie unmotiviert im Raum rum, ohne dass irgendwas zu greifen wäre. Insofern hat man den Zustand völliger geistiger Schwerelosigkeit, vor dem sich Captain Atom fürchten muss, bei der Lektüre von Captain Atom eigentlich doch schon irgendwie erreicht.

ZOOM-FAKTOR: 1 von 10!


BJÖRN: Auf der ersten Seite philosophiert Captain Atom uninspiriert über das Menschsein herum, um zu verdeutlichen, dass der mächtige Held seinen Bezug zur Menschheit verliert. Das ist wichtig, weil J.T. Krul den Menschen hinter Captain Atom in diesem Heft völlig ignoriert. Derweil deutet ein Close-Up auf ein Rattenauge an, dass wir bald ein Rattenmonster als Schurken erleben dürfen. Auf der zweiten Seite kloppt sich ein sehr toll gezeichneter Captain Atom mit einem absolut nicht toll gezeichneten Riesenroboter. Kurz vor Schluss taucht das Rattenmonster auf und sieht auch spektakulär aus. Alles dazwischen geht dank völliger Übertuschung optisch den Bach runter.

Erzählerisch folgt uninspiriertes Technogeplapper auf uninspirierte Philosophie, am schlimmsten auf Seite 10, als Dr. Megala – des Comics Stephen Hawking mit Kaiju-Namen – fast eine volle Seite technopalavert, nur um den alten Witz vorzubereiten, dass Captain Atom das in einem Satz zusammenfassen kann: „Verwende ich meine Kräfte, sterbe ich.“ Uiuiui. Dann versucht er einen Vulkanausbruch in New York aufzuhalten. Ein echter Konflikt mit einem Antagonisten kann von Krul nämlich noch nicht präsentiert werden. Aber wurde Captain Atom nicht gewarnt, das seine Kräfte ihn umbringen könnten? Egal. Er ist ein Held und wat mutt, dat mutt. Und, tatsächlich, auf der letzten Seite stirbt er scheinbar.

Ist die Serie jetzt vorbei? Ist Captain Atom wirklich tot? Vielleicht wird er mächtiger denn je zurückkehren. So wie Obi-Wan Kenobi. Oder Jesus. Immerhin heißt die nächste Geschichte „Messiah Complex“. Und immerhin hätte J.T. Krul den Comic auch Dr. Manhattan: Year One nennen können. Und statt Captain Atom könnte man auch Watchmen nochmal lesen. Da hätte man mehr von.

ZOOM-FAKTOR: 1 von 10!


 

Bereits im Juni hatte COMICGATE alle 52 neuen DC-Serien vorurteilslos begutachtet und eingeordnet: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.

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