Welt am Draht

52 mal berührt: Action Comics #1

DC Comics startet sein komplettes Superhelden-Universum neu. COMICGATE trifft sich zum Speed-Dating mit den Erstausgaben aller 52 Serien. Wird es dabei zu heißen Spätsommer-Flirts kommen? Zu wilden Schlabberzungenküssen? Oder bleibt es doch eher beim Austausch lauer Unverbindlichkeiten? Hier ist alles drin, Freunde der Sonne. Folge 14 von 52: ACTION COMICS #1 von Grant Morrison und Rags Morales.

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altMARC-OLIVER: Wer befürchtet hat, Morrison hätte in All Star Superman schon alles gesagt, wird hier eines Besseren belehrt. In Action Comics haut der Schotte in eine komplett andere Kerbe, sowohl was die Figur selbst angeht als auch in der Wahl der erzählerischen Mittel.

Die Geschichte spielt noch vor Justice League #1, also mindestens fünf Jahre vor den „aktuellen“ Ereignissen im neuen DC-Universum, und so sehen wir hier einen Superman, der noch völlig grün hinter den Ohren ist. Morrison geht zu den Wurzeln der Figur zurück, zu den ersten von Siegel und Shuster geschaffenen Geschichten: Dieser Superman geht gegen korrupte Geschäftsleute und Politiker vor, als ein Held des „Kleinen Mannes“, und er ist dabei nicht besonderlich zimperlich. Dass Superman hier noch nicht auf dem Zenith seiner Kräfte angelangt ist und beispielsweise nur springen, aber nicht fliegen kann, unterstreicht, dass es sich in allen Belangen um eine grobe, frühe Urversion handelt. Von dem Glanz und der Erhabenheit, die die Figur in All Star Superman umgibt, sind wir hier Lichtjahre entfernt. Dieser Superman steht nicht über den Dingen, sondern mit beiden Beinen fest auf dem Boden – und nicht selten knöcheltief im Schutt. Das drückt auch seine Arbeitskleidung aus, die noch nicht aus elegantem Spandex besteht, sondern aus ruppigen Malocherjeans und klobigen Lederstiefeln – ganz der hemdsärmelige Naturbursche aus Smallville, Kansas.

In Rags Morales hat Morrison den richtigen Komplizen gefunden, einen erfahrenen und versierten Erzähler, den weder alltägliche Szenarien noch großspurige Action-Sequenzen überfordern. Wo es Frank Quitely verstand, Supermans ganzen Kosmos in jeder Zeichnung zu einem geschliffenen Diamanten zu verdichten, geht es in der von Morales geschaffenen Welt sehr viel salopper, bodenständiger, dreckiger zu. Die Macher backen hier sehr viel kleinere Brötchen als in All Star Superman, und auch das gehört zum Konzept. Die Erzählweise ist nicht annähernd so hochgestochen, sondern konzentriert sich auf solide Kästchengitter und Seitenlayouts, was dabei hilft, die für heutige Superheldenleser eigentlich vollkommen unspektakulären Knalleffekte der Ausgabe – Superman hebt einen Mann über seinen Kopf, springt einen Wolkenkratzer hinab oder (Achtung, Klassiker:) bremst einen Zug aus – so in Szene zu setzen, dass sie wieder als das erscheinen, was sie sein sollten, nämlich atemberaubende Taten einer atemberaubenden Kreatur. Der Comic bietet kompakte Szenen und Dialoge, konzentriert sich auf klar erkennbare Geschehnisse, die keiner großen Interpretation bedürfen und geht eigentlich die ganze Zeit voll auf die Zwölf.

Morrison erfindet hier nicht das Rad neu. Er erzählt einfach eine grundsolide, simpel gestrickte Geschichte über eine grundsolide, simpel gestrickte Figur, die gerade erst anfängt, ihre später – viel später – welterschütternden Fähigkeiten zu entdecken. Das hier ist ein „Action-Comic“, in jedem Sinn des Wortes, und das wird von A bis Z durchexerziert. „Superman Unplugged“, wenn man so will. Dieser Perspektivwechsel ist nicht nur gelungen, sondern er wirkt auch noch spielerisch und völlig selbstverständlich. Davor, und vor der meisterhaften, geradezu schlafwandlerischen Konsequenz, mit der das jeden Aspekt der Geschichte durchzieht, kann man nur den Hut ziehen.

ZOOM-FAKTOR: 10 von 10!


 

BJÖRN: Ich erwähne immer wieder, dass Superman keine schlechte Figur ist, aber eine Figur, die ungeheuer gute Autoren braucht, um zu funktionieren. Insofern freut es mich, dass Morrison wieder bei Superman angekommen ist und etwas Neues versucht, indem er etwas ganz Altes aufgreift. Superman als sozialromantischer Vigilant, als Robin Hood von Metropolis, der nicht die Welt rettet, sondern korrupte Vermieter vermöbelt und Frauenschläger nass macht? Warum nicht, gerade die Kapitalismuskritik trifft auf jeden Fall den Zeitgeist.

Nebenbei legt Morrison ganz still und leise das Fundament für zukünftige Geschichten, stichelt in Richtung J. Michael Straczynski (wenn Superman einen Cop auf sein Magengeschwür hinweist) und führt die Änderungen im Status quo (Kent schreibt noch nicht für den Daily Planet, kann nur hoch springen aber nicht fliegen) dezent ein, statt sie mit Gewalt als Distinktionsmerkmal zu nutzen. Zudem ist in dieser Serie das Problem beseitigt, dass Superman zu mächtig erscheint und keine Gefahren zu fürchten braucht, was man daran merkt, dass der Stählerne es über sechs Seiten nicht schafft, den – ja, Klassiker – Zug zu stoppen. Mit dieser Rückkehr zum Prototypen kann Morrison neue Wege gehen und der Weg zum uns bekannten Status quo verspricht spannend zu werden.

Das hier ist – zum Glück – keine Origin und trotzdem gelingt es Morrison, den Status quo zu etablieren, Superman und Lex Luthor zu charakterisieren und nebenbei noch ausreichend Action zu präsentieren, um der Ausgabe ein ordentliches Tempo zu erlauben, das weder überfordert noch langweilt. Und lustige Momente hat das Ganze auch noch, wenn ein Cop betont, dass es mal Gesetze in Metropolis gab. Das Gesetz der Schwerkraft, zum Beispiel.

Will sagen: Grant Morrison ist ein guter Superheldenautor. Wer hätte es gedacht?

ZOOM-FAKTOR: 8 von 10!


 

Bereits im Juni hatte COMICGATE alle 52 neuen DC-Serien vorurteilslos begutachtet und eingeordnet: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.

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