Rezensionen

Gift


 Serienmörder und ihre Taten üben eine eigenartige Faszination auf uns aus. Verbrechen, die Jahrzehnte, manchmal gar Jahrhunderte zurückliegen, werden nicht vergessen und zu den Akten gelegt, sondern immer wieder thematisiert – und durch die Verarbeitung in Kino, Fernsehen oder Kriminalroman auch zu einem Stück Popkultur. Dass sich historische Serienmorde auch als Thema für Comics eignen, will der Autor Peer Meter beweisen, indem er gleich drei solche Stoffe zur Graphic Novels verarbeitet. Der erste davon erschien kürzlich bei Reprodukt: In Gift geht es um eine Frau namens Gesche Gottfried, die in den 1920er Jahren in Bremen insgesamt 15 Menschen vergiftet hatte und 1831 hingerichtet wurde.

Die (Rahmen-) Handlung des Comics beginnt viele Jahre später. Auf einer Zugfahrt erinnert sich eine ältere Dame an einige Tage, die sie in, Bremen verbracht hat, und berichtet einer jungen Mitfahrerin davon: 1831 kam sie in die Hansestadt, um Recherchen für einen Reiseführer anzustellen. Die namenlose Dame dient nun als Protagonistin des Comics, aus deren Perspektive alles geschildert wird. Sie erlebt eine Stadt, die nur ein Thema kennt: Gesche Gottfried, die Giftmörderin, die im Gefängnis sitzt und bald öffentlich enthauptet werden soll. Das Thema interessiert die junge Frau, sie spricht mit Bremer Bürgern, vom Pfarrer über einfache Leute bis zum Verteidiger Gottfrieds. Dabei stößt sie immer wieder auf großes Misstrauen und offene Abneigung, schließlich ist man es nicht gewohnt, dass sich allein reisende Frauen in anderer Leute Angelegenheiten einmischen und sich sogar noch eine eigene Meinung erlauben. Schließlich erhält sie auch noch eine Abschrift der Protokolle von Gesche Gottfrieds Polizeiverhör und wird schließlich Zeugin ihrer öffentlichen Hinrichtung.

 Peer Meter, der selbst aus Bremen stammt und sich seit Jahren intensiv mit dem Fall Gottfried auseinandersetzt (er veröffentlichte bereits drei Bücher zum Thema) nimmt dokumentarische Fakten, die vor allem aus den Verhörprotokollen stammen, als Gerüst seines Comics, strickt daraus aber eine eigene, fiktive Geschichte. Das funktioniert erzählerisch sehr gut: die Frau, die als fremder Neuankömmling mit dem Fall konfrontiert wird, ist auf dem gleichen Wissensstand wie die meisten Leser; alles was sie erfährt, erfährt der Leser gleichzeitig mit.

Mit der Zeit wird diese Perspektive aber auch zum Problem des Buchs, denn die Protagonistin hat eine ziemlich klare Meinung von den Vorgängen in Bremen und von den örtlichen Bürgern. Als selbstbewusste, prä-feministische Frau ist sie entsetzt von der konservativen, strengen und frauenfeindlichen Stimmung in der Stadt und empört darüber, dass Gesche Gottfried von Anfang an keine Chance auf ein faires Gerichtsverfahren hatte. Stellenweise hat man den Eindruck, sie wäre eine Zeitreisende aus dem Jahr 2010, die mit dem heutigen Wissen und den heute geltenenden gesellschaftlichen Standards auf die Hanseaten von 1831 blickt. Weil der ganze Comic strikt aus der Perspektive jener Frau erzählt ist, muss auch der Leser zwangsläufig diese Perspektive einnehmen. Die moralische Beurteilung des Geschehens bleibt dem Leser nicht selbst überlassen, sondern wird ihm von der Erzählerin (oder, besser gesagt: vom Autor) aufgezwungen. Weil die Serienmörderin und der Umgang mit ihr nur von einer Seite beleuchtet wird, kann man sich kein eigenes Bild machen.

 Dieser Umstand trübt die ansonsten sehr gelungene Graphic Novel, die besonders durch das Artwork von Barbara Yelin glänzt. Ihre schwarzweißen Bleistiftzeichnungen schaffen eine düster-atmosphärische Stimmung. Fast alle Panels haben etwas Skizzenhaftes, Unfertiges an sich, wichtiger als filigrane Details ist für Yelin der Einsatz von Licht und Schatten, von Schwarz und Weiß und den Nuancen dazwischen. Die unbehagliche Atmosphäre, die dadurch geschaffen wird, passt perfekt zum Inhalt und erinnert an einen anderen Comic, der sich mit einem Serienmörder-Mythos beschäftigt: From Hell von Alan Moore und Eddie Campell.

Dessen außerordentliche Qualität erreicht Gift zwar nicht, dennoch lohnt die Lektüre. Durch die Mischung aus Fakten und Fiktion schaffen Meter und Yelin eine interessante Struktur, weg von der strikten Nacherzählung historischer Tatsachen, hin zu einer spannenden Dramaturgie. Diese hätte noch mehr überzeugt, wenn der Autor nicht seinem Drang nachgegeben hätte, die Geschehnisse aus unserer heutigen Sicht moralisch zu bewerten.


Gift
Reprodukt, März 2010
Text: Peer Meter
Zeichnungen: Barbara Yelin
200 Seiten, Softcover, schwarz-weiß, 20 Euro
ISBN: 978-3-941099-41-8

Spannende Mischung aus Fakten und Fiktion, sehr atmosphärisch, aber mit moralischem Zeigefinger

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Abbildungen: © Barbara Yelin, Peer Meter, Reprodukt