Rezensionen

Bohnenwelt

Cover BohnenweltFür seine zweite Comic-Veröffentlichung (zehn Jahre nach Inter View – Popcomics von Helge Arnold und Christopher Tauber) hat sich der Mainzer Ventil Verlag einen amerikanischen Comic ausgesucht, der dort schon seit 1983 exisitiert, es aber bislang nie zu uns geschafft hatte: Larry Marders Beanworld, eine, so der Untertitel der US-Ausgabe, „höchst sonderbare Comic-Erfahrung“.

Bohnenwelt ist in der Tat sehr ungewöhnlich. In kurzen Episoden erzählt Larry Marder von einem kleinen, in sich geschlossenen Kosmos, der auf den ersten Blick ganz anders ist als unsere reale Welt – auf den zweiten Blick jedoch viel mit ihr gemein hat. Die Bohnenwelt besteht aus einer Landfläche, auf der jede Menge kleine Bohnen leben. Diese ernähren sich von Kau, einer Substanz, die sie auf Jagdzügen im Untergrund erbeuten müssen. Das Kau wird bewacht von Kreaturen namens Hoi Polloi, die unter der Bohnenwelt leben und dort sogenannte Stummelsprosse zu Kau verarbeiten. Jene Stummelsprosse wiederum wachsen auf einem großen Baum an der Oberfläche der Bohnenwelt, der von den Bohnen als eine Art Gottheit verehrt wird.

Klingt seltsam? Schon, aber Larry Marder stellt uns diese Welt in einer entwaffnenden Selbstverständlichkeit dar, so dass man es nicht als wirr oder bekloppt wahrnimmt, sondern im Gegenteil als vollkommen logisch und sinnvoll. Das erste Kapitel erklärt den Kreislauf des Lebens auf der Bohnenwelt, der im Prinzip funktioniert wie ein Ökosystem oder ein Organismus. Ein perfektes Gleichgewicht, das von bestimmten Umweltbedingungen abhängig ist. Was geschieht, wenn sich diese ändern, erkundet Marder in den folgenden Kapiteln.

Seite aus BohnenweltDie Protagonisten dieser Geschichten sind leicht überschaubar: Neben der namenlosen Masse an Bohnen, von denen sich die meisten als „Kau-Lanzer“ um die Nahrungsbeschaffung kümmern, gibt es eine Rockband, den heldenhaften Anführer Mr. Spuk und Professor Garbanzo, die Forscherin der Bohnenwelt. Dazu kommt später noch Bohnerich, der mit seiner „Schau-an-Schau“ etwas ganz Neues, bislang völlig Unbekanntes in die Bohnenwelt bringt: Kunst!

Gezeichnet ist Beanworld in einem sehr reduzierten, minimalistischen Stil, der an Kinderzeichnungen erinnert: zweidimensional, mit dem Boden als waagrechtem Strich, fast ohne Hintergründe, mit Figuren im Strichmännchen-Stil und minimalen Gesichtsausdrücken. Diese Reduktion passt perfekt zur Bohnenwelt, die zunächst so simpel und kindlich erscheint, aber auch eine Menge Spielraum für Interpretationen lässt. Die Beanworld-Stories funktionieren als einfache, sehr witzige Unterhaltung. Man kann sich aber von Marder auch einladen lassen, über „große Themen“ wie Wissenschaft, Religion und Kunst nachzudenken. Denn die Bohnenwelt, sagt Marder, „ist kein Ort, sie ist ein Prozess.“ Und an dem hat der Leser mitzuwirken, wie es auch Scott McCloud in seinem Vorwort formuliert: „Von allen Menschen, die jemals die Bohnenwelt besuchen werden, bist Du der einzige, der sie auf diese Weise wahrnehmen kann. Auf Deine Weise. So, wie sie ist.“

Seite aus BohnenweltEin wichtiges Beanworld-Element ist auch die Sprache, für die Marder einen ganz eigenen Slang entwickelt hat. Fast jede Figur hat ihre eigene, spezielle Ausdrucksweise und alle wichtigen Besonderheiten der Bohnenwelt haben skurrile, oft doppeldeutige Namen, die nicht frei erfunden, sondern an bekannte Begriffe angelehnt sind (wie z.B. das Nahrungsmittel Kau oder der lebensspendende Baum namens O’Ma’Pa). An dieser Stelle ist die exzellente Übersetzung der deutschen Ausgabe zu loben, an der die Lyrikerin Daniela Seel zusammen mit dem Comiczeichner Dirk Schwieger (Moresukine) arbeitete. Schwieger ist selbst langjähriger Fan der Serie und schrieb schon 1997 einen englischen Schulaufsatz darüber. Den beiden gelingt es, Marders Sprachwitz auf eine Weise ins Deutsche zu transportieren, für die man ruhig einmal den abgedroschenen Begriff „kongenial“ verwenden darf. Da werden aus den „Chow Sol’jers“ die Kau-Lanzer, aus der „Bone Zone“ die Schädelschicht und der Klebstoff „Gunk’l’dunk“ wird zum Wabb’l’bapp.

Die Bohnenwelt ist skurriles, seltsames Universum, das auf den ersten Blick vielleicht befremdlich wirkt, das sich aber zu erforschen lohnt. Die 272 Seiten des Sammelbands liest man besser nicht am Stück – die Einzelhefte erschienen in relativ großen Abständen und Marder wiederholt die Grundlagen immer wieder, was in geballter Form schnell ermüdend wirkt. Wer aber nach neun Kapiteln am Ende angelangt ist, wird (nicht nur wegen des Cliffhangers) mehr wollen. Zu viele Ecken der Bohnenwelt sind noch unerforscht, zu viele Phänomene unbekannt, zu viele Fragen ungefragt. Und auch wenn nirgendwo auf dem Buch eine „Nummer 1“ steht, ist doch sehr zu hoffen, dass der Ventil verlag noch weitere Bände folgen lässt.

 

Wertung: 9 von 10 Punkten

Hoka•Hoka•Wabb’l’bapp! Hoka•Hoka•Hey!


Bohnenwelt
Ventil Verlag, Februar 2012
Text und Zeichnungen: Larry Marder
272 Seiten, schwarz-weiß, Softcover mit Klappenbroschur
Preis: 17,90 Euro
ISBN: 978-3-931555-44-3

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Abbildungen © Larry Marder, der dt. Ausgabe: Ventil Verlag