Torpedo – das ist zugleich ein Spitzname und ein Meisterwerk. Der Titel wurde geboren aus Angst und Schrecken. Er ziert Luca Torelli, seines Zeichens Auftragsmörder der Mafia. Schnell, hart und gewissenlos – so schlägt Torpedo zu. Die von Enrique Abuli und Jordi Bernet geschaffene Figur ist einer der markantesten Killer der Comic-Geschichte. Er treibt im New York der dreißiger Jahre sein Unwesen und erscheint seit 2006 bei Cross Cult in einer fünfbändigen Gesamtausgabe. Im Mai 2007 erschien Band 2. (Hier gehts zur CG-Rezension von Band 1.)
Neulich konnte man irgendwo lesen, dass es bei Torpedo keine Moral gäbe. Aber stimmt es wirklich, dass die Serie frei von Moral ist? Man kann Moral als ein Wertesystem verstehen. Das moralische System einer bestimmten Gruppe orientiert sich an gewissen Vorstellungen, was gut und was böse ist. Es fällt leicht, den Killer Torpedo als unmoralisch zu bezeichnen. Man signalisiert damit, dass man sich nicht zu seiner Gruppe rechnet bzw. dass man sich an einem anderen Wertesystem orientiert als er. Kunststück. Denn welcher Leser muss sich schon als harter, gnadenloser Killer auf der Straße durchschlagen?
Aber gibt es im Leben von Luca Torelli wirklich keine Moral, keine Gut-Böse-Koordinaten? Wer den eigenartigen Sog erklären will, den Torellis grausame Welt auf den Leser ausübt, könnte sich mit dieser Frage genauer beschäftigen. Und Antworten finden sich in jeder Episode, zum Beispiel wenn Torpedo sich an einer Frau vergreift, einem Informanten eine Kugel verpasst oder einen Widersacher in Flammen setzt. In Torpedos Welt sind Gewalt, Rücksichtslosigkeit und Hinterhältigkeit legitime Mittel, um zu erreichen, was man will. Die Ziele des Killers sind klar und einfach: Es geht um Dollars, schöne Frauen und um Rache. Dumm ist, wer unbewaffnet auf die Straße geht oder anderen Vertrauen schenkt. Ein Kumpane, der den Gewinn schmählert, gehört erschossen. So ist das bei Torpedo eben.
Natürlich soll Torpedo kein Vorbild sein. Die Serie will auch nicht die Wirklichkeit zeigen. Die Geschichten werfen den Leser hinein in ein moralisches Koordinatensystem, das anders sein dürfte, als alles, was er gewohnt ist. Insofern ist Torpedo ein ausgesprochen moralischer Comic, eben nur mit einer Definition von Richtig und Falsch, die dem gewöhnlichen Leser schwer im Magen liegt. Der unglaublich dynamische Strich und die zynischen Texte tragen ihr Übriges dazu bei, der Welt des Auftragsmörders Leben einzuhauchen.
In Bertolt Brechts Dreigroschenoper wimmelt es von berühmten Zitaten. Eines davon kommt aus dem Mund des Ganoven Mackie Messer, der unserem Torpedo gar nicht so unähnlich ist. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ sagt er an einer Stelle. Die Moral – das sind hier bürgerliche Vorstellungen von Gut und Böse. Aber das Fressen hat eben eine eigene Moral. Es ist die Moral des Gnadenlosen, des Gewalttätigen. Luca Torelli lehnt immer mit dem Rücken an der Wand, wie ein in die Enge getriebenes Tier. Er beißt wild um sich, um zu überleben. Und die Leser? Wir sind bloß Schaulustige mit vollen Bäuchen, die amüsiert zugucken.
Torpedo 2
Cross Cult, Mai 2007
Text: Enrique Sánchez Abuli
Zeichnungen: Jordi Bernet
152 Seiten; schwarzweiß; Hardcover; 18,- Euro
ISBN: 9783936480450