Rezensionen

The League of Extraordinary Gentlemen: Black Dossier (US)

 Die League of Extraordinary Gentlemen gehört, der furchtbaren Hollywood-Verfilmung zum Trotz, zu den interessantesten und spannendsten Schöpfungen von Comic-Mastermind Alan Moore. Nach langer Wartezeit und vielen Verschiebungen erschien Ende 2007 endlich neues Material für die Freunde der Liga. Allerdings gibt es das Black Dossier offiziell nur in den USA.

In zwei Miniserien (erschienen 1999/2000 bzw. 2002/2003) hatte Alan Moore, zusammen mit dem Zeichner Kevin O'Neill, eine viktorianische Version der Superhelden-Teams erschaffen. So wie in der JLA oder in den Avengers bekannte Comichelden zusammenarbeiten, kooperieren in der LOEG am Ende des 19. Jahrhunderts berühmte Schöpfungen der damaligen Unterhaltungsliteratur: Kapitän Nemo, Dr. Jekyll, der Unsichtbare und Allan Quatermain. Angeführt wird die Truppe von Mina Murray (geschiedene Harker) aus Dracula.

Moore und O'Neill machten sich einen Spaß daraus, alle möglichen bekannten und obskuren Figuren aus jener Zeit zu verwenden, in den LOEG-Abenteuern findet man Verweise auf Arthur Conan Doyle, Edgar Allan Poe, Jules Verne, H.G. Wells und viele mehr. Und in Andeutungen erfährt man auch, dass es in Alan Moores fiktionaler Welt nicht nur eine Liga gab, sondern viele, quer durch die Jahrhunderte.

Im Black Dossier, erschienen als aufwändiger Hardcoverband, erforschen Moore und O'Neill nun diese lange Geschichte der Heldentruppen des britischen Königreiches. Und was die beiden hier vorlegen, ist weit mehr als ein Comic, sondern vielmehr ein komplexes und intelligentes Spiel mit Literatur, Popkultur, ihrer Geschichte und ihren Formen.

 Beim titelgebenden „Black Dossier“ handelt es sich um eine Sammlung von Dokumenten, die gut verschlossen beim englischen Geheimdienst liegt und die allerhand Zeugnisse über verschiedene Versionen der Liga versammelt. Dabei spannt sich der Bogen vom Anbeginn der Zeit bis in die Gegenwart der Rahmenhandlung, die in den 1950er Jahren spielt. Nur diese Rahmenhandlung wird in Comicform erzählt: Darin erbeuten Mina und der Sohn von Allan Quatermain das Dossier, werden vom Geheimdienst verfolgt und bekommen es unter anderem mit Emma Peel und einem gewissen Agent 007 zu tun.

Der Schwerpunkt von Black Dossier allerdings liegt nicht auf dem Comic, sondern auf den einzelnen Dokumenten, die Alan Moore in unterschiedlichsten Stilrichtungen verfasst hat. Da gibt es ein Shakespeare-Theaterstück, Bildgeschichten, Romanfragmente, Postkarten, Zeitschriftenaufsätze, Tagebucheinträge, Briefwechsel, Beatnik-Prosa und eine Tijuana Bible , die so tut, als wäre sie während des Big-Brother-Regimes aus George Orwells 1984 entstanden.

 Aus alldem kann sich der Leser die umfassende Geschichte einer Welt zusammensetzen, in der alle fiktionalen Figuren wirklich leben, von griechischen Sagenhelden über Virginia Woolfs Orlando bis hin zu den „Elder Ones“ aus H.P. Lovecrafts Cthulhu-Mythos. Einer Welt, in der der zweite Weltkrieg gegen Adenoid Hynkel geführt wurde und in der auch die Deutschen ihre Heldenliga hatten: Die „Zwielichthelden“, bestehend aus Dr. Caligari, Dr. Mabuse und Dr. Rotwang sowie dem Roboter aus Fritz Langs Metropolis.

Während die beiden LOEG-Miniserien trotz all der literarischen Anspielungen leicht konsumierbare, spannende Abenteuerstories waren, ist die Lektüre des Black Dossier (welches ausdrücklich nicht „Teil 3“ genannt wird) teilweise harte Arbeit. Wem der eng bedruckte Textanhang aus Volume 2 der League of Extraordinary Gentlemen zu anstrengend war, der braucht diesen Band gar nicht erst anzufassen. Wer sich jedoch auf die Herausforderung einlässt, wird reich belohnt. Moore und sein Illustrator O'Neill imitieren für jedes Segment den Stil der jeweiligen Zeit und schaffen es dennoch, überall ihre Markenzeichen unterzubringen: einen meist feinsinnigen, manchmal auch derben Humor und allerlei sexuelle Anspielungen, die sich, mal mehr und mal weniger subtil, wie ein roter Faden durch das Buch ziehen. Darüberhinaus ist es auch herausragend gestaltet: Letterer Todd Klein spielt virtuos mit unterschiedlichen Designs und Schriftarten und sogar unterschiedliche Papiersorten wurden verwendet.

 Visueller Höhepunkt des Buches ist die Schlussszene, die als 3D-Comic gestaltet wurde. Sowohl die handelnden Figuren als auch die Leser setzen ihre 3D-Brillen auf und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus…

Black Dossier ist also kein simpler Comic, sondern eine einzigartige multimediale Erfahrung, der man anmerkt, wie viel Zeit, Liebe und Akribie Moore und O'Neill hierfür investiert haben. Und auch der Leser muss Zeit und Mühe investieren. Für Neueinsteiger ist das Buch völlig ungeeignet, es richtet sich an Spezialisten, an Fans der League-Comics, die tiefer in diese Welt dringen wollen.

Leider hat sich der Verlag DC Comics, der den Band vertreibt, entschieden, das Black Dossier nur innerhalb der USA zu verkaufen. Der Grund dafür sind vor allem Copyright-Bedenken, da einige der verwendeten Figuren (noch) urheberrechtlich geschützt sind. Interessierte Leser müssen sich den Band also auf Import-Kanälen besorgen.

Eine deutsche Ausgabe wird wohl auf absehbare Zeit nicht erscheinen, nicht nur wegen der genannten Copyright-Problematik, sondern auch, weil einige Teile des Buches nahezu unübersetzbar sein dürften. So bleibt das Black Dossier hierzulande wohl ein außergewöhnlicher Leckerbissen für eine handvoll Alan-Moore-Fans mit guten Englischkenntnissen.

The League of Extraordinary Gentlemen: Black Dossier
America's Best Comics, November 2007
Text: Alan Moore
Zeichnungen: Kevin O'Neill
Hardcover; farbig; 208 Seiten; 29,99 US-$
ISBN: 978-1-4012-0306-1

herausragend, Grenzend sprengend

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Bildquelle: ew.com

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