Rezensionen

The Complete D.R. & Quinch

Cover The Complete D.R. & QuinchSo groß das Angebot an deutschsprachigen Comicübersetzungen auch ist, so groß sind nach wie vor die Lücken. Eigentlich sollte man meinen, dass zumindest das Werk der ganz großen Namen inzwischen vollständig auf Deutsch vorliegen müsste. Dass dem nicht so ist, zeigt sich (nicht nur) am Beispiel von Alan Moore. Dessen Opus enthält neben den großen, selbstverständlich verfügbaren Klassikern wie Watchmen, From Hell oder V for Vendetta auch zahlreiche mehr oder minder obskure Seitenzweige sowie ein Frühstadium, bestehend aus Comics, die in den frühen 80er Jahren für die britischen Magazine Warrior und 2000 AD entstanden. Das meiste davon wurde nie auf Deutsch veröffentlicht.

Der italienische Verlag Nona Arte, der seit letztem Jahr auf dem hiesigen Markt mitmischt, hat sich vorgenommen, zumindest einen Teil dieser Lücken zu schließen. Nach den beiden Supreme-Bänden mit Material aus den Neunziger Jahren liegt nun der erste Teil der Reihe „Alan Moore Classics“ vor. D.R. & Quinch ist ein humoriger Science-Fiction-Comicstrip, der von 1983 bis 1985 in 2000 AD erschien, jener britischen Institution, die nicht nur harte SF-Helden wie Judge Dredd hervorgebracht hat, sondern auch als die Brutstätte all jener britischen Comicautoren- und Zeichner gelten kann, die in den letzten Jahrzehnten den US-Markt eroberten. Ob sie nun Neil Gaiman oder Garth Ennis, Mark Millar oder Grant Morrison heißen – sie alle machten einen Teil ihrer ersten Schritte bei 2000 AD.

Seite aus The Complete D.R. & QuinchSo auch Alan Moore, der, zusammen mit Zeichner Alan Davis, für Ausgabe 317 (Mai 1983) die sechsseitige Kurzgeschichte „D.R. & Quinch Have Fun on Earth“ schuf. Dafür erfand er die beiden Hauptfiguren Ernst Errol Quinch und Waldo Dobbs, genannt D.R. („Diminished Responsibility“, entspricht im Justizwesen dem deutschen Wort „Schuldunfähigkeit“). Das sind zwei jugendliche Alien-Rabauken, die sich ständig schlecht benehmen, ein Faible für Waffen aller Art haben und bei allem, was sie tun, eine Spur der Verwüstung hinterlassen – dabei aber eine kindliche Unschuld ausstrahlen und nie so recht merken, was sie gerade anrichten. D.R. und Quinch sind, könnte man sagen, ein Science-Fiction-Remix von Max und Moritz. In der Ursprungsepisode reisen sie einmal quer durch Raum und Zeit und durchleben im Zeitraffer die Geschichte des Planeten Erde. Am Ende weiß der Leser, wer für das Aussterben der Dinosaurier, die Pyramiden und die Mondlandung verantwortlich war.

Mehr als dieser eine Gag-Comic war ursprünglich nie geplant, aber die 2000-AD-Leser liebten das Chaotenduo und so kehrten D.R. und Quinch einige Monate später zurück und wurden zu einem regelmäßigen Bestandteil des Magazins. Alan Moore versuchte nun auch längere Fortsetzungsgeschichten zu erzählen, blieb dem Grundprinzip aber treu: Unsere beiden Helden stürzen sich mit den besten Absichten in eine Unternehmung (sie werden zum Militärdienst eingezogen, wollen einen Film drehen oder versuchen, die Geheimnisse des weiblichen Geschlechts zu ergründen), richten dabei aber regelmäßig das denkbar größte Chaos und massive Kollateralschäden an. Die Figurenkonstellation folgt dem klassischen Modell vieler Buddy-Komödien: D.R. ist der Smartere und Coolere, der die Zügel in der Hand hält (vgl. Asterix, Terence Hill), Quinch ist der dicke, gemütliche Sidekick, deutlich schlichter gestrickt aber liebenswert (vgl. Obelix, Bud Spencer).

Seite aus The Complete D.R. & QuinchAlan Davis – der im gleichen Zeitraum mit Moore auch an Captain Britain für Marvel UK arbeitete – zeichnet ihre Missetaten in einem relativ realistischen Stil, der aber bei den Gesichtern ins Grotesk-Karikaturhafte geht und damit deutlich komödiantischer wirkt als in seinen Superhelden-Comics, die er bis heute für Marvel zeichnet. Der Look erinnert bisweilen an die Filmparodien von Mort Drucker aus dem MAD-Magazin. Die Reproduktion des Artworks ist dabei leider recht uneinheitlich geraten. Während einige Seiten mit feinen, filigranen Linien daherkommen, wirken die Inks auf der nächsten Seite oft dick und klobig, so dass das Gesamtbild zu verschwimmen droht. Das ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Vorlagen schon relativ alt sind und natürlich noch aus vor-digitaler Zeit stammen.

Im Gegensatz zu Schwergewichten wie V for Vendetta ist D.R. & Quinch ein schlichter Unterhaltungscomic, der ohne großen Tiefgang in erster Linie amüsieren will. Die simple Grundidee trägt nicht allzu lange, und schon nach wenigen Episoden bekommt man das Gefühl, das Konzept sei langsam ausgereizt. Man merkt dem Comic durchaus an, dass er aus einem Magazin stammt, dessen Kernzielgruppe aus pubertierenden Jungs besteht – Moore wusste gut, für wen er da schrieb. Ein absolutes Glanzlicht seiner Karriere als Comicautor ist das sicher nicht, aber es zeigt sehr schön, dass Moore schon von Anfang an ein gutes Händchen für Humor hatte und sehr witzig schreiben kann (ein Aspekt, der in seinem Werk nicht an erster Stelle steht, aber bis heute immer wieder durchdringt). Der Witz entsteht hier zum einen durch den schwarzhumorig-überdrehten Einsatz von übertriebener Gewalt, zum anderen durch die Sprache. Moore lässt seine beiden Protagonisten in einem betont lässigen Jugendslang reden, im englischen Original angelehnt an den amerikanischen Dialekt der „Valley Girls“ (Man, you know, like, totally?). Die Übersetzung von Marc-Oliver Frisch müht sich redlich, dies angemessen ins Deutsche hinüber zu retten. Im großen und ganzen gelingt ihm das auch gut, aber ganz verlustfrei ist so eine Übersetzung wohl nicht möglich. So rutscht der Tonfall im Deutschen bei dem starken Gebrauch von „voll“ und „Mann“ gelegentlich in Richtung Kiezdeutsch.

Was der deutschen Ausgabe im Vergleich zu der in England erhältlichen Gesamtausgabe ebenfalls fehlt, sind Auszüge aus Alan Moores detailverliebten Skripts. Und die neun One-Pager von Jamie Delano, die im Original farbig waren, sind hier nur in Graustufen zu sehen. Ansonsten ist dieses Album ein gelungener Einstieg in die „Alan Moore Classics“. Man kann dem Verlag nur die Daumen drücken, dass er noch länger auf dem deutschen Markt aktiv bleibt und diese Reihe fortführen kann. Ein Kandidat für einen Folgeband wäre etwa The Ballad of Halo Jones, die nach Einschätzung des Autors beste seiner Serien, die er für 2000 AD schrieb.

 

Wertung: 6 von 10 Punkten

Kein unsterblicher Klassiker, aber ein interessanter Blick ins schwarzhumorige Frühwerk eines Comic-Schwergewichts


Alan Moore Classics 1 – The Complete D.R. & Quinch
Nona Arte, November 2011
Text: Alan Moore, Jamie Delano
Zeichnungen: Alan Davis
112 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 13,90 Euro
ISBN: 978-88-97062-29-5 

 Jetzt beim Fachhändler Comic Combo anschauen und bestellen! 

Abbildungen aus der Originalausgabe, © Rebellion A/S, Quelle: http://www.bbc.co.uk/cult/comics/2000adstrips/

 

Disclosure/Klarstellung: Der Übersetzer des besprochenen Bandes ist Mitglied der Comicgate-Redaktion.