Man gerät leicht in Versuchung, die Comics von Frank Flöthmann als „stumme Comics“ zu bezeichnen. Das sind sie aber nicht, ganz im Gegenteil. Auch bei Flöthmann gibt es Geräusche aller Art, nur werden sie hier nicht wie üblich als Text, sondern in Form von Piktogrammen dargestellt.
Nachdem er im Jahr 2013 bereits eine Auswahl von Grimms Märchen ohne Worte umgesetzt hat und regelmäßig kleine, ebenfalls wortlose Comic-Episoden zunächst in Men’s Health und jetzt in Das Magazin veröffentlicht, ist nun mit Stille Nacht die bisher umfangreichste Arbeit in diesem Stil erschienen. Darin adaptiert Flöthmann die vielleicht berühmteste aller Geschichten, nämlich die biblische Weihnachtsgeschichte.
Inhaltlich bleibt der Künstler im Grunde sehr nah an der Vorlage und kombiniert Elemente aus dem Lukas- und dem Matthäus-Evangelium. Allerdings reichert er die Erzählung von Maria und Josef, der Geburt ihres Kindes, den Hirten und den drei Weisen aus dem Morgenland mit zahlreichen kleinen Gags an, etwa wenn sich die Hirten bei einer Partie „Schere, Stein, Papier“ darum streiten, wer als nächstes mit der Nachtwache dran ist oder wenn beiläufig erklärt wird, wie es dazu kommen konnte, dass man bei den morgenländischen Sterndeutern von den Drei Königen spricht.
Flöthmann erzählt mit einer liebevollen und sehr charmanten Ironie, abseits der ausgetretenen Pfade der Bibelparodie, die ja auch nicht mehr das frischeste aller Genres ist. Es gibt weder platte Schenkelklopfer noch vermeintlich mutige Provokation. Stille Nacht ist ein betont unblasphemischer Comic, den auch gläubige Christen, so sie ein wenig Humorbegabung besitzen, ansprechen dürfte. Genausowenig ist es aber fromme Erbauungsliteratur, sondern vielmehr ein gut gelauntes Spiel mit Farben und Formen, das seinen Reiz, ganz ähnlich wie schon Grimms Märchen ohne Worte, daraus zieht, dass der Kern der Handlung dem Leser bereits mehr oder weniger bekannt ist.
In erster Linie begeistert Stille Nacht aber durch seinen visuellen Stil. Dass Flöthmann vom Grafikdesign kommt, ist nicht zu übersehen. Nicht nur der Inhalt der Sprechblasen ist piktografisch, auch die Bilder selbst sind es. Sämtliche Formen sind extrem klar und reduziert auf grundlegende geometrische Formen, es gibt neben Schwarz und Weiß nur Rot und Blau als weitere Farben. Ein Otl Aicher hätte bestimmt große Freude an so einem Comic.
Der auffälligste Unterschied zu Flöthmanns Märchenbuch ist das Format: Grimms Märchen kamen im Albenformat daher, mit einer Vielzahl von Panels pro Seite, mal winzig, mal riesig und mit großer Verspieltheit angeordnet. Die Seiten von Stille Nacht sind dagegen nur halb so groß, dafür gibt es nun fast immer nur noch ein Panel pro Seite. Einerseits ist das schade, weil die Monotonie dieses Seitenlayouts ein wenig von der Lesefreude nimmt. Andererseits ist diese formale Änderung ein Schritt zu noch größerer Klarheit und Reduktion und damit nur konsequent.
Wer noch ein Weihnachtsgeschenk auf den letzten Drücker braucht, dem sei Stille Nacht ans Herz gelegt. Die 168 Seiten sind zwar sehr schnell gelesen, doch lädt das Buch zum Immer-wieder-Durchblättern ein. Wer mag, kann hier ausgiebig studieren, wie Bilder, Zeichen und Formen als Sprache funktionieren – ein Zusammenspiel, das letztlich die Essenz der Kunstform Comic darstellt.
Wertung:
Humorvolle Weihnachtslektüre in grafisch aufregender Verpackung.
Stille Nacht – Die Weihnachtsgeschichte ohne Worte
Dumont Buchverlag, Oktober 2014
Zeichnungen: Frank Flöthmann
168 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 14,99 Euro
ISBN: 978-3832197674
Abbildungen © Frank Flöthmann/Dumont Buchverlag