Rezensionen

Sin City 7 – Einmal Hölle und zurück

Doppelrezension von Christopher und Johnny.

Christopher

sincity7_cover Frank Millers Epos über den dunklen Großstadttraum Sin City geht in die letzte Runde. Überleben und Sterben liegen hier nah beieinander. „Einmal Hölle und zurück“, der siebte Band der Reihe, erschien im November 2006 bei Cross Cult, wie gewohnt in edler und robuster Aufmachung.

Sicherlich, Sin City ist ein Meisterwerk des amerikanischen Comics. Der hard boiled-Siebenteiler von Frank Miller wird viel gelesen und viel gelobt. Die Themen sind hinlänglich bekannt: Gewalt, Sex, Kriminalität, Korruption und nochmals Gewalt. Sin City ist nicht bloß eine Stadt, sondern ein dunkler Kosmos. Zahllose verlorene Gestalten ringen hier um Macht und Geld, immer nahe am Abrund der menschlichen Seele. Es tobt der ewige Kampf zwischen böse und noch böser. Aber was bleibt übrig, wenn man das mythische Setting einmal außer Acht lässt, die Oberfläche durchstößt?
 

  Die Handlung von „Einmal Hölle und zurück“ ist recht simpel. Der Kriegsveteran Wallace lernt die Schauspielerin Esther kennen. Er zeigt ihr sein Appartement, danach gehen sie zusammen etwas trinken. Es dauert nicht lange und die beiden verlieben sich ineinander. Eingefleischte Sin City-Leser wissen, dass Miller solche Sentimentalitäten gerne kurz hält. So überrascht es kaum, dass die Liebesgeschichte unmittelbar nach dem ersten Kuss auch schon wieder zu Ende ist. Wallace spürt einen Schmerz im Nacken und greift verwundert nach hinten. Er zieht einen Narkosepfeil heraus, bevor er kraftlos auf dem Asphalt zusammenbricht. Ein Krankenwagen braust heran. Mit verschwommenem Blick nimmt Wallace wahr, wie ein fieser Doktor und dessen muskulösen Handlanger aussteigen. Die beiden finsteren Gestalten packen Esther, schleudern sie in das Auto und verschwinden in der Nacht. Wallace lassen sie einfach liegen, leblos, aber nicht tot. Ein großer Fehler, wie sich bald herausstellen wird. Denn so kurz die Begegnung mit Esther war, so stark sind auch Wallaces Gefühle für sie. Hilfesuchend wendet er sich an die Polizei, um seine Geliebte wiederzufinden. Dass er jedoch von den Gesetzeshütern nicht viel erwarten kann, hatte er beinahe schon geahnt. Also muss er die Sache selbst in die Hand nehmen.
  Je weiter sich Wallace bei seinen Nachforschungen die Nahrungskette hocharbeitet, desto mehr stinkt die ganze Sache. Eine einfache Entführung ist das nicht. Eine Verschwörung ist im Gange, in die Polizei, Ärzte und einige verdammt attraktive Killerinnen verwickelt sind. Nur mit Hilfe alter Militärfreunde gelingt es Wallace, etwas Licht in diese finstere Angelegenheit zu bringen. Wenn er nur diese rosafarbenen Engelchen aus seinem Kopf kriegen könnte…

sincity7_denia Am Anfang der Geschichte ist nicht ganz leicht zu erkennen, ob sich Millers Augenmerk auf Wallace oder Esther konzentriert. Spätestens nach der Entführung jedoch ist klar, wer bei „Einmal Hölle und zurück“ im Mittelpunkt steht. Es ist Wallace, der Kriegsveteran, der kaum genug Geld hat, um seine Wohnung zu bezahlen. Die Zeiten, in denen es um Leben und Tod ging, glaubte er ein für allemal hinter sich gelassen zu haben. Bis er Esther kennen lernt. Ihrer Entführung folgt ein Faustkampf nach dem nächsten. Die Luft wird bleihaltig. Oberflächlich betrachtet ist Wallace einer von den Guten, wenn es sowas in Sin City überhaupt gibt. Er legt sich mit einem übermächtigen Feind an, widersteht den süßen Einflüsterungen formvollendeter Killerinnen und versaut sich's nebenbei kräftig mit der Polizei. Verliebt und völlig selbstlos gibt er alles für Esther auf und zieht in einen Krieg. Oder?

Man kann die Geschichte auch anders lesen. Es ist ein bisschen merkwürdig, warum Wallace sich für eine Fremde so ins Zeug legt, die er nur einmal geküsst hat. Denn die Suche nach der Entführten bedeutet zugleich Abschied von ruhigeren Zeiten. Seit Wallace auf das Abstellgleis geschoben wurde, dämmert er so vor sich hin. Der Krieg ist vorbei, hinter sich gelassen hat er ihn aber nicht. Das Kämpfen liegt ihm noch im Blut. Er lebt in dürftigen Verhältnissen und arbeitet als Zeichner. Er fertigt Nacktzeichnungen an für vulgäre Verleger, um irgendwie über die Runden zu kommen. Dafür hasst er sich selbst. Sein Orden liegt in einer Schublade, bloß ein Stück Blech. Vielleicht nimmt er Drogen, um die Nutzlosigkeit seines Daseins zu vergessen. Als Esther entführt wird, bietet sich ein willkommener Ausweg aus seiner Frustration. Fast müsste Wallace dankbar für die Entführung sein. Mit der Frau oder großer Liebe hat das nicht viel zu tun. Endlich hat er wieder einen Grund zu kämpfen. Er sucht seinen persönlichen Krieg und findet ihn. Als Gegner stehen ihm ein finsterer Pharmakonzern sowie ein Colonel und dessen Killerbrigade gegenüber. Das Schlachtfeld ist eröffnet, es kann losgehen.

 

Wer scharfe Kurven und bissige Dialoge mag, ist bei „Einmal Hölle und zurück“ genau richtig. Den Leser erwartet schnörkellose und knallharte Action, eine rasante Tour tief hinein ins Herz der Finsternis. Aber unter der Oberfläche der Handlung schlummert noch mehr als schnöde Schießereien und Kämpfe bis aufs Blut. Millers neuere Arbeiten lesen sich nicht nur deshalb so wunderbar, weil sie das Adrenalin auf Hochtouren bringen. Die ihnen anhaftende Faszination rührt von dem bewussten Umgang mit der dargestellten Gewalt her. Die stilisierte Brutalität macht es möglich, die Geschichte auch von einer anderen, kritischen Seite zu betrachten. Man könnte Wallace als einen Helden bezeichnen; sicherlich, das wäre einfach. Er könnte aber auch ein kriegssüchtiger Wahnsinniger sein, der bloß einen Anlass sucht, um mal wieder kräftig aufzuräumen. Nirgendwo spiegelt sich Millers Kunstfertigkeit besser wider als in dieser Ambivalenz. Vielleicht liegt hier auch das Geheimnis verborgen, durch das sich Sin City von der Masse zahlloser anderer Comics abhebt.

 

Sin City 7 – Einmal Hölle und zurück
Cross Cult, November 2006
Text und Zeichnungen: Frank Miller
320 Seiten, teilweise farbig, Hardcover; 35,- Euro
ISBN 3-936480-17-6

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Johnny

Jeder Autor hat seinen Fetisch: Für Garth Ennis sind es toughe, abgebrühte Typen mit noch viel tougheren, abgebrühteren Sprüchen. Bei Mawil sind es die genauen Gegenteile davon. Brian Azzarello hat eine Vorliebe für Knarren, die Straße und zwielichtige Schönheiten, wohingegen Gilbert Hernandez physisch gar nicht mehr in der Lage zu sein scheint, einen Comic abzuliefern, ohne eine Frau mit Lolo-Ferrari-Gedächtnis-Brustumfang darin einzubauen.
Aber niemand schlägt Frank Miller, wenn es darum geht, seine Fantasien in Comics auszuleben: er hat sie alle, die Weicheier und die harten Typen (meist vereint in einer Person), die Knarren und die Huren. Vor allem aber hat er eins: einen Haufen Schwarz und ein klein bisschen Weiß.

Wenn man einen Comicfan fragt, welche Autoren aus Superheldencomics erst ein „erwachsenes“ Genre gemacht haben, dann wird man genau zwei Namen hören: Alan Moore mit seinen Watchmen und Frank Miller mit Batmans „The Dark Knight Returns“. Dies ist in beiden Fällen zwar sehr richtig, in Millers Fall aber auch ein kleines bisschen falsch. Natürlich steckt im dunklen Ritter alle Achtziger-Jahre-Endzeit-Stimmung, wie sie auch bei Alan Moore vorhanden ist, und natürlich gibt es da diese Medien- und Gesellschaftssatire, an die sich die meisten Comicschaffenden selbst heute nicht trauen würden.
Aber schon damals hatte ich das Gefühl, dass Frank Millers Intention beim Geschichten erzählen eine andere war. Bei ihm gab es keine verwischten Grenzen zwischen Gut und Böse, wie sie bei den Watchmen allerorten zu finden waren, und seine Helden waren nie so spröde und realistisch wie Dan Dreiberg oder Rorschach. Sein Interesse war es nicht, Batman in die Realität zu beamen. Stattdessen führte er ihn an den Ort, von dem er gekommen war, den Ort, den Miller am meisten interessierte: Die Straßen der Pulp Romane der 30er und 40er, des L.A.s von Hammett und Chandler. Städte, in denen abgefuckte, aber aufrechte Idealisten die einzige Bastion gegen den Schmutz und den Abschaum der Welt darstellten, und die selbst dann für ihre Sache eintraten, wenn ein Erfolg mehr als aussichtslos erschien. Das ist nicht nur bei Batman Millers Thema. Dieses Motiv zog sich schon durch Ronin und 300, ja selbst bei Rusty & The Robot blitzt es hier und da auf. Und nirgendwo wurde es so deutlich wie bei Sin City.

In wuchtigen, bis an die Grenzen der Abstraktion überzeichneten Schwarz-Weiß-Zeichnungen erzählt er immer wieder die Geschichten von dem Underdog, der aus echter und reiner Liebe antritt gegen ein  Arsenal von Bösewichtern, die aussehen wie Dick Tracys Gegenspieler auf Crack, dabei mal sein Leben, mal seine Identität verliert, nie aber seine Würde. Die Geschichten, die unfassbaren genialen Machosprüche, die die Figuren von sich geben, sind so klar schwarz-weiß und graustufenlos wie Millers Zeichnungen, und dieser scheint sich dessen genauso bewusst wie gleichgültig gegenüber zu sein. Sin City war immer die pure Essenz von Frank Miller, und man konnte sich immer sicher sein, dass der Autor bei der Herstellung des Comics genau so viel Freude empfand, wie man selbst bei der Lektüre dessen.
Oder besser gesagt, so dachte man.

Um die Jahrtausendwende schien Miller dieser Essenz seltsamerweise ein wenig überdrüssig zu werden. Er lieferte eine Dark-Knight-Fortsetzung ab, die man bestenfalls als wunderlich bezeichnen konnte, in der Flash in ein riesiges Hamsterrad gesteckt wurde, und die Reagan-Karikatur des ersten Teils sich als Simulation von Lex Luthor entpuppte. Und kurz zuvor brachte er mit „Zur Hölle und Zurück“ den vorläufigen Abschluss der Sin-City-Reihe heraus, der wohl zu dem mit Obskursten gehört, was in ihr erschienen ist.

sincity7_putten Zuallererst muss man sagen, dass Einmal Hölle und zurück“ kein guter Comic ist. Die Story ist konfus, selbst für Schwarze-Serie-Verhältnisse, und aus Versatzstücken voriger Sin-City-Geschichten zusammengestoppelt. Wieder mal zieht ein tapferer Held los, um eine Liebe, die er kaum kennt, aus den Fängen missgestalteter Psychopathen zu befreien. Leider ist der Held, Kriegsheld und Zeichner (hör ich da wen Alter Ego rufen?)Wallace ein wenig blutleer geraten und schafft es zu keiner Sekunde, den Charme eines Hartigan oder Marv zu entwickeln. Auch beim Rest der Geschichte schien Miller ähnlich einfallslos wie bei der Ausarbeitung der Charaktere. Weder die Idee eines Menschenhandels-/Porno-/Waffenfabrikring zündet so richtig, noch haben Millers Sprüche die Strahlkraft früherer Tage. Man fühlt sich in ein lustloses Abhaken von Sin-City-Versatzstücken versetzt, und es wäre wohl schade um das Geld gewesen, wäre Miller im Laufe der Geschichte nicht einfach noch komplett durchgedreht.

Scheinbar im Gefühl, dass die alten Pfade langsam ausgetreten sind, baut er einige Ideen ein, die so noch nie in einem Sin-City-Comic vorkamen, ja teilweise wahrscheinlich gar nicht mal in einer Pulpgeschichte überhaupt. Angefangen von nymphomanen Femme Fatales und billigen Blow-Job-Witzen, einem etwas überflüssigen Comic in Comic, in dem ein Teenager von seiner Liebespein erzählt und die durchaus als Parodie auf die weinerlichen Autobiographie-Comics der Indie-Szene verstanden wrden kann, gipfelt die Story in einem Showdown, den es so in der Art wohl noch nie gegeben hat. Das Besondere ist nicht das Was – Wallace und sein Kumpel, der Colonel, ziehen los, um es den Bösewichtern zu zeigen, die Wallace gerade eben in den Arsch ficken wollten -, sondern das Wie. Wallace steht während der gesamten Schießerei unter halluzinogenen Drogen, die die Bösen ihm verabreicht haben – und Miller zeigt diese in einer komplett bunten (!) Szene aus seiner Sicht. Wann zuvor hat man jemals eine Schießerei gesehen, in denen Hägar der Wikinger eine Meerjungfrau erschießt, trashtalkende Putten und Elfen den Protagonisten nerven und Cadillacs durch eine Dr.-Seuss-Zeichnung brausen? Die Sequenz ist sicherlich mit Abstand das Highlight des Comics und zeigt, wie in guten Momenten eine unbändige Kreativität und schräger Humor über mangelnde Stringenz und Substanz an anderen Stellen hinwegtrösten können.

„Einmal Hölle und Zurück“ ist eher die MTV-Version eines Film Noir, und, obwohl zu durchwachsen, um wirklich weiter empfehlbar zu sein, in diesem Ansatz mal ein ganz spannendes Experiment. Das nächste Mal aber bitte wieder schwarz-weiß, coole Machosprüche und abgefuckte Superhelden, Herr Miller …

Sin City 7 – Einmal Hölle und zurück
Cross Cult, November 2006
Text und Zeichnungen: Frank Miller
320 Seiten, teilweise farbig, Hardcover; 35,- Euro
ISBN 3-936480-17-6

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