Dass der Anfang der 80er Jahre entstandene, französische Comicklassiker Schneekreuzer nach so langer Zeit nun endlich in deutscher Sprache vorliegt, ist sicher auch dem Umstand zu verdanken, dass die von Bong-Joon Ho inszenierte Filmadaption (unter dem Titel Snowpiercer) vor kurzem in den deutschen Kinos startete. Bei Jacoby & Stuart hat man die Gelegenheit ergriffen, die Vorlage, zusammen mit ihren beiden späten Fortsetzungen, in einer würdigen Gesamtausgabe zu veröffentlichen.
Jacques Lob entwickelte die ursprüngliche Geschichte zusammen mit Zeichner Jean-Marc Rochette. Darin versetzen sie den Leser in ein dystopisches Szenario: Nach einem gescheiterten Versuch, den Klimawandel zu stoppen, fällt die Erde in eine neue Eiszeit. Die einzige Rettung vor dieser globalen Katastrophe besteht darin, einen Platz im Schneekreuzer zu ergattern, einem mehrere hunderte Waggons langen Zug, der ohne Halt durch die unwirtliche Landschaft rast.
Die Menschen darin sind gezwungen, die Abteile zu ihrem Wohnort umzufunktionieren und eine eigene Gesellschaft innerhalb des begrenzten Raumes aufrechtzuerhalten. Das funktioniert natürlich nicht ohne Komplikationen. Vor allem die Unterschiede zwischen den weitestgehend abgeschotteten Klassen sind sozialer Sprengstoff. Während die vorderen Waggons im Luxus leben und das Zusammenleben im gesamten Zug regeln und kontrollieren, sind die Menschen in den hintersten Abteilen zusammengepfercht und existieren unter unwürdigsten Umständen. Als der Passagier Proloff durch einen Zufall in den vorderen Bereich gelangt, plant er die Revolution, die den Unterdrückten Hoffnung gibt: Er will bis ganz nach vorne, zum Zugführer, gelangen.
Die Idee von Jacques Lob ist so faszinierend wie sie simpel ist. Die klaustrophobische Atmosphäre ist greifbar, genau wie die Verzweiflung der Passagiere. Das erste Album, das auch als Basis für die filmische Umsetzung diente, ist ein fein konstruierter Klassenkampf im Sci-Fi-Ambiente, der dank sozial- und umweltkritischer Anklänge auch heute noch thematisch hochmodern ist. Mit ihren schwarz-weißen Zeichnungen bewegt sich die Story auf dem Niveau klassischer frankobelgischer Comics der damaligen Zeit.
Leider hat Rochette diesen eindringlichen Stil, der äußerst gut zur Grundidee passt, nicht beibehalten, als er Ende der 1990er Jahre, nach dem Tod von Jacques Lob, beschloss, zwei Fortsetzungen zu produzieren. Diesmal sollte Autor Benjamin Legrand die Texte schreiben. Die beiden Alben „Der Landvermesser“ und „Die Überquerung“ setzen die ohnehin in sich geschlossene Handlung des ersten Albums nicht nahtlos fort, sondern vergrößern den Blickwinkel auf das Geschehen innerhalb und außerhalb des Schneekreuzers. Hier geht es nicht mehr um ein bis zwei zentrale Figuren, sondern um das System an sich. Dafür verlagerte Legrand den Fokus auf viele Figuren und Schauplätze. Diese gewollte Komplexität geht allerdings zulasten der ursprünglich so beklemmenden Atmosphäre, die Lobs Erzählung auszeichnete.
Besonders auffällig ist jedoch der optische Unterschied zwischen den beiden Fortsetzungen und dem ersten Album. Jean-Marc Rochette hat seinen Zeichenstil radikal geändert und setzt nun auf einen eher malerischen Stil. Dadurch wirkt die Grafik einerseits etwas zeitgemäßer, andererseits aber auch etwas unfertig, skizzenhaft, und lässt Details und Hintergründe vermissen.
Eine uneingeschränkte Leseempfehlung gibt es deshalb also nur für den ersten, bei weitem längsten der drei Teile, der die klassische Kernerzählung Lobs markiert. Dennoch ist es angenehm, dass jetzt alle drei Alben in einem Gesamtband komplett in deutscher Sprache vorliegen. Auch wenn die späten Fortsetzung das Niveau nicht halten können, zeugen sie von zumindest von einer interessanten, alternativen Herangehensweise an den Stoff durch Rochette und Legrand, die offenkundig, das muss man ihnen zugute halten, eine Kopie des ersten Albums unbedingt vermeiden wollten.
Wertung:
Toller Sci-Fi-Klassiker, endlich auch in deutscher Sprache
Schneekreuzer
Verlag: Jacoby & Stuart
Text: Jacques Lob, Benjamin Legrand
Zeichnungen: Jean-Marc Rochette
Übersetzung: Edmund Jacoby
272 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 29 Euro
ISBN: 978-3-942787-08-6
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Jacoby & Stuart