Rezensionen

Reconquista 1 – Die Horde der Lebenden

Cover Reconquista 1Schon der Titel im Verbund mit dem Cover kann irritieren, gibt aber aus historischer Perspektive gleich die Richtung vor. „Die Horde der Lebenden“ erinnert vom Namen her vage an die Goldene Horde, nur war diese die Streitmacht des Dschingis Khan. Und was hätte das dann mit der leicht indianisch anmutenden Frau auf dem Cover zu tun? Der Serientitel verwirrt denn auch zusätzlich. Schließlich beteichnet „Reconquista“ die christliche Rückeroberung Spaniens von den Mauren, die erst 1492 abgeschlossen war. Wie sollen diese drei Aspekte zusammenpassen? Gar nicht, denn inhaltlich geht es dann auch gar nicht um Spanien, Dschingis Khan oder Indianer, sondern vielmehr um die Skythen.

Und das ist schon recht spannend, denn um dieses Reitervolk weiß man relativ wenig. Zwar gibt es einige archäologische Artefakte, aber deren Geschichte selbst bleibt im Schatten. Viel Raum also für einen historischen Comic, um gesicherte Kenntnisse mit Fantasie anzureichern. Doch darauf verzichtet das Autorenduo Sylvain Runberg (Orbital, Konungar) und François Miville-Deschênes, obwohl die dramaturgischen Aussichten gut sind. Die Hethiter sind auf einem Eroberungsfeldzug und bedrohen die Skythen, die von drei Königen beherrscht werden. Alle Könige haben unterschiedliche nomadische Stämme unter sich, die sehr unterschiedliche Eigenheiten und Sitten besitzen. Eine babylonische Schriftgelehrte reist zu den Skythen, um das Volk und den Feldzug zu beobachten. Diese Perspektive ermöglicht einen relativ objektiven Blick auf die Völker und kann unterschiedliche Themen und Gebräuche erfassen. Doch historisch ist das nicht, denn hier werden einige Aspekte durcheinander gewürfelt.

Seite aus Reconquista 1Der Comic macht einen Schritt in Richtung Fantasy, aber nur ansatzweise. Es treten Amazonen und Atlanter auf, deren tatsächliche Existenz zwar noch glaubhaft, aber nicht letztendlich gesichert ist. Dass einer der Stämme „Kimmerer“ heißt, kann dann auch glatt eine Hommage an Conan sein, der einem gleichnamigen Stamm angehört. Aber Runberg und Miville-Deschênes verbleiben im Historiengenre und erzählen glaubhaft und logisch. Inhaltlich passiert hier nicht viel, außer Kämpfen, Beobachtungen und Gesprächen, welche das Leben, die Religion und die gesellschaftlichen Sitten der Stämme erläutern. Da seine Story ziemlich flach ist, muss der Comic auf einer anderen Ebene überzeugen. Und in der Tat kann hier die grafische Gestaltung, für die François Miville-Deschênes als Zeichner zuständig ist, sehr punkten und einiges rausreißen. Diese ist nämlich umwerfend.

Die Panels und Perspektiven sind sehr effektvoll angeordnet – das zeigt sich schon zu Beginn, wenn der Leser erst einmal auf eine falsche Fährte gelockt wird. Immer wieder werden große Panels und Splashpages sehr wirkungsvoll eingebaut. Blutig und erotisch geht es auch im Dekor sehr detailgetreu zur Sache und Miville-Deschênes gelingt es, diese sehr entfernte Epoche wirklich lebendig zu machen. Die Grafik reißt also alle inhaltlichem Schwächen mehr als raus und lohnt definitiv einen Blick in den Band. Und wer weiß: Vielleicht gibt es im nächsten Band ja auch eine richtige Dramaturgie.

 

Wertung: 7 von 10 Punkten

Flache und spekulative Story auf dem Weg Richtung Fantasy, deren Grafik jedoch in jeglicher Hinsicht überzeugt.

 

Reconquista 1 – Die Horde der Lebenden
Splitter Verlag, September 2012
Text: Sylvain Runberg, François Miville-Deschênes
Zeichnungen: François Miville-Deschênes
Übersetzung: Tanja Krämling
56 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 13,80 Euro
ISBN: 978-3-86869-483-3
Leseprobe

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Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Splitter Verlag