Im Mai 2005 erschienen in der Ehapa Comic Collection zeitgleich zwei ungewöhnliche Werke, die beide das Thema Holocaust behandeln; „Auschwitz“ vom Franzosen Pascal Croci und „Yossel, 19. April 1943“ vom Amerikaner Joe Kubert.
Auf den ersten Blick haben diese beiden Graphic Novels viel gemeinsam. Schließlich haben beide den Anspruch, von der Judenvernichtung während des „Dritten Reichs“ zu erzählen, und beide tun dies durch fiktive Geschichten, die sich aber trotzdem authentisch anfühlen und historisch akkurat sein sollen. Trotz aller grundsätzlichen Gemeinsamkeiten sind „Auschwitz“ und „Yossel“ jedoch zwei sehr unterschiedliche Werke.
Das beginnt schon bei der Grafik. Sowohl Pascal Croci als auch Joe Kubert lassen die Farben weg, so wie das auch Steven Spielberg in seinem Film „Schindlers Liste“ gemacht hat, der von Croci im Anhang als Vorbild und Referenz angegeben wird. Davon abgesehen sieht „Auschwitz“ jedoch völlig anders aus als „Yossel“: Pascal Croci verwendet die gewohnte Comic-Sprache, also ein Seitenlayout, das aus mehreren Panels besteht, und Dialoge in Sprechblasen. Ganz anders bei Comicveteran Joe Kubert: „Yossel“ sieht eher aus wie ein Skizzenbuch. Es gibt keine umrahmten Panels, die Bleistiftzeichnungen bleiben im groben Entwurfsstadium und werden von Textboxen begleitet, Sprechblasen gibt es keine. Das sorgt für eine größere Verfremdung und Abstraktion, man bleibt als Leser etwas mehr auf Distanz.
Beide Comics legen einen Schwerpunkt auf die Schilderung des grausamen Alltags, mit dem die Gefangenen im KZ bzw. im Ghetto konfrontiert waren und versuchen darzustellen, wie der Einzelne damit umging.
In „Auschwitz“ wird die zentrale Geschichte von einer Szene umrahmt, die 1993 in Ex-Jugoslawien spielt und das Geschehen damit in einen historischen Kontext stellt. Ein jüdisches Ehepaar erinnert sich angesichts des Bürgerkriegs an den Holocaust und daran, wie sie gemeinsam mit ihrer Tochter nach Auschwitz gebracht wurden. Dabei wird die erste Hälfte aus der Sicht des Mannes und die zweite aus der Sicht seiner Frau erzählt.
Der Ich-Erzähler in „Yossel“ ist dagegen ein 15-jähriger Junge, begeisterter Comiczeichner, der ins Warschauer Ghetto gehen muss und sich dort am Aufstand, der am titelgebenden 19. April 1943 begann, beteiligt. Sein Zeichentalent sichert ihm für eine Weile das Überleben, da die Nazischergen sich von ihm gerne als “Übermenschen“ zeichnen lassen und er deswegen nicht wie so viele andere nach Auschwitz deportiert wird. Was dort an Unvorstellbarem geschieht, erfährt Yossel erst, als ein KZ-Insasse, der aus Auschwitz fliehen konnte, im Ghetto davon erzählt.
Kuberts Erzählperspektive ist eine „Was-wäre-wenn“-Sicht auf sein eigenes Schicksal, das ihm hätte passieren können, wenn seine jüdische Familie nicht 1926 (zwei Monate nach seiner Geburt) aus Polen nach Amerika emigriert wäre. Dadurch wird „Yossel“ zu einer sehr persönlichen Geschichte.
Croci, der diese biographische Verbindung nicht hat, gründet seine Geschichte auf verschiedene Gespräche, die er mit Überlebenden geführt hat. Dafür legt er einer Figur Wort in den Mund, die (laut Anhang) seine eigenen sind: sie fragt, ob sich Menschen nicht „in Frieden hassen“ könnten, anstatt sich zu bekriegen und zu vernichten. Seiner Ansicht nach ist die christliche Forderung nach Nächstenliebe eine Illusion und ein brüderliches Miteinander verschiedener Religionen unmöglich. Zweifellos eine provokante Position, über die sich durchaus streiten lässt. Ob es allerdings sinnvoll ist, eine solche These in einem zeitgeschichtlichen Comic zum Thema Holocaust zu verpacken, ist fraglich.
Neben diesem etwas unangenehmen Beigeschmack ist bei „Auschwitz“ auch die Kürze des Albums problematisch. 76 Seiten sind nicht viel, wenn man möglichst viele Eindrücke der Vernichtungslager vermitteln will. Stellenweise wirkt es daher ein bisschen so, als wenn Croci hastig einzelne Punkte abhakt, um danach gleich zum nächsten zu eilen.
Dadurch ist für mich persönlich unterm Strich „Yossel“ das bessere Werk. Joe Kubert erzählt ruhiger und ausführlicher, der Leser bekommt tiefere Eindrücke als bei Croci. Im letzten Drittel läuft Kubert allerdings Gefahr, den Spannungsbogen zu sehr anzuziehen und den Leser in einer Verfolgungsjagd um Yossels Leben fiebern zu lassen als wäre das ein Hollywood-Actionreißer.
Sowohl „Auschwitz“ als auch „Yossel“ haben also ihre Schwächen, dennoch ist die Lektüre beider Bücher empfehlenswert. Beide sind grafisch absolut überzeugend und eine passende Antwort auf die Frage, ob es überhaupt legitim ist, dieses Thema in einem Comic zu behandeln (wie die Bild-Zeitung bei Erscheinen der beiden Bände besorgt fragte).
Diese Frage hat allerdings schon vor Jahren Art Spiegelman mit „Maus“ eindeutig beantwortet und damit einen Maßstab gesetzt, dem weder „Yossel“ noch „Auschwitz“ das Wasser reichen können.
Auschwitz Ehapa Comic Collection Text und Zeichnungen: Pascal Croci 128 Seiten; 22,- Euro Zur Leseprobe |
Yossel, 19. April 1943 Ehapa Comic Collection Text und Zeichnungen: Joe Kubert 88 Seiten; 16,- Euro |